15. März 2017 Da war
dieser halbe Satz, den ich nicht mehr los werde, vom bosnischen Autor Dzevad Karahasan in
einer weiter zurückliegenden Begegnung beiläufig ausgesprochen: "... der
Mensch aber lebt, solange er nicht gleichgültig ist." Diese Worte fielen in
einem Gespräch über seine literarische Arbeit. Da war eine Passage, die nachdenklich
stimmen müßte. In den Notizen steht: "Meine Figuren kommen zu einem sehr
merkwürdigen Schluß. Daß auch Haß akzeptabel und gut ist, im Vergleich mit der
Gleichgültigkeit und mit der Verachtung." [Quelle]
Hinter dieser Notiz von 2011 liegt eine ältere, in welcher
der hier eingangs erwähnte Halbsatz zur Gänze ausgeführt ist: "Die Kunst
schützt uns vor Gleichgültigkeit, der Mensch aber lebt, solange er nicht gleichgültig
ist." [Quelle]
Das war ein Beitrag zum Projekt "Next Code:
Divan" von 2007. Ich hatte damals im Auftakt-Text "idem na divan"
einen Satz notiert, den mir die türkische Künstlerin Deniz Gül geschrieben hatte, als
der Armenier Hrant Dink ermordet worden war. (Der Journalist war von einem jungen Türken
per Kopfschuß hingerichtet worden.) Gül schrieb mir damals, Hrant Dink sei einer
gewesen, dem lag daran, zu ... reden, reden, reden, bis wir einander
kannten. [Quelle]
Ich schrieb damals ferner: "Es zählen konkrete
Orte und leibliche Anwesenheit. Auch und vor allem das Fremde wird und bleibt
dabei frei von jenem Schrecken, mit dem man es gelegentlich befrachtet, wo Menschen sich
hinreißen lassen, die reale Begegnung auszuschlagen, um ihre Ansichten statt dessen aus
menschenverachtenden Konzepten zu beziehen."
Warum ich das nun hervorhole? Mein Teilprojekt für das
heurige Kunstsymposion ist dem Thema Koexistenz gewidmet: [link] Wie sehr
wird in Europa gerade um Abschottung gegen aktuelle Entwicklungen in eben diesem Punkt
gerungen? Dazu habe ich drei Aspekte markiert, die hier beschrieben sind:
-- [Hauslos | Maschinerie
| Kunst] --
Dazu möchte ich noch einmal erwähnen und unterstreichen,
was Karahasan gesagt hat: "Die Kunst schützt uns vor Gleichgültigkeit"
[Quelle] Im
Dezember 2013 hatte ich das Gegenteil davon im Zusammenhang mit einem anderen bosnischen
Autor formuliert: "Gleichgültigkeit tötet!" [Quelle]
Ich durfte damals die deutschen Fassungen einiger Gedichte von Muhidin Saric [link] lesen. Er hatte die
serbischen Konzentrationslager der 1990er Jahre überlebt und wir befanden uns auf dem Weg
zum Jahr 2014, wo über den Großen Krieg nachzudenken war, dessen Vorbedingungen
und Folgen: "the track: axiom | 2014" [link]
Was wir im heurigen Kunstsymposion greifbar machen möchten, hat einige
Bezüge zu diesen Verläufen. Wir ahnen die enormen Umbrüche, auf die Europa zugeht.
Unter sachkundigen Kommentaren finden sich manche Hinweise auf Parallelen zu der Situation
vor 1914.
Eine sehr wesentliche Information zu diesem Thema stammt aus dem September 2013 und ist
allgemein als "Oxford-Studie" im Gespräch: "The future of
employment: How susceptible are jobs to computerisation?" von Carl Benedikt Frey
und Michael A. Osborne; hier als PDF-Datei verfügbar: [link]
In etwas polemischer Verkürzung heißt all das: Es werden in etwa 20 Jahren rund die
Hälfte der uns vertrauten Jobs verschwunden sein. Das Ende der Massenbeschäftigung ist
nahe. Wir werden die Fragen des Broterwerbs neu regeln müssen und unsere Koexistenz mit
den aufkommenden Maschinensystemen verhandeln, denn die können jetzt schon mehr, als die
meisten Menschen wahrhaben wollen.
Dazu kommen altgediente Konfliktlinien, die seit Jahren wieder stark belebt werden. Auf
dem Foto Ursula Glaseser (KulturBüro Stainz) und Künstler Robert Gabris bei
ihrer Wiener Session zum Thema Roma: [link] Gabris
ist ein in der Slowakei geborener Rom, dessen Erfahrungen annehmen lassen, Europa habe
Zonen, in denen Apartheid herrscht.
Es ist zu befürchten, daß all jene, die in Europa um keinen Preis Veränderungen
erleben wollen, einen enormen Bedarf an Devianten und Delinquenten
haben, an Abweichenden und Tätern, an denen sie sich in ihrer
Zukunftsangst abarbeiten können.
Das meint, die Stigmatisierung von Minoritäten kommt ganz wesentlich aus einem akuten
Bedarf. Dazu werden in Europa schon einige Zeit die Muslime zurechtgestellt, dabei sind
altbewährte "Sündenböcke" wie "Die Juden" und "Die
Zigeuner" natürlich unverzichtbar.
Falls Sie mich fragen möchten, ob die Kunst an all dem etwas bewirken, womöglich
verändern könne, lautet meine Antwort: Das muß sie nicht! Kunst hat keinerlei
Aufgaben dieser Art. Sie schöpft nach wie vor ihre Aufträge aus sich selbst.
Aber wir, die wir uns mit Kunst befassen, machen dabei Erfahrungen, von denen wir sehr
gut befähigt werden, an diesen Themen zu arbeiten.
Wenn sich nun eine Gemeinschaft nicht hinreißen läßt, die Kunst bloß zum Anlaß
für Geselligkeit zu erniedrigen, hauptsächlich für Repräsentationszwecke zu
funktionalisieren, oder gar Kulturbudgets für allerhand Marketingarbeit zu mißbrauchen,
dann kann aus eben dieser Befassung mit Kunst viel entstehen, wovon diese gesellschaft
profitiert.
-- [Das 2017er Kunstsymposion]
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