next code: divan / page #2 Die Kunst schützt uns vor Gleichgültigkeit
(Über ein Gespräch mit dem bosnischen Autor
Dzevad Karahasan)
Von Martin Krusche
"Die Kunst schützt uns
vor Gleichgültigkeit, der Mensch aber lebt, solange er nicht gleichgültig ist."
(Karahasan)
In der Geschichtschreibung deutet man das
19. gelegentlich als Das lange Jahrhundert. In dieser Sicht endete es nicht
mit 1900, sondern 1919, mit dem Ersten Weltkrieg. Für Karahasan, der dieser Deutung
zustimmt, ist das 20. demnach Das kurze, das kürzeste Jahrhundert, welches
mit dem Krieg in Bosnien 1992 endgültig zu Ende ging. Von diesem kurzen
Jahrhundert handelt im Grunde sein Buch Berichte aus der dunklen Welt.
Karahasan, der Sarajewo unter wachsender Bedrohung durch serbische Kräfte hatte verlassen
müssen, man war damit befaßt gewesen, die bosnische Intelligenz auszulöschen, schrieb
in seinem Tagebuch der Aussiedlung: Das ist die niederschmetternde
Wirkung dieses Krieges auf jene, die davonkommen, auf jene, die nicht verletzt oder
getötet werden: sie verlieren das Vertrauen in die Realität ... In der Disapora
schreibt er sich offenbar nach Kräften in ein Realitätsvertrauen zurück.
Sein Prosaband "Berichte aus der
dunklen Welt" beginnt mit einer Anatomie der Traurigkeit in einem Café
in Piacenca. Von da führt er in Zeitsprüngen durch die Geschichten einiger Menschen, um
die Hintergründe der europäischen Geschichte dieses kurzen Jahrhunderts
etwas auszuleuchten.
Der Bosnier Karahasan, ein Moslem, mit
Koran und Aristoteles gleichermaßen gut vertraut, sagt selbstironisch: Ich bin ein
Balkaneser. Das spielt auf Ressentiments an, die er immer wieder erfährt. Das
handelt aber auch von einem erheblichen Selbstbewußtsein als Europäer. Die
südslawischen Völker wurden während der letzten fünf Jahrhunderte von Osmanen und
Habsburgern vor allem als regionale Manövriermasse verstanden und behandelt. Der Kalte
Krieg und der Sezessionskrieg Jugoslawiens boten danach einen Satz von Stereotypen an, der
auch heute noch breite Verwendung findet.
Karahasan: Das Bild von mir in
Deinen Augen spricht möglicherweise etwas von mir. Von Dir spricht es aber unbedingt.
Notwendigerweise besagt es etwas von Dir. Nämlich: Was wir von anderen Menschen und
anderen Dingen behaupten und denken, besagt sehr selten etwas von diesen Menschen und
diesen Dingen, aber von uns besagt es immer etwas. Insofern ist es absolut unmöglich,
mich vor den Vorurteilen anderer Menschen zu beschützen. Ehrlich gesagt, ich versuch es
auch nicht. Im Gegenteil!
Europa hat es offenbar nicht sehr lange
ohne das bipolare Konzept der Feindseligkeit samt seinem Eisernen Vorhang ausgehalten.
Hieß es eben noch Kommunisten versus Christen, so heißt es nun Moslems
versus Christen.
Karahasan: Die Herrschaften
vergessen stets, daß Harmonie eigentlich das Verhältnis zwischen zwei entgegengesetzten
Haltungen ist. Abgesehen davon: Es gibt keinen einheitlichen Islam. Zwischen
Sunniten und Schiiten sind die Unterschiede so groß, wenn nicht noch größer, wie
zwischen Protestanten und Katholiken. Und das sind bloß zwei der vielen Richtungen
des Islam.
Simplifizierung und die medial forcierte
Praxis des Banalen ergeben den Erfolg von Ansichten, in denen der Begriff
Balkan mit Chaos, Korruption und Mordlust assoziiert wird. Karahasan: Es
tut mir leid, wenn manche Begriffe, die in sich eine Erinnerung an eine großartige Kultur
tragen, die europäische Kultur ist eine großartige, auf eine politische Dimension
reduziert werden. Ohne Balkan gäbe es kein Europa. Der Balkan ist die Wiege der
europäischen Kultur.
Das wird dem Südosten in politischen
Kräftespielen der Gegenwart gerne aberkannt. So heißt es etwa exemplarisch im Kapitel 5
des Programmes der FPÖ unter Christentum -- Fundament Europas: Die europäische
Zivilisation hat ihre ältesten Wurzeln in der Antike. Man beruft sich auf solche
Werte und polemisiert gegen Menschen vom Balkan, gegen Muslime, gegen
Fremde.
Karahasan: Selbstverständlich. Wie
alle Ungebildeten. Herr Strache ist eben ein erfolgloser Student von irgendetwas. Und Herr
Strache hat sein gutes Recht auf seine Ängste, auf seine Vorurteile, er hat auch das
Recht auf Feindbilder, die es ihm leichter machen, mit eigenen Komplexen, Niederlagen,
Ängsten irgendwie zurecht zu kommen.
Der selbstbewußte Einschub des
Europäers Karahasan lautet dazu: Meine Herrschaften, es tut mir leid, aber Platon
war ein Balkaneser. Sokrates auch. Aristoteles, auf den sie sich stets berufen, seit
Thomas von Aquin ihn ihnen erklärt hat, der war ein Angestellter am balkaneser Hof der
Mazedonier.
Thomas von Aquin hätte ohne das Werk und
die Leidenschaft von Ibn Ruschd wohl nie von Aristoteles erfahren. Viele Texte der
griechischen Philosophie sind über Rückübersetzungen aus islamischen Kulturen wieder
nach Europa gekommen, nachdem man sie hier verloren hatte. Wozu eigentlich die permanente
Komplexitätsreduktion? Wozu die Polemiken?
Karahasan: Solange in einer
Gesellschaft Strache und seine Gefolgsleute bis 15 % der Stimmen bekommen, ist die Welt
vollkommen in Ordnung. In einer jeden Gesellschaft müsse es bis 15 % Menschen
geben, die eigene Probleme irgendwie durch Feindbilder zu artikulieren
versuchen.
Der Bosnier räumt ein: Es stört
mich nicht im geringsten, wenn Herr Strache, ein Lastwagenfahrer, ein Unteroffizier, ein
Kellner nach Vereinfachungen greifen, sich die Welt zu erklären. Du bist Feind, er ist
Freund. Sie ist Frau, sie ist eine Heilige, sie ist eine Hure. Die Welt ist gottseidank
einfach, meinem Verstand angepaßt. Aber wenn die Intellektuellen, wenn die
Werteproduzenten, wenn die Leute, die Wertbegriffe, Wertvorstellungen
schaffen, wenn Deutungseliten nach Vereinfachungen greifen, ist der Teufel los.
Er bekräftigt: Nichts ist so
einfach, wie manche es gerne hätten. Und ich sage bloß, Vereinfachungen sind das
Gefährlichste, was es überhaupt geben kann.
Er sieht bei den
Werteproduzenten eine maßgebliche Rolle und Verantwortung. Das macht
Karahasan am Beispiel des Sezessionskrieges Jugoslawiens deutlich: Die Kriege auf
dem Balkan sind vorab geschrieben worden. Er betont ein bemerkenswertes Faktum:
Genosse Tito war der größte Sohn unserer Völker und Völkerschaften.
So wurde er stets bezeichnet. Aus dem sin svih naschih naroda i
narodnosti wurde ein Sample von ocevi nacije: Väter der Nation.
Karahasan ironisch: Seit uns
Freiheit und Demokratie überfallen haben, hat ein jedes Volk auf dem Balkan einen Vater
der Nation. Tudjman in Kroatien Dobrica Cosic in Serbien, Alija Izetbegovic in
Bosnien ...
Karahasan: Der Unterschied zwischen
einem Vater und einem Sohn in einer patriarchalen Gesellschaft ist gewaltig. Wir sagen,
die Herrschaften haben mit der Geschichte, mit der Zeit schlechthin, Liebe gemacht, und
die Völker wurden geboren. Das ist etwas äußerst Merkwürdiges, mein Lieber. Das zeugt
von unserer Entdemokratisierung. Der Genosse Tito war immerhin noch ein Mensch. Doch
dann begann dieses Titanen-Geschäft mit dem Gebären von Völkern
und Nationen. Das ist aber nicht Der Balkan, auf dem solche Merkwüdigkeiten
entwickelt worden wären, das ist Europa seit Napoleon.
Karahasan: Die zweite Winzigkeit,
auf die ich Dich aufmerksam machen möchte, ist, daß diese Herrschaften bis zum Jahre
1966 sehr treue kommunistische Funktionäre waren.
Da sind sie also selber noch Söhne
gewesen.
Karahasan: Tudjman war der
Lieblingsgeneral von Tito. Dobrica Cosic war ein Lieblingsbeamter des serbischen
Polizeiministers. Als Tito sie entmachtet hatte, sind sie quasi Dissidenten, Nationalisten
und so weiter geworden. Sie haben eben die Kriege auch geschrieben. Man muß bloß die
Texte von ihnen lesen. Man muß Aussagen in Interviews lesen. Die Kriege auf dem Balkan
sind geschrieben worden. Danach wurden sie bloß in der Wirklichkeit ausgeführt.
Es wäre natürlich Unfug, eine besondere
Feindseligkeit oder Grausamkeit der Südslawen zu behaupten. Karahasan betont: Die
ganze Zeit des Krieges gab es viele Beispiele, die genau das Gegenteil beweisen. Viele
Serben haben ihr eigenes Leben riskiert, um muslimischen oder bosniakischen Nachbarn zu
helfen. Viele Kroaten haben ihr Leben und Hab und Gut riskiert, um bosniakische Nachbarn
irgendwie zu beschützen. Und umgekehrt. Es geht darum, daß eine gute Information keine
Zeitungsnachricht ist. Man redet nicht darüber. Gute Beispiele würden uns zwingen
nachzudenken. Zu analysieren, zu überlegen, eigene Vorurteile, gestaltete Bilder in Frage
zu stellen.
Er lacht, als er sagt: Die ganze
Zeit des Krieges auf dem Balkan habe ich in Belgrad viel mehr Freunde gehabt als
Miloevic.
Der Autor prangert die Praxis der
Fälschung, die Herrschaft der Vorurteile, diese Selbstzufriedenheit an. Eine Stelle
im Tagebuch der Aussiedlung lautet: Die Menschen haben uns den Rücken
gekehrt, das Glück hat uns verlassen, diese Welt hat sich von uns losgesagt. Allein unser
Auftrag hat uns noch nicht verlassen, noch schützt uns das, was wir lernen, und das
Handwerk, dem wir dienen. Die Kunst schützt uns vor Gleichgültigkeit, der Mensch aber
lebt, solange er nicht gleichgültig ist.
Das bekräftigt Karahasan in unserem
Gespräch. Vergangenheit ist immer da. Es sei denn, du hast sie wirklich kritisch
verstanden und artikuliert zu einem Bestandteil deiner Tradition und Kultur gemacht.
Kultur ist also nicht das, was einem durch das Verrinnen der Zeit einfach zufällt,
sondern ergibt sich aus einem vorsätzlichen Tun, aus der Auseinandersetzung mit dem, was
geschehen ist. In unserer Zeit wird Kultur auf Zivilisation reduziert. Also
Juristerei und Bequemlichkeit. Aber das ist eine verdammte Fälschung. Kultur ist am
wenigsten das.
Er greift zu einem Bild, das sich
vielleicht auch aus der Konvention schöpft, daß Hunde in islamischen Kulturen sehr
negativ konnotiert sind. Auch ein Hund kann sehr bequem leben, kennt die
juristischen Regeln des Benehmens, benimmt sich anständig, solange er es tun muß. Und
auch er achtet die Wünsche seines Herrchens. Dagegen: Die Kultur ist vor
allem und mehr als alles eine Ausdehnung des menschlichen Wesens in der Zeit. Eine
Auseinandersetzung des Menschen mit der Vergangenheit, mit der Gegenwart und mit der
Zukunft. Anders ausgedrückt: Kultur, das heißt glauben, das heißt Erde
bearbeiten, das heißt die Toten begraben. Also Kultur ist unzertrennlich durch Zeit mit
unserem Verhältnis zum Tod verbunden. Am wenigsten ist Kultur eine Kunst bequem zu
wohnen. Oder bequem seinem Nächsten aus dem Wege zu gehen. Quatsch! Ich behaupte, daß es
heutzutage bei uns immer weniger Kultur gibt, weil die Pseudokulturindustrie daran
arbeitet, unsere Zeitvorstellung auf jetzt zu reduzieren.
Zu den Bedingungen einer Massenkultur stellt er sich selbst
in Kontrast: Als Journalist mußt Du eine Leserschaft ansprechen. Als Schriftsteller
einen einzelnen Menschen. Meine Aufgabe liegt darin, daß ich Dich in Deiner absoluten
Einmaligkeit, Unwiederholbarkeit, irgendwie berühre und anspreche. Verstehen wir uns? Ich
hab keine Leserschaft. Ich hab Gesprächspartner.
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