29. März 2016

Abschrecken oder entwaffnen. Das sind die zwei wesentlichen Optionen in einer Konfrontation mit bewaffneten Verbänden. Ich kann sie unter Gewaltandrohung zum Weiterziehen bewegen oder ich kann sie mit meinen Verbänden umhauen.

Diese Ebene der Auseinandersetzung mit den Daesch-Truppen beschäftigt uns in Europa nicht. Hier ringen sie weder um Ressourcen, noch um Territorien. Ich hab im Oktober 2014 ein Notiz zu diesem Teil der Geschichte hinterlassen, mit dem wir ja nichts zu tun haben möchten:

Ibrahim Kurdu, ein Mann meines Alters, beschreibt seine Kampferfahrungen mit dem IS in Kobane als: "...diese Orks, die in Horden losstürmen, und wir können sie nicht stoppen. Die rennen, schießen, rennen, schießen, es ist denen völlig egal, ob sie selber dabei draufgehen, dann kommt einfach die nächste Welle." [Quelle]

Am 5. Februar 2015 kam mir eine vergleichbare Schilderung von Profi-Soldat Gerhard Gerber in Erinnerung: "Die Orks sind da, und wir glauben, wir leben im Auenland." [Quelle] Den Anlaß zu dieser Notiz lieferte ein furchterregendes Video im Netz: Ich war nicht gerüstet, mir anzusehen, wie ein Mensch in einen Käfig gesteckt wird, in eine Lache Brennstoff, und ein anderer ihn in Brand steckt.

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Demonstrative Grausamkeit ist Waffe und Werkzeug

Diese demonstrative Grausamkeit ist keine Domäne von Muslimen, sondernd Standard im Repertoire des Kriegshandwerks. Wir hatten dem zuletzt während der 1990er Jahre auf dem Balkan zusehen können. Da waren es die Hunde des Krieges unter Leuten wie dem babyfaced Killer Arkan Raznatovic, die mit muslimischen Leuten in Bosnien so verfuhren.

Derlei Schrecken halten sich lange in einem kollektiven Gedächtnis. Im Fluch "Kruzitürken!", der in Österreich immer noch Popularität hat, stecken Erinnerungen an die Überfälle von "Kuruzen und Türken" im 16. und 17. Jahrhundert. Ungarische Kreuzzügler (Kuruzen), osmanische Truppen (Türken), aber auch deren Vorhut, Freischärler, die uns als "Renner und Brenner" in Heimatkunde-Büchern erhalten blieben, haben unter der Bevölkerung gewütet. Orks im Auenland.

Die waren gerade so sympathisch, wie unsere Eltern und Großeltern, von denen Horden, militärische Verbände, die "saubere Wehrmacht" genauso wie SS und Polizeieinheiten, während des Zweiten Weltkriegs   plündernd, vergewaltigend und mordend durch Ländereien Europas zogen.

Alles ganz vertraute Motive; übrigens ohne jeden Hinweis, daß irgendjemandem eine "Islamisierung Europas" gelingen könnte. Was uns vaterländische Schreihälse vorbeten, hat keinerlei Substanz. Die erste "Türkenbelagerung" Wiens begann 1529, die zweite 1683. Und dann? Nichts!

Es gibt keinerlei Erfahrungen, daß es islamische Verbände in Europa zu bemerkenswerten Effekten gebracht hätten. Leo Trotzki hat in erschütternden Reportagen beschrieben, wie die Osmanen in den Balkankriegen von 1912 und 1913 die "Europäische Türkei", also den Balkan, räumen mußten.

Hitler machte Muslime kurz zu Verbündeten, da es ja gegen Juden ging, was sich etwa in der skurrilen SS-Division "Handschar" ausdrückte; siehe: [link] Dazwischen gab es noch ein Kuriosum des Großen Krieges.

Kaiser Franz Josef hatte keine härtere Einheit als die in Graz stationierten "Zweier-Bosniaken", das Bosnisch-herzegowinischen Infanterieregiments Nummer 2, welches -- naheliegend -- sehr wesntlich aus Muslimen bestand.

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Friedhof der "Zweier-Bosniaken" bei Lebring

Ich hatte 2013, als wir uns künstlerisch für das markante Erinnerungs-Jahr 2014 vorbereiteten, mit Kuratorin Mirjana Peitler-Selakov den Soldatenfriedhof in der Südsteiermark besucht, der an diese Einheit erinnert: [link]

Wie im vorigen Eintrag erwähnt, seit Napoleons Landung in Ägypten weist nichts darauf hin, daß Muslime geneigt oder gar fähig wären, Europa zu "islamisieren", mehr noch, sie sind ja nicht einmal in der Lage, die Umma zu befrieden und zu einen. Im Gegenteil. Die Grausamkeiten zwischen Schiiten und Sunniten sind kaum zu überbieten, der Wahabismus hetzt Muslime gegeneinander auf.

Was dabei nach "Weltherrschaft" klingt, hat die Qualitäten des "Großem Diktators", wie ihn Charlie Chaplin gegeben hat, oft auch nur die Erbärmlichkeit von "Pinky and Brain". Was hat es also mit diesem wohlfeilen Gesäusel über die Islamisierung Europas auf sich?

Das ist hauptsächlich ein Label, unter dem vaterländische Kräfte politisches Kapital anhäufen. Im Promoten dieses Blödsinns gewinnen Leute von Hace Strache bis Frauke Petry Zuspruch und Stimmen. Das ist nicht bloß eine Desinformationskampagne. Es ist auch ein enorm wichtiger Hilfsdienst für Daesch. Wie? Warum?

Die Orks von Daesch sind im arabischen Raum militärisch längst enorm unter Druck geraten. Das Ringen um Ressourcen und Territorien wird merklich schwerer, wobei es ihnen offenbar immer noch gelingt, etwa Erdöl und antike Kunstgegenstände gewinnbringend auf den Markt zu bringen, was nötige Profite für den Waffenkauf liefert etc. (Wer kauft ihnen Öl und Antiquitäten ab? Wer verkauft ihnen Waffen?)

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Foltern für die Demokratie: "Zero Dark Thirty"
von Kathryn Bigelow

Je schwerer Daesch es "zuhause" hat, desto wichtiger sind Imageerfolge in Europa. Was dann Strache, Petry und Konsorten nicht erzählen: Ist Ihnen wenigstens klar, daß die meisten Attentäter in europäischen Städten nicht gerade erst eingewandert sind? Hier morden Kinder Europas.

Sowohl diese Attentäter, als auch Konvertiten, die nach Syrien gehen, um dort zu kämpfen, haben ein paar harte Hürden zu überwinden. Alle Menschen fürchten zu sterben und haben erst einmal die deutliche Scheu davor, Menschen zu töten.

Dagegen hilft konsequente Brutalisierung, was Zeit braucht. Soll es schnell gehen, dann über Ideologie. Es gibt in Europa kaum effizientere Hilfskräfte der Daesch, als Strache, Petry und Konsorten.

Wer weite Bevölkerungsschichten dazu bewegt, Muslime zu demütigen oder wenigstens lauthals abzulehnen, hilft Daesch bei der Rekrutierung in Europa, inspiriert Konvertiten, macht junge Menschen mit Orientierungsproblemen fit für den Weg ins Mordgeschäft.

Man muß diese erlesene Blödheit erst einmal begreifen. Statt eine soziale, kulturelle und womöglich moralische Überlegenheit "unserer Kultur", "unserer Werte" und "unserer Identität" gegenüber Daesch zu demonstrieren, läßt sich Europas Politik über weite Bereiche von den Vaterländischen vor sich hertreiben.

In diesem anschwellenden, rechtspopulistischen Bocksgesang täuschen wir uns darüber hinweg, daß wir an hausgemachten Problemen in derlei Zusammenhängen noch viel Arbeit haben.

Wir betrügen uns selbst über die deutliche Mitwirkung am Rekrutierungsgeschäft der Daesch mitten in Europa, wo sie Imageerfolge dingend brauchen, mit denen sie militärische Einbrüche im arabischen Raum zu kompensieren versuchen. Strache, Petry und Konsorten sind Wasserträger solcher Entwicklungen.

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