19. Oktober 2014

Kürzlich hatte ich auf Facebook zu notieren: "gegen franco gingen sie von überall nach spanien und ich bleibe gegen IS zuhause. darüber werd ich noch eine weile nachzudenken haben..." ...um zu ergänzen: "p.s.: meine ausflüchte hab ich schon alle durch."

Darüber gibt es mit meinen Leuten keine Debatte. Warum bin ich also noch hier? Am Schießen liegt es nicht. Ich habe den Umgang mit automatischen Waffen gelernt. Ich war nie ein Pazifist. Daran liegt es also auch nicht. Daß ich fast 60 bin und körperlich nicht sehr belastbar, wäre ein halbwegs guter Grund.

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Ich bleibe in der Sache zwiespältig gestimmt. Mein stärkstes Gefühl besagt: Das ist nicht mein Krieg. Es wird zur Zeit gerne herumposaunt, wir hätten einen Krieg mit dem Islam. Mumpitz! Wir haben seit ein paar tausend Jahren das gleiche, stets wiederkehrende Problem. Es heißt nciht "Islam", es heißt "Patriarchat".

Das Patriarchat, gemischt mit mangelnder Verteilungsgerechtigkeit ist jederzeit für unbegrenzt Tote gut. Finden zu viele junge Männer einer Region keine Chance auf eine Zukunft, basierend auf einer adäquaten Existenz, dauert es bloß überschaubare Zeit, bis sie zu einem brandgefährlichen Problem werden, das entweder eine bestehende Regierung im eigenen Land sprengt oder auf ein Nachbarland losgeht; oder beides.

Voila! Einmal mehr haben mangelnde Verteilungsgerechtigkeit und dubiose weltpolitische Vorgänge, ergänzt um ein paar andere Probleme, zum Beispiel repressive Sexualmoral, Machismo, verfügbare Waffen, haben derlei Gemengelagen solche Horden generiert, vor denen offenbar derzeit sogar die Saudis einknicken, die doch überall auf der Welt mit ihren Öl-Geldern sich in die Kultur und Politik anderer einbringen.

Ibrahim Kurdu, ein Mann meines Alters, beschreibt seine Kampferfahrungen mit dem IS in Kobane als: "...diese Orks, die in Horden losstürmen, und wir können sie nicht stoppen. Die rennen, schießen, rennen, schießen, es ist denen völlig egal, ob sie selber dabei draufgehen, dann kommt einfach die nächste Welle." [Quelle]

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Ein unmißverständliches Bild. Haben wir es noch nicht zu deuten gelernt? Ist es nicht Jahrzehnte her, seit die Hisbollah uns klar machte, wie ein todesbereiter Kerl mit Sprengstoff am Leib Millionenwerte abfackeln kann?

Nein, das ist dort nicht mein Krieg. Deren Tote bleiben mir fremd, wo ich mit unseren Toten noch nicht klargekommen bin.

Zur Erinnerung: Ganz Europa hat die südslawischen Leute zuerst einmal im Stich gelassen. Als die Massaker losgingen, blieben wir ratlos und tatenlos. Es mußten dann auf dem Balkan US-amerikanische Kräfte aktiv werden, um einiges zu stoppen, denn Europa war nicht gerüstet, das abzustellen. Wir hatten kein passendes Konzept und kein Verständnis unserer Mitverantwortung.

Srebrenica wird wohl in den Geschichtsbüchern als eine Angelegenheit notiert bleiben, da die Besatzungen moderner Verbände sich die Füße in den Bauch standen, anstatt eine bewaffnete Soldateska in deren Mordplänen aufzuhalten.

Selbst Kampfflugzeuge wurden irgendwo gerade abgestaubt anstatt eingesetzt, während serbische Militärs plus Polizeieinheiten aufmarschierten, in der Folge tausende Muslime umbrachten. Wir merkwürdig, daß die Autobusse verfügbar waren, so viele Opfer wegzukarren, aber keine motorisierten Kräfte, die das, entsprechend unter Waffen, gestoppt hätten.

Nun endet bald das Jahr 2014, in dem wir hätten über 1914 und die Folgen nachdenken können, uns verständigen, einen Stand der Dinge erheben. So ist es nicht gekommen. Auch gut. Muß ich hinnehmen.

Ich habe in diesen Tagen den Aufbau der Installation von Jelena Juresa begleitet. Wir eröffnen kommenden Dienstag. Davor wird es nachmittags eine regionale Kulturkonferenz geben. Abends ist ein bosnischer Dichter unser Gast, der die Mordlager im Raum Prijedor überlebt hat. Muhidin Saric ist Teil unseres Kunstsymposions, während in diesen Tagen bei uns folgende Headline zu lesen war:

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[Quelle: Kronenzeitung, 18.10.14]

Was schert uns das? Es sollte klar sein, die erwähnten Cliquen sind keineswegs in sich so mächtig. Ihre Geschäfte, ihr Geld, ihre Möglichkeiten stützen sich selbstverständlich auf Geschäftsverbindungen, die doch ein wenig über eine Republika Srpska etc. hinausreichen.

Da kommen dann unsere Leute ins Spiel und viele andere, die kein Problem haben, Völker auszuplündern. Irgendjemand außerhalb der eigenen Städtchen, Dörfer, Misthaufen muß diesen Cliquen bei ihrem Tun ja in einträglichen Geschäften gegenüberstehen.

Wir könnten auch darüber reden, wie sehr die EU vom Untergang Jugoslawiens profitiert hat, damit das "Europäische Denken" vorankommt, oder eine genuine europäische Sicherheitspolitik es endlich wenigstens ins Säuglingsstadium schafft.

Wir hier, die wir zum Beispiel mit Mitteln der EU Kulturprojekte realisieren, sollten dazu etwas zu sagen haben. Wie sehr würde es mir gefallen, daß genau die Kräfte, von denen solche Mittel regional konsumiert werden, auch etwas Nachvollziehbares zu derlei Themen beitragen wollten.

Damit meine ich nicht das halblustige Verlinken von kritischen Artikeln, die man so via Facebook seiner Community andient. Ich meine konkrete Wissens- und Kulturarbeit in Österreich, die wenigstens in homöopathischen Spuren Beiträge zu solchen Fragen und Themen enthielte.

Gut, derzeit eher nicht. Vielleicht ein anderes mal. Sollten inzwischen die IS-Orks nur weit genug laufen, kommen sie beizeiten sicher hier vorbei. Oder jene unter den Vertriebenen, die ihnen entkommen konnten. Oder wer oder was auch immer.

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Nein, ich brauche mir kein automatisches Gewehr zu kaufen und ins Arabische reisen, um dort etwas zu bewirken. Die patriarchale Arroganz, das frauenverachtende Gehabe, die Gewaltverliebtheit und der Mangel an Verteilungsgerechtigkeit lassen sich überall abarbeiten. Es läßt sich im Aufstehen dagegen überall Wirkung entfalten.

Was immer ich in der Sache für wichtig halte, muß ich nicht in Kobane und an der Seite von Ibrahim Kurdu tun, es kann auch hier in der Oststeiermark getan werden. Fehlt bloß eines, das hat Kulturmensch Gernot Lauffer gerne so ausgedrückt: "Tun ist gut, wenn man tun tut."

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