16. August 2013 Es ist
alles sehr simpel angeordnet und zeitraubend. Mein Pendeln zwischen trivialer
Redaktionsarbeit, komplexen Planungsschritten und der eigentlichen Arbeit, durch die sich
jene Ausstellung ergeben soll, in der ich einen Eindruck von den ersten zehn Jahren des "the
log distance howl" schaffen möchte.
Wenn du den Tee nicht so süß magst, dann nicht
umrühren, sagt Mustafa Gül. Er trinkt Tschai so wie ich meine Küberln voll Kaffee,
für den Genuß und um durch den Tag zu kommen. Wie sehr ich es mag, mit Menschen im
Kontrast zu sein.
Es ist auch sehr oft verwirrend. Und dennoch wünsche ich
es mir nicht anders. Dazu kommt die Tiefe zeitlicher Räume. Rückblicke. So geraten meine
Auffassungen von mir selbst ganz unscharf, denn ich stehe immer in Beziehung zu dem, was
ich erfahre und erlebe, sei es die Gegenwart oder die Vergangenheit betreffend. Wenn ich
es dann immer wieder schwer verstehe, weil da eben Verwirrendes ist, macht mich das selbst
unklar; dabei ahne ich freilich, daß das gute Zustände sind.
Ich hab noch gar nicht vom Friedhof der Zweier-Bosniaken
erzählt, genauer, des Bosnisch- herzegowinischen Infanterieregiments Nummer 2,
das in Graz stationiert gewesen ist. Des Kaisers härteste Burschen. Keine
österreichische Einheit des Ersten Weltrieges war höher dekoriert.
Es führt keine befestigte Straße in die Nähe dieses
Terrains. Eine grobe Piste zwischen verbranntem Mais, der sich unter dieser August-Hitze
duckt. Dann ein schmaler Feldweg zum Portal.
Ich war mit einem sehr traurigen Gefühl dort, noch unter
dem Eindruck der Zeitungsberichte, die Leo Trotzki über die Balkankriege von 1912 und
1913 geschrieben hat. Darunter die bewegende Wiedergabe von Gesprächen mit einfachen
Soldaten, wie etwa mit jenem, den osmanische Schrapnells im Rücken getroffen hatten und
der erzählte, daß es ihm fast denn Verstand raubte, wie die Metallsplitter in seinem
Fleisch nur sehr langsam abkühlten.
Die Berichte von jenen mit Schlachtfelderfahrung sind
gewöhnlich vollkommen anders als alles, was wir aus üblicher Propaganda kennen, seien es
Heftchen, Magazine oder Spielfilme. Eine ganze Gesellschaft muß hinterher die Traumata
aufnehmen, falls sie nicht ohnehin direkt in die Kriegshandlungen verstrickt war und ihre
Wunden von da bezog. Ich hab im vorigen Eintrag
dazu einige Überlegungen notiert.
Früher oder später reden etliche von den Tätern. (Und
Leute wie ich, die als Kinder den Tätern in die Arme gelegt wurden.)
Es ist ja so, daß die Brutalisierung durch Kriegsgeschehen
keineswegs nur hartgesottene Leute trifft, welche verschuldete Greuel wegstecken können.
Oft lassen sich Leute zur Gewalttätigkeit hinreißen, worauf sie damit auch sich selbst
beschädigen und mit den Erinnerungen keineswegs heil davonkommen.
Irgendwann sind die Belege für Massaker oder für systematisches Mißhandeln und Töten
in Lagern so umfassend und vollständig, daß jeder Zweifel sich gegen solche anerkannten
Faktenlagen nur mehr mühsam aufrecht halten kann.
Bis dahin genügt es unter uns, die wir keine Betroffenen sind, vermutlich völlig, Opfer
und deren Angehörige ernst zu nehmen, sie nicht zu ignorieren, ihren Stimmen Gehör zu
verschaffen und ihrem Status Respekt zu zollen.
Ich kenne von meinen Leuten so viele Wege und
Winkelzüge, durch die das Einfachste ausgeschlagen wurde; nämlich sich aufzurichten und
zu sagen: Ich erkenne an, was wir an Millionen Opfern verursacht haben. Ich
höre die Stimmen der Überlebenden und lausche ihnen, schamvoll schweigend, bis sie zu
Ende geredet haben. Ich erweise ihnen meinen Respekt, indem ich nicht versuche, diese
Stimmen zu diskreditieren."
Haben meine Leute wenigstens annähernd so gehandelt? Das haben sie auf keinen Fall. Ich
habe ihre Schönrederei immer noch in den Ohren und ich schäme mich heute sogar der
inzwischen Toten, wie sie sich gewunden haben, wie sie Gründe und Belege gesucht haben,
die anklagenden Stimmen herabzusetzen, deren Glaubwürdigkeit zu erschüttern.
Es ist eine brennende Scham, die mir als Bürde blieb, weshalb ich bei meinen Leuten nicht
einmal ihre Gräber kennen möchte, denn dieses Verhalten, das keinen Zuruf, keinen
Einwand annahm, das selbst von Nachgeborenen noch mitgetragen und auf die Art legitimiert
wurde, verlangt nach Distanz.
Nur Abstand scheint zu wirken, scheint etwas zu bewirken, wo das Leugnen, Heucheln und
Lügen uns über so viele Tote hinwegetragen hat. Das ist meine Antwort, die ich ihnen zu
geben habe, bis hin zu meiner Mutter:
Ich werde nicht einmal wissen, wo eure
Gräber liegen. Im Tod werde ich euch unter jene mischen, deren Tod ihr mitzuverantworten
hattet. Ich lösche euch aus unseren Erzählungen, damit eure großen Akte der
Auslöschungen jenes fehlende Element zurückerhalten, jenes Bruchstück, dessen Lücke
ihr in die Leben anderer gerissen habt. Wie ihr andere verschwinden gemacht habt, so
lösche ich euch uns meinem Blickfeld und mache vergessen, wo ihr verscharrt worden seid.
-- [the balkan sessions]
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