10. August 2013

Das Unwetter rüttelte am Haus. Endlich ist die Hitze der letzten Tage gebrochen. Ich hab hier schon erwähnt, daß ich auf der Rückreise vom Balkan sogar warmes Wasser zu schätzen wußte, das ich unter anderen Umständen wohl nicht freiwillig trinken würde.

log1895a.jpg (26285 Byte)

Nun ist endlich der Regen angekommen. Die hinter mir liegenden "Balkan Sessions" haben einige bemerkenswerte Debatten enthalten. Verfügen wir über ausreichende Klarheit über die Vorgänge, auf denen unsere Existenz derzeit beruht? Ich muß befürchten, daß selbst vergleichsweise harmlose Zusammenhänge umgehend der Legendenbildung übergeben werden. Wie ist es dann erst mit brisanten Stoffen?

Auf der jüngsten Ausfahrt war ich mit Menschen ins Gespräch gekommen, die Fragen hatten, ob es denn angemessen sei, einstige Lager im Raum des bosnischen Prijedor „Vernichtungslager" zu nennen. Ich sehe da natürlich keine Möglichkeit zu einer akademischen Debatte.

Ich habe früher mit Leuten an einem Tisch gesessen, die Omarska, Kosarac oder Keraterm überlebt hatten. Was sie sahen und wovon die erzählen können, ist einfach zusammengefaßt: Mißhandlungen, Folter, Vergewaltigungen, Mord. Und allerhand Anstrengungen, um die Leichen loszuwerden.

Das ist ja ein großes Problem der Tyrannis: Wie lassen sich die Spuren beseitigen, wo später Rechenschaft gefordert wird? Tote Leiber, falls sie sich zu häufen beginnen, nachhaltig verschwinden zu machen, das ist sehr schwierig; in jedem Sinn des Wortes.

log1895b.jpg (30201 Byte)

Ich denke, es macht einen kategorialen Unterschied, ob ein ganzes Dorf umstellt und deren Bevölkerung massakriert wird oder ob man die Menschen in eine bereitgestellte Infrastruktur schafft, selektiert und danach längerfristig unterschiedlicher Behandlung unterzieht, um sich vor ihrem Tod an ihren Leibern zu vergehen und ihre Angst zu saufen.

Spitzfindigkeiten? Ich muß widersprechen.

Eine marodierende Soldateska, die über einen Ort herfällt, mordet und abzieht, bringt nicht die gleiche Kategorie ins Spiel wie eine Lagermannschaft, die sich Frauen und Männer unterwirft, auch Kinder und Jugendliche nicht verschont, um sich mit ihnen die Zeit zu vertreiben und sich an ihnen auszutoben, bis die Opfer ausgeblutet, am Schrecken und an den Mißhandlungen verreckt sind.

So viel Trennschärfe sollte in unseren Betrachtungen sein, wo wir doch alle zugesehen haben, wie sich das vollzog, als keine Geheimnisse mehr darin lagen.

Ich war übrigens ziemlich überrascht, daß eine junge Frau in unserem Gespräch schon nach etwa drei Sätzen das Wort „Handschar" im Mund hatte. Unter meinen Leuten weiß nahezu kein Mensch, was das bedeutet. (Siehe dazu: "Steinerne Verhältnisse zum Tanzen bringen", Blatt #1 & Blatt #2 von 2008!)

log1895c.jpg (27312 Byte)

Wie kam sie also dazu, es anfangs auszusprechen, da wir gerade erst auf die Republika Srpska gekommen waren, auf Bosnien?

Ich möchte ihr nichts unterstellen, sondern gehe nun assoziativ vor, verfolge also meine ganz eigenen Gedanken. Die SS Division „Handschar" war eine Kuriosität im Raubzug der Nazi, eine mit Muslimen aufgestellte Einheit dieser Verbrecherorganisation, der faschistischen „Schutzstaffel".

Man darf sicher zurecht annehmen, daß deren höherrangige Kommandeure über antisemtische Motive eine Allianz mit Hitlers Schergen interessant fanden. Das verweist also auf den Zweiten Weltkrieg, in dem kroatische Ustaschen sich mit dem faschistischen Regime vorzüglich vertrugen und nahe Jasenovac das meines Wissens einzige Konzentrationslager jener Zeit errichtet hatten, welches nicht von Nazi etabliert worden ist, sondern eben von den südslawischen Ustaschen.

Im Zerbrechen Jugoslawiens spielten kroatische Kräfte eine ganz andere Rolle. So haben sie etwa mit der Vertreibung serbischer Leute aus der Krajina einiges zu den anschließenden Katastrophen beigetragen. Vor allem aber waren kroatische Verbände Aggressoren in Bosnien und Hercegovina. Dort schienen sich serbische und kroatische Politik ein Weilchen einig, daß man sich das Land aufteilen könnte, wenn man die Muslime wegschaffen würde.

Und was sind nun Bosniaken? Es ist auch da kompliziert.

In Jugoslawien endete eines Tages die Definition des Volkes nach religiösen Kriterien (Muslime) und eine politische Definition (Bosniaken) wurde für jene eingeführt, die sich weder der kroatischen noch der serbischen Seite zurechneten. Sie hatten sich, so war mir erzählt worden, bei Erhebungen davor vielfach als „jugoslawisch" deklariert.

In Videodokumentationen kann man den serbischen General Ratko Mladic wütende Ankündigungen hersagen hören, in denen er die Bosniaken mit den Osmanen assoziiert und allerhand Grausames an Revanche als notwendig behauptet.

Muß ich demnach, wenn ich heute mit kroatischen Leuten über die Lager in Bosnien rede, erst einmal den Umweg über die Geschichte nehmen und die Einsätze einer muslimischen SS-Division in meine Überlegungen einbeziehen?

Das muß ich selbstverständlich nicht.

In Kategorien möglicher Revanche kann ich außerdem nicht über Zeitgeschichte nachdenken. Aus dem Kosovo hatte ich die Anregung mitgebracht, nach Kräften zu unterscheiden, was das Volk und was die Fahne sei. Ein bemerkenswerter Gedanke.

Was will die Politik und was die Bevölkerung? Wir werden früher oder später vielleicht von Dokumenten erfahren, die klarlegen, in welche Missionen eine jeweilige Regierung eingeweiht war und in welche nicht. (Dabei wird auch Österreich seinen Beitrag zum Untergang Jugslawiens offenlegen müssen.)

Ich denke, es weist sehr viel darauf hin, daß Belgrad seinerzeit die Aktivitäten der Verbände von General Mladic und "Arkan" Raznatovic mindestens gebilligt hat. Man wird auch über die Einsätze serbischer Sonderpolizei („Skorpione") nicht völlig im Unklaren gewesen sein.

log1895d.jpg (30704 Byte)

In Kroatien wird man sich früher oder Später Rechenschaft geben müssen, was an Tudjman war, welcher „Vater der Nation" sein wolle und nicht mehr „Sohn der Völker", wie vor ihm Tito.

Was Regierung, bewaffnete Einheiten und Bevölkerung jeweils billigten oder aber intendierten, das sind verschiedene Angelegenheiten. Diesbezüglich ist es mir lieber, solide Kräfte internationaler Geschichtswissenschaft und Publizisten von tadelloser Reputationen sowie juristisch kompetentes Personal klären die Detailfragen, stellen sie öffentlich zur Diskussion. Das möchte ich nicht an Wirtshaustischen abgehandelt sehen.

Was können wir also über die Lager etwa im Raum von Prijedor wissen? Werfen die Sprachregelungen Probleme auf? Ist Bodycount eine wichtige Kategorie? Wir werden sehen.

Es gibt Überlebende und es gibt Zeugenberichte. Es gibt allerhand Sachverhalte, die geordnet werden können, um das Bild zu vervollständigen. Früher oder später werden vermutlich auch manche der Täter sprechen. Oder es werden Angehörige von Tätern sprechen...

-- [the balkan sessions] --

[kontakt] [reset] [krusche]
32•13