22. Mai 2014 Es
passiert schon wieder! Statt mich der Erwerbsarbeit zu widmen und einträgliche Dinge zu
tun, verliere ich mich in einem Geflecht von Reflexionen. Gestern war mir außerdem die
rechte Hälfte meiner Nase anästhesiert worden, was einen irritierenden Zustand ergibt.
Meine Zahnärztin, eine Frau von robuster Fröhlichkeit und
mit dem seidigen Vornamen Dunja, weiß schon, daß mein widerspenstiges Fleisch eine
kräftige Dosis braucht, um sich der Fühllosigkeit zu ergeben.
Nach der Behandlung fragte ich die Assistentin:
"Eine Stunde nicht spülen, schließt das auch Drinks aus?" Mit einem
Gesicht, das tiefes Bedauern ausdrückte, antwortete sie: "Wenn es möglich
ist."
In diesem mental geschwächten Zustand hatte ich dann
zuhause einen Diva-Anfall, weil die zunehmende Komplexitätskrise aus den zur
Debatte stehenden Themen mir schon zwei Tage zu schaffen macht.
Diva-Anfall, das heißt, man gibt der eigenen
Zickigkeit freien Lauf und läßt emotionale Äußerungen zu, wie sie im Alltag normal an
der Kette hängen. Bei mir wirkt sich das manchmal so aus, daß ich mir ein Krönchen
aufsetze und jemanden anbrülle.
Mangels Gegenüber, das sich auf eins-zehn zusammenstauchen
ließe, habe ich mich vor den Spiegel gestellt und mich selbst angebrüllt. Geht auch, ist
aber nicht so erfüllend wie die dialogische Situation.
Komplexitätskrise. Da wäre also meine noch nicht ganz
stabile Theorie der Busenwunder im Pop-Business ("Arsch-und-Titten-Theorie"),
abgeleitet von Tanizaki Junichiros Essay "Lob des Schattens Entwurf
einer japanischen Ästhetik".
Ich hab gerade nachgesehen, von diesem anregenden Text war
hier in einem Eintrag vom April
2006 schon einmal zu erzählen, überdies auch von meinem Sohn, der auf dieser Page
erneut zur Sprache kommen wird.
Da wären ferner meine Mutmaßungen über die Konvergenz
von Autodesign und der Verfügung über die Silhouette weiblicher Körper, wovon ich im Eintrag vom 16.5.2014 zu erzählen begonnen habe.
Ein erster flüchtiger Blick auf das Design-Schema des Car
Design-Universums von Paolo Tuminelli stellt mir Bestätigung in Aussicht. Er hat Detroit
Baroque sehr präzise eingegrenzt; zwischen 1955 und 1959. Bingo! Aus dessen
Wechselwirkung mit New Line kommt die Edge Line zutage. Im weiteren
Verlauf flankieren einerseits New Baroque und andrerseits die Wedge Line,
also die Keilform, den Gang der Dinge.
Ich werde demnach die Entwicklung von Jane Mansfield (15.5.14) zu Twiggy in diesem größeren
Zusammenhang darstellen können. Aber die Prioritäten sind gerade etwas verschoben.
Gestern erzählte mir eine SMS meines Sohnes, daß er derzeit die zweite Nacht im neuen
Job angehe: "...dauerhafte nachtschicht. muss ich erst einmal klarkommen damit,
aber sonst passt alles :)"
Also haben wir uns heute zum Frühstück verabredet, denn
seine Hackn läuft von 22:00 Uhr nachts bis 6:00 Uhr morgens. Ganzwöchig. Milchkaffee und
Gulasch, das wäre ja nicht meine Sache im Frühstückshimmel.
Karosseriebau. Was für ein Schwank! Ich so ein
Automobil-Paparazzo, mein Mädchen in der Chefetage bei maxim integrated, wo für
die Autoindustrie Chips entwickelt werden, nun mein Bub am Fließband. Das glaubt mir ja
kein Mensch!
Rechnet man ein, was ich mich gerade in letzter Zeit wieder
über Teile einer weitgehend bewußtlosen, aber ziemlich blasierten Mittelschicht
geärgert habe, Leute, die Standesregeln ihres Milieus nur noch simulieren, was etwa
Bildung, Wissen und Kunstsinn angeht, hat das schon seine Richtigkeit.
Während sich also allerhand Spießer und
Mittelschicht-Trutschen ihre Kinder an Universitäten wünschen, bin ich stolz, daß mein
Sohn ein Arbeiter ist, der seinen Job ernst nimmt.
Ich verachte ja das akademische Personal nicht. Ganz im
Gegenteil. Leute mit Wißbegier und Esprit bieten mir auf diesem Terrain Möglichkeiten,
die ich hier sonst nicht habe. Ich stoße mich bloß an den Posern und Simulanten, an den
geschwätzigen Parvenüs, den radikalen Aufsteigern mit ihrem Hang zur Falschmünzerei.
Ein Beispiel für diesen anderen Umgang mit Wißbegier und
Wissen ist mir der Historiker Karl Stocker, den ich kürzlich wieder besuchte, mit dem ich
vor allem auch Belange und Konsequenzen der Pop-Kultur gut erörtern kann, weil ihn das
nicht seit Jahren, sondern seit Jahrzehnten beschäftigt.
Stocker, Pop und Bricolage, das war für mich
einst ein fixes Wortgefüge. Der Begegnung und Kooperation mit ihm und seinem Kollegen
Karl Kaser, die beide keine Scheu hatten, sich mit einer "wissenschaftlichen
Hilfskraft" (so der Fachausdruck) wie mir in Projekten auseinanderzusetzen,
danke ich Zugänge zu Texten von Imanuel Geiss, Ernest Gellner, Eric Hobsbawm oder Jacques
Le Goff.
Das war für mich gewesenen Lehrbuben damals ein Schock;
ähnlich wie das in einem Café gefundene Buch für den Fabrikarbeiter, so hat das -- wenn
ich mich recht erinnere -- Ingeborg Bachmann in einer Kurzgeschichte beschrieben.
Stocker, selbst Sohn eines Fabrikarbeiters, schien sich zu
erinnern und sagte an jenem Abend: "Wir haben beide daran geglaubt, daß Texte
Werkzeug und Waffe sind." Daran glaube ich immer noch...
-- [The Track: Pop] -- |