11. April 2006 Manchmal
verzweifle ich ein wenig daran, daß meine Bibliothek keine ausreichend straff geordnete
Angelegenheit ist, sondern sich, wie etwas Wucherndes, durch meinen Wohnraum zieht. Aber
das Gefühl bleibt zwiespältig.
Denn die Bücher und anderen Schriften säumen fast jede
begehbare Stelle in meiner Wohnung. Das hat gute Gründe. So bin ich stets von den Stoffen
umgeben, mit denen ich mich gerade befasse. Allerdings bleibt den Büchern das Badezimmer
erspart, denn sie vertragen sich nicht mit Feuchtigkeit. Und es bleibt ihnen die Toilette
erspart, denn diese Art von Selbstdarstellung (diesen Ort mit Büchern auszustaffieren)
erscheint mir zu keck.
Manchmal verzweifle ich ein wenig, weil ich ein bestimmtes
Buch finden möchte, aber es steht oder liegt an keiner der plausiblen Stellen. Dann
vergesse ich über dem leichten Ärger kurz, wie gerne ich in Büchern wühle, sie in die
Hand nehme, betrachte. Ich würde niemals meine Buchhandlung für einen online-Shop
aufgeben. Ich muß von Büchern umgeben sein.
So fand ich damals, durch Zufall, ein Bändchen, nachdem
ich nicht gesucht hatte. Sowas geht eben eigentlich nur in einer Buchhandlung. Mir war der
schlanke Buchrücken, gerade eine Spanne hoch, aufgefallen.
Nun hatte ich meine Wohnung durchforstet. Weil ich das
"Lob des Schattens" von Junichiro Tanizaki nicht finden konnte. Jenen Entwurf einer
japanischen Ästhetik, dessen Lektüre mir (wie wenig sonst) deutlich gemacht hatte,
welche Wurzeln der verfeinerte Geschmack im Alltag hat. Tanizaki legt seine Ansichten
darüber vor allem an Teilen der Häuser Japans und an Gebrauchsgegenstände dar. So
schreibt er:
"Das, was man als schön bezeichnet, entsteht in der
Regel aus der Praxis des täglichen Lebens heraus. So entdeckten unsere Vorfahren, die
wohl oder übel in dunklen Räumen wohnen mußten, irgendwann die dem Schatten
innenwohnende Schönheit ..."
Ich erwähne das bezogen auf das Gerümpel und die Birne, die
ich in den letzten Tagen als Beispiele angeführt hatte. Woraus "das Schöne"
hervorgeht. Da der Alltag als Quelle dafür so nahe liegt. Nicht weil der Alltag eine
Besonderheit hätte, sondern weil man sich selbst, in seiner Position dem Alltag
gegenüber, verändert.
So wie sich die Hände eines Geigers verändern, der jeden
Tag zu üben hat, um seinem Instrument gewachsen zu bleiben, ist es mit unseren Sinnen. So
war das gestern, unter dem Bild der Birne, gemeint: "Man könnte sagen: wahrnehmen
kommt von wahrnehmen."
Cut!
Mein Sohn hat ein großes Faible für eine bestimmte Art
von Schlagobers, das kraftvoll aus der Dose quillt, schießt, wenn man den Knopf, die
Düse kräftig drückt. Begleitereignis einer Torte, die er mir ins Haus gebracht hat.
Die, so gesehen, als Beleg ausgegeben werden könnte, daß endlich jemand den Mars
betreten hat. Dabei ist es bloß so, daß ich gerade jenen Abschnitt eines Lebens betreten
habe, in dem man unerbittlich als älterer Herr erscheint.
Wozu mir Johannes M. Musolf ein Paket gesandt hat, dessen Inhalt mich sehr
bewegte. Weil er einen Prozeß von nun gut zwei Jahren in einen Augenblick und eine
bestimmte Form gebracht hat, etwas, das uns verbindet:
Ich bin ein beneidenswerter Mann. Denn diese besonderen
Zusammenhänge gehören zu meinem Alltag. Wenn auch das genannte Beispiel für mich ebenso
Besonderes ist und natürlich nicht alle Tage vorkommt.
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