15. Mai 2014

Ich habe bei meiner kleinen Popkultur-Exegese gestern erwähnt, da sei noch nicht zu Ende erzählt, denn ich hätte auch anderes zu tun. Das betraf einerseits die Meta-Ebene, auf der ich eine "Kultur der körperlichen Arbeit" zu verstehen suche. Siehe dazu: [link] Das betrifft auch deren praktische Ebene, wo ich in der Stadt eine Plauderei mit inspirierten Mechanikern hatte, die zwei unterschiedliche Generationen repräsentieren.

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Der kluge und erfahrene Ferdinand Fleck (rechts), dessen Biographie sich mit der Volksmotorisierung nach dem Zweiten Weltkrieg verwoben hat, und Michael Toson, mit dem ich 2012 (verstärkt durch Graphic Novelist Jörg Vogeltanz) einen schönen Akzent setzen konnte.

Wir haben in der legendären und letzten original erhaltenen Halle P des Einserwerkes von Johann Puch nach rund hundert Jahren des wirtschaftlichen Betriebs die allererste Kulturveranstaltung realisiert: [link]

Es sind solche Handwerker, mit denen ich seit rund einem Jahrzehnt mehr zu tun habe als je zuvor. Sie bilden einen Kontrast zu gegenwärtigen gesellschaftlichen Zuständen, in denen "Star sein" nicht mehr heißt, etwas sehr gut zu können, sondern auf der Straße erkannt zu werden. Was solche Handwerker an Wirkung auf mich ausüben, könnte man in einem Gebot formulieren:

Man glänzt nicht vor der Welt, sondern macht in der Sache einen guten Job.

Das paßt alles auch ein wenig zum vorherigen Thema, denn die individuelle Motorisierung ist eines der tragenden Motive, wenn wir Popkulturen und Jugendkulturen verzahnt betrachten. Zurück zur Frage: Verstehen Sie Pop-Kultur, wenn man sie Ihnen erklärt?

Kommen wir zur Sache, sollen Faktenlagen erörtert werden, empfiehlt die Popkultur ja keine Attitüde "schlau und weise", sondern setzt auf "streetwise". In der Arsch-und-Titten-Welt des Rap geht es um "Respect". Darum wird "gebattled" und wer nicht geistreich, goschert und ausreichend reaktionsschnell im verbalen Zuschlagen ist, erfährt keinerlei Gnade, wird hart "gedissed" (= disrespected).

Wir sind da natürlich zivilisierter, weshalb mir die jugendliche Demoiselle meine Einwände so quittierte:
"Jetzt bin ich grad schockiert, mit welcher niveaulosen Art manche Menschen ihre Meinung kundtun müssen, und auf diese respektlose Art und Weise auch noch besonders schlau und weise wirken wollen. Peinlich!"

Lassen Sie sich also bitte noch ein Weilchen auf mein Niveau herab. Es könnte interessant werden. Ich vermute, wir finden die sexuell aggressive Selbstdarstellung von Frauen in manchen Kulturen vor allem da, wo aus verschiedenen Gründen die Konkurrenz um "gute Männer" extrem hart ist.

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Svetlana „Ceca“ Ražnatovic 2006
(Foto: Kavkaz13, Creative Commons)

Das kann an sozialen Rahmenbedingungen liegen, wie in zerrütteten Vierteln der USA, das kann an den Traumata einer Postkriegsgesellschaft liegen, wie auf dem Balkan. Wer je auf ATV den Perlen österreichischer Männerwelt auf der Pussy-Pirsch nach Rumänien, in die Ukraine oder ähnliche Regionen folgte, bekam genug "nuttige" Selbstinszenierungen selbst völlig "unnuttiger" junger Frauen zu sehen.

Ich kann das Betrachten einiger Folgen von "Das Geschäft mit der Liebe Frauen aus dem Osten" auf Youtube nur wärmstens empfehlen; man riskiert allerdings einige Illusionen über Männer des Westens einzubüßen. Die selbsternannten "Muschi-Checker" und "Muschi- Magneten" sind ja mit ihrem Selbstverständnis das eigentliche kulturelle Problem, über das wir streiten könnten.

Wollen wir statt dessen lieber über die "nuttigen Weiber" herziehen, könnte ich als Kerl einstimmen und wäre aus dem Schneider. Supa! (Ich weiß schon, jetzt geht's für mich auf dünnes Eis und die Heuchelei-Warnlampe hat kurz geglimmt.)

Ein Ausgangspunkt unserer Debatte war ja der Demoiselle geäußerte Ansicht: "Ich finde einfach, dass so ein 'nuttiges' Verhalten auf einer Eurovision-Songcontest-Bühne nix verloren hat."

Nun halte ich das kritisierte Video "My Slowianie" [link] von Donatan & Cleo in der Tat für Mist. Aber nicht aus "moralischen" Gründen, sondern weil es eine sehr müde Kopie dessen ist, was dieses Genre bisher vorgelegt hat.

Die Quelle ist natürlich Amerika: Hip Hop und Rap mit Gangstas und Bitches. In Deutschland sind nur die Kerle populär geblieben. Leute wie Sido oder Bushido. Die Genre-Schlampen wurden auf dem Boulverad weitgehend erledigt. Auf dem Balkan wird das Thema dann wieder kräftig an den Wurzeln, genauer, an den Eiern gepackt.

Die Szene des "Turbofolk" kann sich zwar in Marktwert, Präzision und Verbreitung nicht mit dem amerikanischen Original messen, aber in seine Radikalität und seinem himmelschreienden Sexismus allemal.

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Katarzyna "Kayah" Rooyens
(Foto: Ja Fryta, Creative Commons)

Sängerinnen wie Ceca Raznatovic, Seka Aleksic oder Jelena Karleusa lassen Madonna in Sachen Schlampenfaktor fast fromm aussehen. Von dieser Szene erzähle ich später noch ein paar Takte.

"My Slowianie" ist ein polnischer Titel, würde auf Deutsch "Wir Slawen" lauten. Das könnte zu denken geben, falls man über das Video von Donatan & Cleo nachdenken möchte. Der offizielle Beitrag zum Eurovisions-Song-Contest darf ja als eine Botschaft an Europa gelesen werden. Richtig?

Fußnötchen:
Eine der populärsten Sängerinnen Polens ist Kayah. Schmeißen Sie diesen Namen in einen Bildersuchlauf des Internet und erzählen Sie mir, was es da zu sehen gab. Ihre kraftvolle Interpretation des Roma-Klassikers "Ederlezi" ("Nie ma ciebie") ist eine äußerst hörenswerte Verbindung mit dem Balkan, weil Goran Bregovic sich dafür begeistert hat.

Ich habe hier wie auf Facebook angedeutet, daß ich bei dem aufgepumpten Frauenbild einen Zusammenhang vermute mit der Schwierigkeit, einen "guten Mann" zu finden. Wenn die Männer gerade knapp sind und die erreichbaren Männer zerrüttet, traumatisiert oder auch bloß ohne reelle Chance auf eine stabile Existenz, müssen Frauen entweder abhauen oder sich auf sexuell aggressivere Codes einlassen.

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Klassischer Cadillac mit "Flamejob" und "Dagmar Bumpers"

Abhauen geht ja kaum noch, wenn man in einem armen und/oder zerrütteten Land geboren wurde. Bleibt der brutale Wettbewerb um die wenigen interessanten Männchen. Ich kann hier keine fundierte These vorlegen, möchte aber an die Kultur nach dem Zweiten Weltkrieg erinnern.

Die Männerwelt war dezimiert, schwer traumatisierte Kriegsheimkehrer zeigten sich alles andere als vielversprechend. Es war die Ära des "Atombusens" einer Jane Mansfield. Unvergeßlich, wie ihr der damals etwas mickrig erscheinende Mickey Rooney bei einem Auftritt ins ausladende Dekolletee fiel: [link]

Solche Brüste brachten es auch zum Designmerkmal in der Automobilwelt. Die "Dagmars" an Cadillac-Stoßstangen waren eine Referenz von Designer Harley Earl an die Schauspielerin Dagmar alias Ruthie (Virginia Ruth Egnor).

Die Demoiselle war also über meine Einwände "schockiert", die ihr beistehende Madame schrieb:
"Ob du mit deinem letzten Satz meinst, dass ICH mir 'moralische Überlegenheit attestiere', das kann ich - wieder einmal - nicht sicher sagen: was du sagst, klingt immer gut, immer geschliffen, immer intellektuell, nur: verstehe ich es nicht immer wirklich."

Ja, Selbstdefinition durch Feindmarkierung funktioniert zum Beispiel, inem man sich über so ein Video mokiert, die Codes und den Kontext einfach ignoriert, weil es bloß darum geht, sich der eigenen "moralischen Überlegenheit" zu vergewissern.

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Jayne Mansfield, 1957
(Foto: J.D. Noske / Anefo, Creative Commons)

Ich vermute, das ist ganz für sich auch schon Pop. Und was die Frage meiner "Verständlichkeit" betrifft, legte Madame noch eins drauf: "Aber: was ich sagen will: WAS du sagst, ist nicht oft eindeutig verständlich für die kleine Frau von der Straße!"

Zu solchen Gelegenheiten meinte Karl Kraus vorzugsweise: Mach dich nicht so klein, so groß bist du nicht. Wir Chorknaben und Betschwestern wissen überdies: Lesen. Lesen. Lesen. Das hilft so allerhand beim Verstehen. (Es müssen ja nicht meine Texte sein.)

-- [The Track: Pop] --

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