10. Mai 2009

Das Teil sieht älter aus als es ist. Ein schönes Beispiel für "Low Tech" im Zentrum von Gleisdorf. Die "Enfield Bullet" ist ein klassischer "500er Eintopf", was meint: Einzylinder mit 500 ccm. Ein indisches Produkt, bei dem eine uralte Basis beibehalten wurde, die einst von der Kolonialmacht England nach Indien importiert worden war.

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Als die Briten die Produktion der Enfield -- weil veraltet -- aufgaben, übernahmen einheimische Leute die Produktionsmittel, um die "Bullet", sanft modernisiert, bis in die Gegenwart weiter zu produzieren. Darum sieht dieses Motorrad älter aus als es ist.

Manche belächeln sowas gerne, weil sie ihr Selbstverständnis gerne auf jene Konsumwut stützen, die einen zu Auftritten mit "dem Neuesten" verpflichten. Eine Blödheit, die gerade zur Zeit mehr und mehr zu heftigen Brüchen führt.

Ich male mir aus, daß unsere Konsumwelt zunehmend härtere Kontraste bekommen wird. Wer die Sache mit der eigenen Identität nicht entspannt hinbekommt, wird sich mit billiger Ware ausstatten, die so arrangiert wird, daß sie einen halbseidenen Anschein von "Besserstellung" erzeugt. Das wird natürlich leicht durchschaut, eben WEIL es halbseiden ist, kann in jeder sozialen Schicht gelesen werden.

Das hat etwas von jenen Burschen, denen die Haare ausgehen, was sie bewegt, verbleibende Strähnchen lang wachsen zu lassen und über die Glatze zu legen. Es sieht grenzenlos peinlich aus und betont recht offensichtlich, was eigentlich verborgen werden soll, eben: Die Glatze.

Wohlhabenheit läßt sich eben nicht simulieren. Die Codes sind bewährt. Ein teures Auto ist ein teures Auto und kann nicht simuliert werden. (Siehe dazu das eher unerschwingliche Coupé im Eintrag vom 8. Mai mit der Notiz "Demonstratives Verbrennen von Geld ist eine seit Jahrhunderten bewährte Geste, um soziale Distanz auszudrücken.")

Ich hätte kein unerträgliches Problem mit materieller Wohlhabenheit. Doch die Anforderungen, um meine Einkommenssituation einen Quantensprung voran zu bringen, erscheinen mir unerträglich. Sie dürfen daraus nicht schließen, daß mir etwa konsequentes und effizientes Arbeiten zuwider wäre. Im Gegenteil. Ich darf sagen, daß ich meine Arbeit liebe und ihr deshalb gerne mit Ausdauer nachgehe. Da sind große Emotionen im Spiel.

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Diese schrittweise Erzählen, ein Ausdeuten der Welt, zu dem auch diese kleinen Positionen gehören, aktuell im Gleisdorfer "einraum", ich hab gestern davon erzählt, Kunst als ein Mittel der Lebensinterpretation, da wird doch was deutlich; oder?

Natürlich kann ich mein Leben auch über mein Konsumverhalten deuten und anderen Menschen über Konsumgüter mitteilen, wovon meine private Lebensinterpretation handelt. Es fahren uns auch gelegentlich Kunstschaffende um die Ohren, die es zu erheblichem Wohlstand gebracht haben und genau das auf ganz antiquierte Art kommunizieren.

Wenn etwa der Kitsch-König Ernst Fuchs im Rolls Royce auftaucht und die Welt wissen läßt, daß er an seiner Seite junge Frauen bevorzuge, daß ihm "alte Weiber" ein Ärgernis seien, dann befindet sich das Ganze in einem "Berlusconi-Kontext", dessen Zynismus kaum zu übertreffen ist. Untertanen verzehren sich nach solchen Personen, die ihnen grinsend den Stiefel ins Genick setzen.

Diese Variante von Lebensinterpretation kann ja nicht prinzipiell ausgeschlossen sein. Ich bleibe polemisch: Untertanen lecken die Stiefel von solchen Boulevard-Prinzen, um wenigstens die Spur des Geschmackes von Macht zu bekommen.

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Deutungshoheit. Von der Interpretationskompetenz zur Interpretationsmacht, das hat heute viel mit MEDIEN zu tun, mit dem Zugriff auf Medien, auch mit Medienkompetenz. Ich habe solche Aspekte und andere Fragen gestern mit Martin Schitter erörtert; im Grazer "Medienkunstlabor".

Obwohl wir hauptsächlich bei Fragen des Bergsteigens waren. Seine Passion. Zugleich eine Art "Referenzfeld", von dem er zurückkommt, in diesen oder jenen Alltag, um dadurch auch wieder ein Stück Lebensinterpretation auf eine ganz tätige, dem Körperlichen gewidmete Art geleistet zu haben.

Kleiner Einschub:
Ein Bergsteiger im "MKL"? Gar keine so ungewöhnliche Situation. Die kurioseste Erscheinung war für mich dort ein triefender Surfer samt Surfbrett. (Siehe den Eintrag vom 11. Oktober 2005!)

Zurück zu Schitter. Vor allem dieses Motiv fand ich interessant: Wenn er alleine losgehe, so sagte er, mache er vor allem diese radikale Erfahrung, daß ihm deutlich werde, was alles man stets auf andere abzuschieben geneigt sei. Für dies und das sei leicht wer anderer schuld. Das sehe sofort ganz anders aus, wo man auf sich gestellt bleibe. Jeder Schritt und jeder Fehler habe da nun einen Verantwortlichen, über den kein Zweifel möglich sei.

Codes. Deutungen. Die Kunst ... zur Erbauung, Versöhnung und Erlösung? Eher nicht! Die Kunst als ein Ereignisfeld, auf dem sich Menschen einfinden mögen, um ihre Erfahrungen zu machen und ihre eigenen Schlüsse zu ziehen, das erscheint mir sehr viel greifbarer.

P.S:
Die oben erwähnte "Enfield Bullet" ist hier früher schon einmal vorgekommen. Im Zusammenhang mit einem ähnlch kuriosen Kerl wie dem Surfer in der Innenstadt. Der Brite Bill Hurr hatte mir lachend von seiner Unternehmen erzählt, ein beträchtliches Vermögen zu versenken, um aus diesem recht harmlosen Teil eine V2 im Tausender-Bereich zu bauen, die "Norcroft Interceptor Metisse". (Siehe dazu den Eintrag vom 31. Dezember 2006!)


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