9. November 2008
Treffendes Motiv. Ich staune zur Zeit immer tiefer, in
welchem Maße wir uns mit Legenden über das 20. Jahrhundert eingerichtet haben.
Stevensons opulente Arbeit über den Ersten Weltkrieg [link] zwingt mich, manches
zurechtzurücken, neu zu ordnen. Die erbärmliche Rolle Österreichs als Aggressor und die
heute noch erschreckende expansive Rolle Deutschlands, dieses groteske Paar, eine
atemberaubende Kombination. Und eine beispielslose Anstrengung im Gigantischen, nicht
weniger, gigantisch, im Erzeugen von nutzlosem Massenunglück.
Ich finde es außerdem erschreckend, mir vor Augen zu
führen, daß es auf der Seite der "Mittelmächte" offenbar bloß eine
überschaubare Handvoll eifriger Männer war, die jene Entscheidungen trafen, aufgrund
derer über Jahre Millionen von Menschen zu beerdigen waren.
Nun krame ich also Bücher aus meiner Bibliothek, einige
sehr verstaubte Stücke darunter. Was ich in den letzten Tagen an Leserbrief-Zitaten von
akademisch gebildeten Leuten lesen durfte, läßt sich in seriösen Geschichtsbüchern
nicht belegen. Dieses Geblöke, "Multikulti" hab das Österreich der Habsburger
ruiniert. (Die zwei Beispiele: Dr. Herfried Graßl
und Dr. Bernhard Eibisberger.)
Sieht man durch, was heute über den Ersten Weltkrieg
gewußt wird, kann ich mich nur wundern, wie sich ein Otto Habsburg nun schon Jahrzehnte
in Europas Politik wichtig macht. Noch mehr wundert mich, wie oft ihm applaudiert wird,
etwa von Österreichs ÖVP. (Siehe zu diesem eitlen Zyniker etwa den Eintrag vom 15. März 2008!)
Möchte man das Haus Habsburg als Firma betrachten, wählt
man nun ein markantes Datum, läßt sich das kaum entkräften: Diese Firma hat ab 1848 ein
Fiasko nach dem anderen produziert. Diese Firma war mit den Hohenzollern der Aggressor des
Ersten Weltkrieges, hat in der Folge eigentlich die gesamte Kriegszeit neben den Deutschen
einen höchst peinlichen Eindruck gemacht und für diese außergewöhnliche Blamage
Millionen von Menschen untergepflügt. Zurück zu den Büchern.
Das ist meines Erachtens eine der Schlüsselszenen in der
1930er-Verfilmung von Remarques "Im Westen
nichts Neues": "All Quiet on the Western Front". (Ich hab die Regeln der
Groß-Kleinschreibung in amerikanischen Titeln von Autor Michael Roloff schon einmal
erklärt bekommen, verstehe sie aber immer noch nicht.) Das Bild zeigt Paul Bäumer
(gespielt von Lew Ayres) der durch feindliches Feuer gezwungen wird, endlose Stunden in
einem Bombentrichter mit jenem langsam sterbenden Franzosen zu verbringen, dem er zuvor
eine Klinge in den Leib gestoßen hatte.
Ich habe auch einen anderen Roman, Teil einer Trilogie,
hervorgeholt. "Erziehung vor Verdun" von Arnold Zweig, in
dessen Arbeitszimmer ich 1987 gesessen bin, wo man mich freundlicherweise eine Weile
allein gelassen hatte. Seine Brille mit den außergewöhnlich dicken Gläsern lag da auf
dem Schreibtisch. Wie war das? Wofür genau bekommt Herr Otto Habsburg Applaus?
Ich habe vorgestern
die Affäre um den Grafen Badeni erwähnt und nun einige Details nachgelesen. Badenis
Verordnung hatte also Beamte in Böhmen verpflichtet, Deutsch und Tschechisch zu
beherrschen. Es war ihnen für den Weg in die Zweisprachigkeit ein Zeitraum von DREI
Jahren gewährt. Nicht zu machen?
Deutschnationale entfachten solche Widerstände, daß
daraus eine Staatskrise entstand. Das Problem sah unter anderem so aus. Gebildete
Tschechen hatten auf ihrem Bildungsweg ohnehin auch Deutsch gelernt, weil das die
dominante Sprache war, um überhaupt zu höherer Bildung zu gelangen. Deutsche Anwärter
auf gute Posten neigten dagegen überwiegend dazu, die tschechische Sprache als
"minderwertig" zu verachten und brachten sich so selbst in eine nachteilige
Position, wenn es um eine Beamtenkarriere gemäß Badenis "Sprachenverordnung"
gegangen wäre.
Ein anderes Motiv, das erahnen läßt, wie es denn dazu
kommt, daß Angehörige einer bevorzugten Elite (hier: Deutschsprachige) selbst heute noch
annehmen, die Opfer seien eigentlich an den Problemen schuld. ("Multikulti killte
Habsburgs Österreich".)
In einem von Brigitte Vacha herausgegebenen Buch über die
Habsburger [link] wird der
tschechische Politiker (und Historiker) Frantisek Palacky aus der Zeit mit folgender
Auffassung zitiert, die allerdings im Zusammenhang seines Engagements für eine eigene
Nation steht:
[Wir Kinder des Kalten Krieges]
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