15. März 2008
"... er riecht die Düfte, die von
der nahen Bäckerei herüberziehen, er kann unmöglich das Leben vergessen, das jenseits
der Hofmauer unmittelbar vor seinem Haus vorbeifließt." Dieses Haus, wie es auf
typische Art in Bosnien zu finden sei, beschrieb Dzevad Karahasan
in seinem Buch "Berichte aus der dunklen Welt".
Maria Calligaris von "collabor.at" hat mir ein Stück
des Satzes auf die Strecke übertragen. Die Positon
Feldbach ist darin noch ohne Ereignisse, außer daß ich dort vor Jahren an den
Gleisen unterwegs gewesen bin.
"... er kann unmöglich das Leben
vergessen ..."
In den kommenden Monaten wird es auf dieser
Route wieder mehr zu tun geben. Die aktuelle "collabor.at"-Crew war gestern
Nacht in die Gegend gekommen, um für die "Regionale 08" eine Art Landkarte der
Bezugspunkte und Bedeutungen zu erarbeiten.
Von links: Nana Pötsch, Bernhard
Faiss, Johanna Rainer und Maria Calligaris.
Das haben wir also gemeinsam, im Landkarten-
und Bedeutungsgeschäft tätig zu sein. Es war übrigens verblüffend, wie schnell wir
beim Schreiben auf dem Feldbacher Hauptplatz einen Polizisten zur Seite hatten. Was sich
in einer dezenten Plauderei erschöpfte, aus der wir erfahren durften, was wir da tun,
dürfe man nicht tun.
Der Polizist wollte in einer kurzen
Erörterung gar nicht erst darauf eingehen, daß zwischen "herumschmieren" und
"schreiben" ein kategorialer Unterschied bestehen könne. Auch gut. Immerhin
sehr angenehm, daß man so eine Situation entspannt verhandeln kann. Vergleichsweise: In Istanbul
hatten wir stets ein erhöhtes Streß-Level, weil da mit Polizisten, ganz abgesehen von
Sprachbarrieren, über solche Verfahrensweisen, nämlich das Beschriften der
Stadt-Oberflächen, sehr viel schwerer zu verhandeln ist.
Nun wäre da also ein kleiner Auftakt für
"next code:
divan" und ich mag den Eindruck sehr, daß wir eine symbolische Markierung
gesetzt haben, die vom Sprechen UND vom Text handelt ZUZÜGLICH vom Herumtreiben auf der
Straße. Das alles kreist auf gegenwärtige Art um diese antiquierte Form des
"Divanisierens" ("divaniti").
Cut!
Baustellen in der Stadt. Laute und ruhige Winkel. Da lassen
sich sehr ansehnliche Szenen herausreißen. Der Kunst-Kontext sitzt mir dabei ständig im
Nacken. Aber! Es muß nicht alles jederzeit benannt werden. Obwohl das eines der
Hauptgeschäfte in solchem Zusammenhang ist: Bedeutungszuweisung.
Das ist für mich auch jederzeit der letzte Anker, wenn
alles überprüft sein will. Die Kunst. Was, wenn da nichts ist? Glaubensgegenstände. Man
könnte in große Schwierigkeiten geraten, falls man auf Antworten besteht. Ingmar
Bergmann hat das seinen Ritter Antonius Block in "Das siebente Siegel"
durchmachen lassen. Wer auf Antworten besteht, könnte verzweifeln ...
Hoppla! So geht das mit der Kunst. Andauernd in
Referenzsystemen herumeiern. Der Kanon wird mindestens dazu benötigt, daß man ihn
ablehnen kann. (Ostentatives Ablehnen ist übrigens eine besonders raffinierte Art der
Anbiederung. Ich hab zumindest diesen Verdacht.)
Cut!
Ich habe vorgestern
notiert, daß ein alter Herr in der Oststeiermark für ein Altersheim wirbt, in dem er
über sein bewegtes Leben schwadroniert, wobei in dieser Schilderung die Russen als
Aggressoren dastehen. Das ist eine ziemlich irritierende Fehlleistung. Dabei war auch von
einem anderen alten Herrn zu reden, dessen Auftritte stattfinden mögen, wo immer sie
wollen, in unserem Parlament sind sie eine Zumutung.
Konseravtive Parteigänger attestieren dem erlauchten
Rabauken Otto Habsburg, daß er ja Zeitzeuge sei und daher wisse, wovon er spreche. Was
mag also dieser Zeitzeuge, dessen Familie den Ersten Weltkrieg, also eine der größten
Katastrophen der Menschheitsgeschichte, entfacht hatte, für eine Auffassung von
"Österreich" haben, daß er sich so äußert? (Quelle: "Der Standard")
|
Es wäre ja noch einigermaßen pfiffig, wenn
einer darauf bestünde, "Österreich" als "Opfer" herauszustellen,
denn der Staat und das "Konzept Österreich" waren in der Tat unter den
Nazi-Stiefeln gelöscht worden. Egal, wie viele Österreicherinnen und Österreicher dem
zugestimmt haben, der Staat war weg. Aber! Genau!
Österreicherinnen und Österreicher, und davon natürlich nur ein Teil, allerdings
wahrlich kein kleiner Teil, waren erstens Nutznießer und zweitens Täter des
Nazi-Regimes, keinesfalls seine Opfer.
Österreicher lukrieren außerdem heute noch Profit aus dem
Holocaust, selbst wo sie damit persönlich nichts zu tun hatten. (Stichwort: Raubkunst
etc.) |
Aber der Habsburger differenziert nicht
etwa, sondern faßt Österreich und Österreicher elegant zusammen, wenn er über die
Frage "Opfer oder Täter" spricht, als wäre das ein Entweder-Oder, sorgt
überdies für Gelächter, weil er zur großen Zusammenkunft auf dem Wiener Heldenplatz
anläßlich des Anschlusses meint, so viel Leute brächte man ja auch bei einem
Fußballspiel zusammen.
Das Schlimme an diesem Vorfall liegt besonders im
Legitimationsakt, als der Habsburgs Rede gedeutet wird. Wenn "so ein Zeitzeuge"
das sagt, noch dazu im Parlament sagt, wird das als Ermutigung gewertet, das Thema
Verantwortung abzuschließen, nachdem man zum Thema Schuld, vor allem als jüngerer
Mensch, natürlich nicht zur Debatte steht.
Und das Argument mit dem Zeitzeugen? Albert Speer war auch
ein Zeitzeuge. Seine Lebenserinnerungen handeln also davon, daß er weiß, wovon er
redet(e). Gewiß! Aber WAS er da vorgelegt hat, dieses zu groß geratene Kind, das mit
Millionen von Menschenleben spielen durfte, also ... auf ihren Otto Habsburg dürfen die
Christlich-Sozialen stolz sein. Dieser eitle Zyniker ...
[Wir
Kinder des Kalten Krieges]
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