15. März 2008

log1098c.jpg (27145 Byte)

"... er riecht die Düfte, die von der nahen Bäckerei herüberziehen, er kann unmöglich das Leben vergessen, das jenseits der Hofmauer unmittelbar vor seinem Haus vorbeifließt." Dieses Haus, wie es auf typische Art in Bosnien zu finden sei, beschrieb Dzevad Karahasan in seinem Buch "Berichte aus der dunklen Welt".

Maria Calligaris von "collabor.at" hat mir ein Stück des Satzes auf die Strecke übertragen. Die Positon Feldbach ist darin noch ohne Ereignisse, außer daß ich dort vor Jahren an den Gleisen unterwegs gewesen bin.

"... er kann unmöglich das Leben vergessen ..."

In den kommenden Monaten wird es auf dieser Route wieder mehr zu tun geben. Die aktuelle "collabor.at"-Crew war gestern Nacht in die Gegend gekommen, um für die "Regionale 08" eine Art Landkarte der Bezugspunkte und Bedeutungen zu erarbeiten.

log1098d.jpg (29409 Byte)

Von links: Nana Pötsch, Bernhard Faiss, Johanna Rainer und Maria Calligaris.

Das haben wir also gemeinsam, im Landkarten- und Bedeutungsgeschäft tätig zu sein. Es war übrigens verblüffend, wie schnell wir beim Schreiben auf dem Feldbacher Hauptplatz einen Polizisten zur Seite hatten. Was sich in einer dezenten Plauderei erschöpfte, aus der wir erfahren durften, was wir da tun, dürfe man nicht tun.

Der Polizist wollte in einer kurzen Erörterung gar nicht erst darauf eingehen, daß zwischen "herumschmieren" und "schreiben" ein kategorialer Unterschied bestehen könne. Auch gut. Immerhin sehr angenehm, daß man so eine Situation entspannt verhandeln kann. Vergleichsweise: In Istanbul hatten wir stets ein erhöhtes Streß-Level, weil da mit Polizisten, ganz abgesehen von Sprachbarrieren, über solche Verfahrensweisen, nämlich das Beschriften der Stadt-Oberflächen, sehr viel schwerer zu verhandeln ist.

Nun wäre da also ein kleiner Auftakt für "next code: divan" und ich mag den Eindruck sehr, daß wir eine symbolische Markierung gesetzt haben, die vom Sprechen UND vom Text handelt ZUZÜGLICH vom Herumtreiben auf der Straße. Das alles kreist auf gegenwärtige Art um diese antiquierte Form des "Divanisierens" ("divaniti").

Cut!

log1098a.jpg (22916 Byte)

Baustellen in der Stadt. Laute und ruhige Winkel. Da lassen sich sehr ansehnliche Szenen herausreißen. Der Kunst-Kontext sitzt mir dabei ständig im Nacken. Aber! Es muß nicht alles jederzeit benannt werden. Obwohl das eines der Hauptgeschäfte in solchem Zusammenhang ist: Bedeutungszuweisung.

Das ist für mich auch jederzeit der letzte Anker, wenn alles überprüft sein will. Die Kunst. Was, wenn da nichts ist? Glaubensgegenstände. Man könnte in große Schwierigkeiten geraten, falls man auf Antworten besteht. Ingmar Bergmann hat das seinen Ritter Antonius Block in "Das siebente Siegel" durchmachen lassen. Wer auf Antworten besteht, könnte verzweifeln ...

Hoppla! So geht das mit der Kunst. Andauernd in Referenzsystemen herumeiern. Der Kanon wird mindestens dazu benötigt, daß man ihn ablehnen kann. (Ostentatives Ablehnen ist übrigens eine besonders raffinierte Art der Anbiederung. Ich hab zumindest diesen Verdacht.)

Cut!

Ich habe vorgestern notiert, daß ein alter Herr in der Oststeiermark für ein Altersheim wirbt, in dem er über sein bewegtes Leben schwadroniert, wobei in dieser Schilderung die Russen als Aggressoren dastehen. Das ist eine ziemlich irritierende Fehlleistung. Dabei war auch von einem anderen alten Herrn zu reden, dessen Auftritte stattfinden mögen, wo immer sie wollen, in unserem Parlament sind sie eine Zumutung.

Konseravtive Parteigänger attestieren dem erlauchten Rabauken Otto Habsburg, daß er ja Zeitzeuge sei und daher wisse, wovon er spreche. Was mag also dieser Zeitzeuge, dessen Familie den Ersten Weltkrieg, also eine der größten Katastrophen der Menschheitsgeschichte, entfacht hatte, für eine Auffassung von "Österreich" haben, daß er sich so äußert? (Quelle: "Der Standard")

log1098b.jpg (34552 Byte) Es wäre ja noch einigermaßen pfiffig, wenn einer darauf bestünde, "Österreich" als "Opfer" herauszustellen, denn der Staat und das "Konzept Österreich" waren in der Tat unter den Nazi-Stiefeln gelöscht worden. Egal, wie viele Österreicherinnen und Österreicher dem zugestimmt haben, der Staat war weg.

Aber! Genau! Österreicherinnen und Österreicher, und davon natürlich nur ein Teil, allerdings wahrlich kein kleiner Teil, waren erstens Nutznießer und zweitens Täter des Nazi-Regimes, keinesfalls seine Opfer.

Österreicher lukrieren außerdem heute noch Profit aus dem Holocaust, selbst wo sie damit persönlich nichts zu tun hatten. (Stichwort: Raubkunst etc.)

Aber der Habsburger differenziert nicht etwa, sondern faßt Österreich und Österreicher elegant zusammen, wenn er über die Frage "Opfer oder Täter" spricht, als wäre das ein Entweder-Oder, sorgt überdies für Gelächter, weil er zur großen Zusammenkunft auf dem Wiener Heldenplatz anläßlich des Anschlusses meint, so viel Leute brächte man ja auch bei einem Fußballspiel zusammen.

Das Schlimme an diesem Vorfall liegt besonders im Legitimationsakt, als der Habsburgs Rede gedeutet wird. Wenn "so ein Zeitzeuge" das sagt, noch dazu im Parlament sagt, wird das als Ermutigung gewertet, das Thema Verantwortung abzuschließen, nachdem man zum Thema Schuld, vor allem als jüngerer Mensch, natürlich nicht zur Debatte steht.

Und das Argument mit dem Zeitzeugen? Albert Speer war auch ein Zeitzeuge. Seine Lebenserinnerungen handeln also davon, daß er weiß, wovon er redet(e). Gewiß! Aber WAS er da vorgelegt hat, dieses zu groß geratene Kind, das mit Millionen von Menschenleben spielen durfte, also ... auf ihren Otto Habsburg dürfen die Christlich-Sozialen stolz sein. Dieser eitle Zyniker ...

[Wir Kinder des Kalten Krieges]


[kontakt] [reset] [krusche]

11•08