6. November 2008

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November, Tag, sonnig. So geht es ja auch. Ich höre, das sei ein ganz untypisches Wetter. Vermutlich ergeben eigene Gewohnheiten stets Referenzpunkte, zu denen sich die Welt ständig verändert; schon sind wir beunruhigt.

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Gewohnheiten. Während ich selbst mit 16 nichts weniger als ein Motorrad haben wollte, was mir die zulässigen Mopeds der Zeit verhaßt machte, verschob mein Sohn eben seine Moped-Pläne. Zugunsten eines merkwürdig kleinen Fahrrades von der Art, mit der man sich vorzüglich die Fresse einhaut.

Denn er hat es nicht etwa einem kleineren Kind geklaut, es ist so eine stabile Version, mit der man Kunststücke aufführt, über Treppen hinauf- und hinunterfährt sowie alle Arten von Sprüngen absolviert. Ich werde also gar nicht erst anfangen, mir Sorgen zu machen. Welche Fahrzeuge wären denn NICHT geeignet, sich vorzüglich die Fresse einzuhauen?

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Sollte ich mir darüber Sorgen machen? Lustig! Anarchie wird heute allgemein nicht im ursprünglichen Wortlaut gedeutet. Daß nämlich niemand herrschen solle. Eigentlich eine sympathische Vorstellung. Eine Idee, die zu vertreten einst sehr viel Mut brauchte. Denn als unsere Leute noch Untertanen gewesen sind, verstanden die Herrschenden da keinen Spaß. Was auch zu außergewöhnlichen Kulturleistungen führen konnte. So war Dostojewskij für das Lesen eines aufrührerischen Briefes nach Sibirien verfrachtet worden, wovon der Roman "Aufzeichnungen aus einem Totenhaus" erzählt.

In seiner historischen Form meinte "Anarchie" also durchaus etwas, das wir in einer Demokratie für sinnvoll halten möchten: Selbstverantwortliche Menschen, die keine Herrschaften über sich brauchen. Wenn mir auch unsere gegenwärtige Regierung in vielen Bereichen mißfällt, erscheint mir diese gesprayte Botschaft sehr romantisch. Nach "Abschalten der Regierung" würde ich auf die Sicherheit im Lande nichts mehr geben.

Weiter in den Geschichtsbetrachtungen eines gewesenen Lehrbuben. Ich bin an den Diskursen akademischen Personals sehr interessiert, weil ich von dort viele Anregungen beziehe. Außerdem gedeihen meine proletarischen Bildungsdünkel vorzüglich, wenn ich mich mit solchen Zusammenhängen befasse. Aber manche der graduierten Perlen unserer Kultur verblüffen und irritieren mich. Wie dieser Doktor aus Graz, der in der "Kleinen Zeitung" dargelegt hat, was angeblich "jeder Geschichte-Student lernt". (Ich zweifle daran!) log1242d.jpg (15205 Byte)

Ich habe im Eintrag vom 1. November einen anderen Grazer Doktor zitiert, der eine höchst merkwürdige Vorstellung dessen dargelegt hat, was Österreich kulturell über Jahrhunderte ausgemacht haben soll. Beide Doktoren haben offenbar eine "Multikulti-Aversion". Sollen sie. Dürfen sie. Aber "jeder Geschichte-Student" müßte eigentlich, wenn es seriös zuginge, etwas anderes gelernt haben. "Alt-Österreich" meint mutmaßlich das Österreich der Habsburger.

Das Imperium einer Dynastie. Es waren ja vor allem die Dynastien, die innerhalb weniger Jahre abdanken mußten. Die Hohenzollern, Osmanen, Romanovs und eben auch die Habsburger. Nationalitätenkonflikte? Freilich. Kein Wunder beim Gebaren deutschsprachiger Eliten im multiethnischen Imperium. Aber mehr noch: Der Erste Weltkrieg. Und den haben die Habsburger unter starker Einwirkung der Hohenzollern selbst vom Zaun gebrochen.

Was zur Sache "jeder Geschichte-Student lernt", könnte Österreichs damalige Probleme so beleuchten, wie es zur der britische Historiker David Stevenson tut. Sein Werk über den Ersten Weltkrieg gilt momentan als "state of the art":

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Ich habe in anderen Büchern gelesen, eben diese Klage sei schon von Prinz Eugen geführt worden. Daß es der Armee Österreichs an Ausstattung und Qualität mangle. Bei genauerem Hinsehen wird man also schwer belegen können, daß "Multi-Kulti" unser "Alt-Österreich" versenkt habe. Das ist statt dessen von genau jenen Eliten geleistet worden, denen sich womöglich heute ein Dr. Eibisberger zurechnet. (Der Herr Doktor liefert somit ein Beispiel für etwas, das ich augenzwinkernd "implizite Deutschtümelei" nennen möchte.)

[Wir Kinder des Kalten Krieges]


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