1. November 2008
Theologe Fery Berger und hinter ihm Unternehmer Erwin
Stubenschrott. Wir hatten gestern in Weiz eine weitere Zusammenkunft im Rahmen der "Solidarregion Weiz", um
Reaktionen und Handlungsschritte in der sich verdichtenden Weltwirtschaftskrise zu
besprechen.
Dabei mache ich freilich eine sehr kuriose Erfahrung. Ich
bringe ja, meiner Profession entsprechend, einen Ansatz ein, der dem Themenspektrum
"öffentliche Meinung, öffentliche Diskurse und Definitionshoheiten" gewidmet
ist. Also ein kultureller Ansatz. Dazu gibt es nun auch eine Arbeits-Website.) Im Vorwort
"Medien und
Realität" habe ich knapp skizziert, was hier zu bearbeiten ist.)
Der Eintrag vom 29.
Oktober birgt ein anschauliches kleines Beispiel dafür, worum es sich unter anderem
handelt. Da hat ein Nationalratsabgeordneter in offenbar völliger Unkenntnis dessen,
womit er es zu tun hat, eine Regionalzeitung als "Letzte Bastion des freien
Zeitungswesens" geadelt. Ein Blatt, worin teils bezahlte Berichterstattung geliefert
wird, worin auch "Meinungsjournalismus" Platz hat, der rechtskonservative
Positionen promotet, gelegentlich an rechtsradikale Positionen heranreicht. Das
ausdrückliche "Hurra!" des Grünen Nationalrates bleibt da rätselhaft. Ein
Beispiel dafür, daß Diskurs- und Medienkritik eigentlich laufend ein öffentliches
Tagesereignis sein sollte.
Meine kuriose Erfahrung von gestern handelt nun zum zweiten
Mal davon, daß ich Einwände gehört habe, solcher öffentlichen Diskurs- und
Medienkritik in der Region mehr Kraft zu widmen. Die Einwände handeln beispielsweise
davon, daß man sich besser "praktischen Dingen" widmen solle. So als wäre das
(mediengestütze) Herstellen von "gesellschaftlicher Realität" durch Opinion
Leaders, durch Honoratioren aller Art, nicht ein überaus praktisches und reales
Geschäft.
Und ich höre weiters, es sei ja keine gar so neue
Wahrheit, daß wir belogen würden. Das müsse hier doch nicht weiter betont und
herausgestellt werden. Nun war freilich meine Hauptfrage, wo und wie und durch wen
ÖFFENTLICH Einwände erfolgen würden, falls wir öffentlich belogen werden.
Im Unterhaltungskino habe ich einmal den Satz
aufgeschnappt: "Die schlechte Nachricht ist: Sie wollen die gute Nachricht nicht
hören." Wer immer also über bessere Informationen und besere Argumente verfügt,
bleibt mit der Frage konfrontiert, wie er damit
a) die Entscheidungsträger erreicht und
b) in öffentlichen Diskursen ankommt, um so
c) weitere Bevölkerungskreise zu erreichen.
Parallel bleibt die Frage, durch welche Entwicklungen
bewirkt werden kann, daß große Kreise der Bevölkerung jenem Angebot zur
Komplexitätsreduktion widerstehen, das wir vom Boulevard so gut kennen: In zehn Zeilen
einfache Antworten auf schwierige Fragen.
Voilá! Damit befinden wir uns in "meiner Gasse",
im Bereich kultureller Agenda. Autor Gero Jenner sprach gestern davon, daß es ein
Machtgefälle gebe und daß uns aus elitären Kreisen, die mit ausreichender Macht
ausgestattet seien, vorgeschrieben würde, was wir denken sollen. Ist das so? Gut. Was
wollen wir dagegen unternehmen?
Ein anderes Beispiel. Ich habe mit Erwin Stubenschrott noch
kurz darüber geplaudert, wie sehr es mich manchmal rasend macht, daß eine
Milliardenschwere Werbebranche meinen Alltag infiltriert, mich permanent anspricht,
anagitiert, mich emotional permanen zu "triggern" versucht, also Seiten in mir
zum Klingen bringen will, die einen Werbetypen nichts angehen. Stichwort: Permanente
Sexualisierung des Alltags und andere unredliche Verknüpfungen.
Konkreter: Hier ist von Propaganda und Manipulation die
Rede, davon, daß Menschen der Wirtschaft gefügig gemacht werden sollen. Dagegen kann,
meiner Einschätzung nach, eben vor allem kulturell vorgegangen werden. Oder würde ein
Bürgermeister (wie der von Sao Paulo) sich vielleicht bei uns aufraffen, wenigstens alle
Plakatflächen aus dem öffentlichen Raum eines Ortes zu verbannen? (Das wäre ein
wohltuender Anfang.)
Ein recht kurioses Beispiel der erwähnten
Komplexitätsreduktion auf dem Boulevard, jener Simplifizierung, durch die Ansichten
verkürzt, oft gefälscht werden, fand ich letzten Donnerstag in der "Kleinen Zeitung". Was der Dr. Herfried Graßl denkt, muß ihm ja freistehen. Den
Doktorgrad hat er vermutlich nicht im Bereich der Geschichtswissenschaft gemacht. Aber
daß ein Redakteur solchen Unfug publiziert, muß ja darstellbare Gründe haben. Worum
geht es?
Der letzte Absatz wirft die Frage auf: Was genau soll denn
das sein? Nämlich eine "von unseren Vorfahren" über diesen Zeitraum, die
"letzten Jahrhunderte", noch dazu "in harter Arbeit aufgebaute(n)
Kultur"? Ein Phantsama! |
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Oder sollte es tatsächlich so
etwas geben, was die FPÖ in ihrem politischen Programm als "österreichische
Leitkultur" behauptet? (Siehe den Eintrag vom
30. September!) Blödsinn! Österreich war den größten Teil der "letzten
Jahrhunderte" ein multiethnisches Reich, ein Imperium, in dem zwar deutschsprachige
Eliten sich besondere Zugänge und Vorteile sicherten, wo die "in harter Arbeit
aufgebaute Kultur" aber keineswegs jene war, die sich vaterländische Politik heute
als "österreichisch" ausmalt.
So sah das in Österreich nach den
"letzten Jahrhunderten" aus, knapp bevor Osmanen, Romanows, Habsburger und
Hohenzollern in einem sehr kleinen und gut überschaubaren Zeitfenster von der Bühne der
Weltgeschichte abzutreten hatten. (Quelle: David Stevenson "Der Erste Weltkrieg: 1914
- 1918")
[Wir Kinder des Kalten Krieges]
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