Blatt #101 | KW 32/2020

Fette Beute: Juli 2020 III

[Vorlauf] Über die Dörfer. Auf der Suche nach raren Stücken. Oft ist es nur ein Detail, das in den Augenwinkeln auftaucht. Eine alte Lackfarbe, eine alte Linienführung, eine Chromleiste. Der Dottore ist da gleich gestrickt wie ich. Springt der Detektor an, wird gebremst, gewendet, zurückgefahren.

Das gibt Fotos und Gespräche. Das gibt auch Begegnungen. Unsere Ausfahrten sind eine Mischung aus Colloquium und Quest. Manchmal trennt uns ein verschlossenes Tor und zu viel Abstand von einem interessanten Fahrzeug. Ist es ein GTO? Nein, der hat eine andere Kühlermaske. Beim Riviera stehen die Leuchten ganz senkrecht, nicht so leicht schräg.



Näher ging es nicht: höchstwahrscheinlich Ford Galaxie.

Später brachte uns eine Zufallsbegegnung auf die richtige Spur. Ford Fairlane oder Galaxie. Ja, genau! Höchstwahrscheinlich. Galaxie, Die dritte Generation. Und ist das wichtig? Sachkenntnis und Wissensgewinn brauchen Referenzpunkte, brauchen ein Netzwerk an schon Gewußtem, wo sich neues festmachen kann.

So ist es in allen Belangen, auf allen Themenfeldern. Dieses permanenten Umgraben des Gedächtnisses. Dieses Abfragen von Details, um daraus Bilder zu bauen. Simple Ereignisse in einem geistigen Leben, das sich ereignen möchte. Da liegt auch ein Unterschied zwischen Konsumation und Partizipation. Manche Menschen möchten bloß untergalten werden. (Mir egal!) Geistiges Leben möchte sich ereignen.



Ford Mustang Breitbau

Es kommt wiederholt vor, daß Menschen mich für einen Autonarren halten. Das beruht offenkundig auf einem Mißverständnis. Dieser General-Fetisch einer wohlhabenden Gesellschaft weckt in mir keine Begehrlichkeiten. Es ist Jahre her, daß ich selbst ein Auto besessen hab.

Mein letztes eigenes Auto war ein ganz unscheinbarer Kombi, dem zwei Kombis vorangegangen waren. Die waren nicht sachlich notwendig. Ich mag automobiles Understatement. Ich finde es cool, im Straßenverkehr nicht aufzufallen.

Darin gab es in meinem Leben nur eine einzige Ausnahme, die mir in einem sehr räudigen Ford Escort Mk I zufiel. Aber um den zu behalten, hätte ich ein begabter Schrauber sein müssen. Bin ich nicht. Drum wurde ich Schriftsteller und schreib über Autos.



Eine C 7 im Corvetten-Rudel.

Meine Autos lohnen keine große Erzählung. Wagen wie der Peugeot 205, Peugeot 309, Renault Clio, zwei alte Gölfe, einer Benzin, einer Diesel, dazu fällt mir eher nichts ein. Allerdings habe ich mich an den spröden Formen und den Heckklappen des Volvo 145 und des alten Passat begeistern können. Wie gesagt: automobiles Understatement.

Freilich schau ich mir das Gegenteil davon gerne an. So sind wir hinter den sieben Bergen in eine kleine High Performance-Schmiede gestolpert. Die Corvetten vor dem Haus, Camaro, Stang, lauter so heftige Teile. Drinnen wurde es noch markanter.



Pleuel und Kolben für ein seh aggresives Maschinchen.

Wir bekamen einen Espresso angeboten. Ich griff nach einem riesigen Kolben-Pleuel-Set. „Aha, einen Traktor habt ihr auch.“ Der Boss lächelte. „Ist von meinem Dragster.“ Härter geht’s nicht. Und der blitzende Kompressor auf der Theke. „Kommt auf einen Hot Rod.“ (Was sonst?)

Dieser Blower ist fast so groß wie ein normaler Motorblock. Ladedruck! Ein magischer Begriff. Es stehen allerhand Triebwerke in der Hütte. Allerdings moderne Motorentechnik. Das alte Material… „Da war dann ein kleiner Big Block kleiner als der größte Small Block.“ Tausend Details die man wissen kann.



Ladepumpe, Kompressor, Charger, Blower, such Dir einen Begriff aus.

Im Grunde hat das alles mit Prometheus begonnen. Und mit Hephaistos, dem Schmied. Dessen Sonnenwagen hat Phaeton, den Sohn von Gott Helios, das Leben gekostet. Und Daedalus, der Vater des Ikarus, wurde an seinem Neffen zum Mörder, weil ihm der Kleine als Handwerker so beunruhigend begabt, fast überlegen erschien.

Eifersucht. Raserei. Tempo. Göttin Nyx hatte übrigens ihr eigenes Gespann und war anscheinend eine bessere Wagenlenkerin als Helios. Sowas erzählen die Kerle heute nicht gerne, denn wo kämen wir hin, wenn wir zugeben wollten, daß Frauen das mit dem Fahren… Sie sehen schon, ein amüsantes Kapitel unsrer Kulturgeschichte. [Fortsetzung]

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