Log #641: Der Sarajevo-Kontext

Inzwischen hatte ich Gelegenheit, mit Heimo Müller eine weitere Debatte zu führen, in der wir uns über kontrastreiche Auffassungen dessen verständigt haben, was man sich aktuell unter Conditio humana vorstellen darf. Wie sind wir Menschen gemacht? Was steht uns frei und was lenkt uns?

Da wir vorhaben, eine Linie über Beograd nach Sarajevo zu ziehen, sind Gewalttaten in allen denkbaren Dimensionen Teil der Motive, mit denen wir umgehen werden. Das hängt natürlich auch mit dem kommenden Jahr zusammen. Das Zeitfenster 1918-2018 gibt ja einiges zum Nachdenken auf.

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Die sagenhafte Inkompetenz des Oskar Potiorek, Chef der Landesregierung für Bosnien-Herzegowina, und ein Brownig Modell 1910 in den Händen von Gavro Princip schufen den Ausgangspunkt für jenen Konflikt Österreichs mit Serbien, den die Habsburger weder räumlich, noch zeitlich einzugrenzen verstanden.

Ich hab mir den wuchtigen Gräf & Stift des Grafen Harrach mit intensivem Interesse angesehen. Der Wagen steht in Wien. Ein merkwürdig anmutendes Erinnerungsstück. Franz Ferdinand ist kein netter Mensch gewesen, war ein trotziger Patron, der in seinem Denken und wohl auch in seinen Emotionen völlig aus der Zeit und aus seinem Milieu fiel.

Ich denke, wir haben heute keine brauchbare Vorstellung, keinen tauglichen Vergleich dafür, wie enorm die soziale Distanz zwischen dem schmächtigen Attentäter und dem herrischen Mann aus dem Hochadel gewesen sein muß.

So habe ich dieses Einschußloch in der Karosserie des Wagens als eine Markierung des Undenkbaren bestaunt, denn selbst in diesem Moment der realen Begegnung zwischen Princip und dem adeligen Ehepaar muß für den Serben noch unfaßbar gewesen sein, was gerade geschah.

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Potiorek durfte übrigens weiterstümpern. Nach dem heuchlerischen Ultimatum, das von Serbien ziemlich umfassend erfüllt wurde, hatte Stabschef Franz Conrad von Hötzendorf, dem wahrlich kein Denkmal gebührt, Potiorek auch noch zum Oberkommandierenden der Balkanstreitkräfte Österreichs gemacht.

Der ehrgeizige Mann verlor Mitte August 1914 gleich in der ersten Offensive gegen Serbien die Schlacht bei Cer. Mich wundert, daß er sich spätestens dann immer noch nicht von einer Brücke gestürzt hat. Sein Geltungsbedürfnis muß unermeßlich gewesen sein, auf daß sein Ego Versagen auf Versagen schluckte, um weitere Großtaten zu versuchen.

Ich hab vor fast einem Jahr in meinem Logbuch notiert, was unmittelbar davor geschah. "Am 29. Juli 1914 hatten sich drei Monitoren der Donauflottille vor Belgrad in Stellung gebracht. Der Tagesanbruch war noch fern." [link] Um etwa 2:20 Uhr feuerte man in völliger Dunkelheit planlos vier Granaten auf serbisches Gebiet. "Es waren die ersten Schüsse des Großen Krieges, die als Kriegshandlung gewertet wurden." (Bei Nähe betrachtet auch keine Glanzleistung!)

Am folgenden Tag, dem 12. November 2016, notierte ich: "Im ersten Buch seines beeindruckenden Werkes 'Vom Kriege' stellt Carl von Clausewitz fest, der Krieg 'ist ein Akt der Gewalt und es gibt in der Anwendung derselben keine Grenzen'. Kapitel Nummer 24 dieses Buches ist mit der bekannte Aussage überschrieben: 'Der Krieg ist eine bloße Fortsetzung der Politik mit anderen Mitteln'. [Quelle]

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Modell des Monitors Temes in 1:33 (Foto: Sandstein, Creative Commons)

Es hatten übrigens österreichische Offiziere, wie später Hitler bei Polen, einen Erstschlag von serbischer Kräfte erlogen, um ihre Kriegsgründe zu untermauern. Solche Kanaillen waren da am Werk; im Auftakt einer Serie von Fehlleistungen und unwürdigen Schritten. Ich hab einige solcher Zusammenhänge auf dem Themenblatt "Heimat" unter dem Stichwort "Helden" zusammengefaßt.

Mit dem Eintrag vom 7. Jänner dieses Jahres war dann kurz ein "Gemeinsames Erinnern" ins Auge gefaßt, aber nicht weiter verfolgt worden. Ich komme also nach wie vor von diesem Themenkomplex nicht los. Ich darf übrigens geltend machen: während Österreich politisch und militärisch über tausend Jahre nur wenig zu bieten hat, worauf man heute stolz sein könnte, sind Handwerk, Technik, Kunst und Wissenschaft seit einer Ewigkeit und drei Tage von internationaler Bedeutung. Wir befinden uns also im relevanteren Lager ;-)

Wir erleben momentan wieder einmal eine merkwürdige Überbetonung der Politik, wobei ich in dieser Aufzählung gerade den Sport ausspare, weil er mir gar so nahe bei "soldatischen Tugenden" zuhause ist, ich aber mangels Sachkenntnis auf diesem Gebiet keine Einschätzung abgeben kann.

-- [Der Sarajevo-Kontext] --


coreresethome
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