7. Jänner 2017

Denke ich an Europa, dann derzeit vor allem an gemeinsames Erinnern. Wie sonst sollte verläßlich eingegrenzt, in Schranken gesetzt, vermieden werden, was als Drohung nie verschwindet? Kriegshandlungen.

Ich hab mich gerade erneut durch einen Stapel von Büchern gefressen, um einige meiner Ansichten zu überprüfen. Ich habe mir außerdem zu Weihnachten im Heeresgeschichtlichen Museum Wien Artefakte aus jenem Großen Krieg angesehen, in dem Österreich der erste Aggressor gewesen ist.

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Der Sarajevo-Wagen

Mit dieser Zuschreibung bin ich zufrieden. Sie hält den aktuellen Debatten über diese "Urkatastrophe des 20. Jahrhunderts" stand. Österreich als der erste Aggressor der Krieges. Diese Rolle ist unbestreitbar.

Man könnte auch sagen, daß es bei uns zu mehr nicht gereicht habe. Ein skurriler Umstand bereicherte die Abteilung „Historischer Treppenwitz". Österreich-Ungarn hatte in der Folge des Attentates von Sarajevo ein unerfüllbares Ultimatum nach Belgrad geschickt, also jenen Krieg angebahnt, den sich Generalstabschef Conrad von Hötzendorf davor schon längst wünschte.

Damals wurde in mehreren Metropolen Europas über Präventivkriege nachgedacht. Aber Conrad mußte die ersten Waffengänge gegen Serbien verschieben. Der Krieg konnte nicht sofort beginnen. Weshalb? Es war Sommer und zu viele Soldaten befanden sich auf Ernteurlaub.

Ich hab vorigen November skizziert, wie die Streitkräfte der Monarchie schließlich mitten in der Nacht mit ein paar nutzlosen Schüssen ins finstere Nichts der Krieg konkret eröffnet hatten: "Am 29. Juli 1914 hatten sich drei Monitoren der Donauflottille vor Belgrad in Stellung gebracht. Der Tagesanbruch war noch fern." [Quelle]

Ein Schritt, der von einer propagandistischen Lüge begleitet war, um zu verbergen, daß man selbst der Aggressor sei: "...eine Meldung des 4. Korpskommandos besage, daß serbische Kräfte am 26. Juli bei Temes Kubin österreichische Truppen unter Beschuß genommen hätten." [Quelle]

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Franz Conrad von Hötzendorf, Chef des Generalstabes

In der Folge führte Österreich-Ungarn, das Imperium, drei erfolglose Offensiven gegen Serbien. Das weitere Versagen österreichischer Eliten war so tiefgreifend, daß die Österreicher in aktuellen Debatten mit Autoren wie Christopher Clark, Herfried Münkler oder Sönke Neitzel kaum noch zur Sprache kommen; außer es geht um ein übriges Fiasko.

Die gründliche Arbeit von Manfried Rauchensteiner läßt einen zwischenzeitlich erstarren, wenn man die Details der Stümperei von Aristokraten und Militärs nachliest, dabei dann aber auch die Logistik-Fehler und Ressourcen-Nöte näher betrachtet.

Ich breite diese Kleinigkeiten hier bloß aus, um zu unterstreichen, wie unermeßlich sinnlos dieses ganze Massensterben gewesen ist, das man, da sind sich heutige Fachleute durchaus einig, noch 1914 hätte beenden können. Aber da hatten die damals Beteiligten schon so viele Tote zu beklagen, daß man unbedingt noch respektable Ergebnisse erkämpfen wollte. Damit ging es dann so richtig in die Millionen an Opfern.

Übrigens war auch Hauptaggressor Deutschland nicht einmal annähernd für den Krieg gerüstet gewesen. Ich betone das alles, weil vor allem diese zutiefst obszönen Deatails einen guten Grund für das gemeinsame Erinnern liefern; also ein Zurückblicken auf diese Gräuel, das den gehabten Kummer als etwas Einendes betont, nicht als Trennendes im Sinne der alten Lager.

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Rallye-Tank: Banzai Baby

Gemeinsames Erinnern. Das hat mich 2003, am Beginn des Projektes The Long Distance Howl, auf eine etwas polemische Art beschäftigt. Ich hatte davor schon das "Banzai Baby" gebaut [link] und für "Die verschwundene Galerie" eine Postkarte produziert, auf der in Serbokroatisch gefragt wurde: Vielleicht hat mein Vater deinen Vater getötet. Was würde das für uns beide bedeuten?

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Gemeinsames Erinnern. Ich müßte mir Pathos vorhalten lassen, wollte ich behaupten, daß wir an den Gräbern zu all den Schlachten stehen. Aber dennoch empfinde ich es individuell so. Im übertragenen Sinn auf jeden Fall, manchmal auch ganz real, auf greifbare Art. Das meint nicht bloß Erde in Bosnien oder im Kosovo, wo man mir Stellen gezeigt hat, an denen Gewaltopfer verscharrt wurden.

Das meint auch Gräber der früheren Kriege. Ich suche sie gelegentlich auf, um zu begreifen, was in mir vorgeht, da meine Leute ihre Traumata aus jenen Tagen auch an uns Kindern abgearbeitet haben...

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