log #608: Pop Die
1980er
Musik. Malerei. Literatur. Das sind die hauptsächlich berührten Genres, wenn ich in
meinem Leben nach der Popkultur krame. Es dürfte auch die zutreffende
Reihenfolge sein, in der sie ihre Wirkung bei mir entfaltet hat. Wie bedeutend dabei
ferner das Genre Mode ist, wurde für mich erst sehr viel später zum Thema, als ich
begann, mich auf der Metaebene umzutreiben. Aber damit hätte ich jetzt das Thema Film
übersehen. Vor allem auch die Comics. Die waren uns als Schundhefte angeprangert
worden, was für ein Kind ja eine ziemlich verblüffende Kategorie ist.
Meine 1985er Literaturnacht [link] war
selbstverständlich "Underground" ;-)
Es gab für uns außerdem die von der Erwachsenenwelt unbegründet verwendete Kategorie
Schmutz und Schund. Unbegründet deshalb, weil man uns eine Darlegung der
Kriterien schuldig blieb. Zuhause kam regelmäßig per Post Readers Digest, in
der Schule mußten wir noch unser Denkvermögen üben, indem wir Balladen auswendig
lernten.
Schillers Die Bürgschaft oder Lied von der Glocke waren formal wie
inhaltlich ziemlich kuriose Ereignisse, die in unserem Alltagsleben keinerlei Bezugspunkte
hatten, nicht einmal Bezugspünktchen. "Festgemauert in der Erden / Steht die
Form aus Lehm gebrannt. / Heute muß die Glocke werden, / frisch, Gesellen, seid zur
Hand!" Das bekam für mich sehr viel später eine berührende Anschaulichkeit,
als ich erstmals die Glockengießer-Sequenz in Adrei Tarkovskys Film "Andrej
Rubljov" [link]
sah.
Aber ich hab andrerseits wenig Zweifel, daß mir diese Balladen-Lernerei eine
brauchbare Vorstellung von Rhythmus in der Sprache bot, was mir später in meinen
Ambitionen als Lyriker zugute gekommen sein dürfte. Das ist natürlich jetzt keine
elegante Referenz in der Befassung mit Popkultur, aber es spielt eine Rolle im
ganzen Gefüge, wie auch in unserem kommenden Kunstsymposion.
Pop: Das Cover des
Programmheftes zu meiner 1985er Literaturnacht
Bei diesem 2017er Symposion haben mehrere Personen einen eigenen Part, was Teile
ergeben soll, die untereinander Korrespondenzen zeigen. Von meiner Seite sind das heuer
zweimal dreigeteilte Formationen. In Hauslos | Maschinerie | Kunst tut
sich Volkskultur | Popkultur | Gegenwartskunst auf: [link] Dabei
ist schon, wie beim vorjährigen Kunstsymposion, ein eigener Lyrik-Block eingebaut: [link]
Bei näherem Hinsehen tut sich mir der Verdacht auf, das sei alles in diesem
Themenbogen etwas hoch gezielt. Aber es läßt sich eben gerade nicht knapper fassen. Was
ich im Vorjahr zur Pop-Kultur mit "Zum Einstieg" [link] und in "Auf der Klippe"
[link] notiert habe, ist auch für hier
passabler Auftakt.
Mir ist übrigens erst in der späten Befassung mit Pop-Theorie klar geworden,
wie sehr mein damaliges Leben Pop-Kultur war. Und es ist bei mir erst über diese
heute verfügbare Pop-Theorie zu dieser Bedeutungsverschiebung gekommen.
Lawrence Alloway verstand Pop Art als „Kunst über Zeichen und
Zeichensysteme“. Das erläutert Jörgen Schäfer so: „Pop-Literatur entsteht,
wenn der Autor Pop-Signifikaten -- gleichgültig, aus einem Popsong, einem Film oder
Werbeslogan stammen -- im literarischen Text neu ‚rahmt’.“ In mehreren Essays
erscheint dieser Hinweis auf eine „Kunst über Kunst“, auf eine „Kunst
über Zeichen und Zeichensysteme“.
Andreas Kramer nennt für die Literatur drei Kategorien. 1. Beat-Literatur, 2.
Pop und dann 3. Underground. Er meint, daß die Pop-Autoren im
Unterschied zu den Beat-Autoren durch eine Hinwendung zur Pop-Kultur aufgefallen
seien, die sich vor allem in einer "Amerikanisierung Deutschlands"
ausgedrückt habe.
Alle dieser Essays stammen aus den letzten 20 Jahren. Publikationen wie zum Beispiel
der Sonderband "Pop-Literatur" bei "Text+Kritik" aus
dem Jahr 2003, oder Sascha Seilers "Das einfache wahre Abschreiben der Welt"
(Pop-Diskurse in der deutschen Literatur nach 1960) von 2006.
Bei der Lektüre dieser und anderer Bücher hat mich übrigens erstaunt, daß Peter Handke
eine sehr exponierte Rolle spielt. Dirk Franks Materialiensammlung beginnt sogar mit Ernst
Jandl. Rainald Goetz kommt natürlich häufig vor. Das sind in meiner Erinnerung Autoren,
um die sich der etablierte Literaturbetrieb stark gekümmert hat.
Jemand wie der Grazer Peter Glaser war da schon mehr Underground. (Das ist
mein Terrain gewesen.) Aber selbst er wurde von der Medien-Maschine kurios verarbeitet,
wenn ihn etwa in Die Zeit jemand einen "Neon-deutschen Jungautor" nannte.
Also nicht neo-, sondern neon-deutsch.
Illustration von Chris
Scheuer in Peter Glasers "Schönheit in Waffen"
Glasers Story-Sammlung "Schönheit in Waffen" kam 1985
beim Verlag Kiepenheuer & Witsch heraus, der in Sachen Pop-Literatur eine
exponierte Rolle hatte. Das Buch ist übrigens mit Graphiken von Chris Scheuer
illustriert.
Sascha Seiler nennt schon in der Einleitung seines Buches über deutsche Pop-Literatur
Peter Handke und den unausweichlichen Rolf Dieter Brinkmann, aber auch Wolf Wondratschek
und den inzwischen eher vergessenen Jörg Fauser.
Meine eingangs erwähnte Notiz in "Auf der Klippe" [link] verweist unter anderem auf das Heft
7-9 1985 des "Ulcus Molle Info" aus Bottrop, die 100. Ausgabe seit
Gründung des Magazins im Jahr 1969. Darin hatte mir Herausgeber Josef Wintjes damals eine
Doppelseite eingeräumt, die ich mir jetzt wieder näher ansah.
Ich denke, Mitte der 1980er war schon eine starke Teilung des gesamten
Terrains erfolgt. Einerseits hatten sich große Häuser wie Rowohlt und Suhrkamp Texte aus
diesem Milieu geholt, andrerseits verblieben sehr viele natürlich in diesem fast
unüberschaubaren Reich der Klein- und Kleinstverlage. Manche Autoren waren allerdings auf
beiden Feldern zuhause, darunter übrigens nur wenige Frauen.
Aus "Ulcus Molle
Info", Heft 7-9 1985
Wenn ich also heute über die Pop-Kultur im Zusammenhang unserer
aktuellen Vorhaben arbeite und schreibe, dann nicht aus der Distanz, von der Metaebene
her, sondern mit jener Innenansicht des Phänomens, die sich auf dem Weg zur Mitte der
1980er ergeben hatte.
-- [Konvergenz:
Pop] [Wegmarke 2017] --
core | reset | home
27•17 |