log #526: popAuf der Klippe
Ich führe derzeit eine Reihe von Gesprächen, in denen ich
mich mit inspirierten Menschen über den Status quo verständige, auch über sinnvolle
Schritte für die nahe Zukunft. Dabei erscheint mir die Klippe als Bild passend,
wenn ich beschreiben soll, wo wir stehen.
Die erhöhte Position, von da aus sehen wir gut nach beiden
Richtungen, zurück und nach vorne. Wir wissen, woher wir kommen, und es macht oft ein
banges Gefühl, von der Klippe aus nächste Schritte nach vorne zu setzen.
Ich bin ein Kind der Pop-Kultur, die ich heute als etwas
vollkommen anderes verstehe, denn in den 1970ern. Die aktuellen Betrachtungen, wie ich sie
zum vorigen Projektabschnitt "The Track Pop" etwas zusammengefaßt
habe, hätten damals niemanden von uns beschäftigt; siehe zu den vier Motiven
(Malewitsch, Jaray, Buckminster Fuller und Warhol): [link]
In der zweiten Hälfte der 1970er war die Pop-Kultur für
uns vor allem einmal ein Geflecht der Möglichkeiten, in dem alle mitmischen konnten; egal
auf welchem Level der Fertigkeiten und Ambitionen. Das stand im klaren Kontrast zu den
vorgefundenen Attitüden der Bourgeoisie wie auch des Kunst-Völkchens.
Anders ausgedrückt, die Debatte um eine
"Kultur für Alle", wie sie Hilmar Hoffman 1979 angeregt hatte, mußten wir
nicht führen, weil wir schon mitten drin waren; wenn auch mit Formen und Ausdrucksweisen,
die von etablierten Herrschaften weitgehend mißbilligt wurden.
1982: MARTIN KRUSCHE MIT JIM COGAN
UND PETER RATZENBECK
[GROSSE ANSICHT] [DER BEGLEITTEXT]
Was diverse Sitten- und Kulturwächter bei ihren Einwänden
unbeachtet ließen, wir hatten in diesem etablierten Codesystem die Frage "Konsumation
oder Partizipation" längst zugunsten der Partizipation entschieden.
Wir hatten kulturpolitische Faktenlagen geschaffen, in denen Türhüter und Wächter aller
Arten weder erwünscht waren noch gebraucht wurden.
In den 1970ern und frühen 80ern dominierte das Prinzip "Emotion
geht vor Perfektion"; ausgenommen manche Nischen, wo man eher präzise sein
mußte, um nicht von der Bühne zu kippen. Ein Beispiel: Wenn jemand meinte, vielleicht
von Leo Kottke inspiriert, beim Gitarrespiel schneller sein zu wollen als Peter
Ratzenbeck, dann begann der Ernst des Lebens.
1982 IM "GRAMMEL" (VON
LINKS): PETER RATZENBECK, JIM COGAN UND ERNST POZAR
Wer dabei auf der Strecke blieb und womöglich in
Depressionen verfiel, ließ sich zum Geburtstag eine Platte schenken, auf der Al Di Meola,
John McLaughlin und Paco de Lucia zu hören waren, die erahnen ließen, daß auch
Ratzenbeck nicht alleine auf der Treppe steht.
All das meint, vor einigen Jahrzehnten waren
die Flugblätter und Plakate hingerotzt, es zählte der Live-Act. Wir tingelten durch die
Spelunken und Clubs, wir spielten auf Straßen und in Schuppen, in Garagen, selbst in
Scheunen.
Mag sein, daß
einige unter uns die Universität von innen kannten, das fiel aber nicht weiter auf. Es
wäre mir damals nicht eingefallen, über Andy Warhol oder Marcel Duchamp nachzudenken.
Auf Buckminster Fuller kam ich erst Jahre später. Popkultur
hieß für uns also vor allem einmal Selbstermächtigung über die Codes, die uns vertraut
waren.
Künstlerische Praxis versprach ein Leben in
Selbstbestimmung. In meinem Milieu war nicht die Literatur tonangebend, sondern die
Popmusik mit ihren Fundamenten im Blues und in der Folkmusic. Das dabei freilich die
Literatur dennoch eine wichtige Rolle spielte, hatten diverse Musik-Größen schon
angelegt. |
[GROSSE ANSICHT] |
Von Cohen bis Dylan, von Lennon
bis sonst wem erfuhren wir etwas über literarische Einflüsse. Außerdem gab es
kuriose Schnittpunkte. So war etwa Leonhard Cohens Buch "Blumen für Hitler"
[link] im Verlag März erschienen.
Verlage wie März und Maro
waren bei uns kaum bekannt. Beat-Literatur. "Gemischtes Hack" (Chaos
Computer Club) tausend Literaturzeitschriften, unzählige Kleinverlage, über all das
informierte laufend das "Ulcus Molle Info" aus Bottrop, ein
"Literarisches Info- Zentrum", das der EDV-Fachmann Josef Wintjes
herausgab,
Dieses Heft ist übrigens die 100. Ausgabe
seit Gründung des Magazins im Jahr 1969, siehe dazu auch das Inserat des Chaos
Computer Club, für den etwa Autor Peter Glaser damals schrieb: [link]
Wie oben erwähnt, die Frage "Konsumation
oder Partizipation" hatten wir längst zugunsten der Partizipation
entschieden. Wintjes hatte mir in dieser 100. Ausgabe eine Doppelseite gewidmet.
Ich hatte schon vergessen, wie bescheiden ein
solches Leben damals ausgestattet war. Ich lese in diesem Heft: "von den rund 50
lesungen, die ich jährlich mache, sind etwa die hälfte normal honoriert (also mit dm
150,- bis 200,-), der rest: risico-acts auf spesenbasis."
-- [Konvergenz: Pop] --
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