log #237:
fahrtenbuch, seite #1 Im Logbuch von "kunst
ost" ist jener Stand der Dinge skizziert, aus dem heraus nun dieses "Fahrtenbuch"
seinen Auftakt hat. (Siehe dazu log #238!) Der
Impuls dazu: Fotograf Franz Sattler (Naas) hatte für uns einen Termin mit Herbert
Pregartner, dem Bürgermeister von St. Ruprecht/Raab,
vereinbart. Eine von mehreren Stationen auf einer kleinen Reise durch die Region.
Dabei geht es um eine Serie von Gesprächen
und um das konkrete Aufsuchen der Orte. Ansichten und Aussichten, Impressionen und
Erfahrungen. Sehen Sie? Erfahrung, das Wort trägt die "Fahrt" in sich. Für
Stubenhocker gibt es nichts herauszufinden. |
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Das
ist seit der Antike so: Raus aus der guten Stube, um sich der Welt zuzuwenden, oder hocken
bleiben. Mir war vorher schon klar, was sich alles nicht vom Schreibtisch aus klären
läßt. Ein neuer guter Grund, die Region zu "er-fahren". Weshalb ich diesen
Aufzeichnungen nun die Überschrift "Fahrtenbuch" gebe, was mir am
treffendsten erscheint.
Diese Fahrtenserie führte mich
kürzlich nach Regerstätten, wo sich der vormalige Elin- Arbeiter Gerald Hierzer seinen
Lebenstraum erfüllte, indem er seinen eigenen Betrieb aufmachte. Das Geschichterl dazu: [link]
Regerstätten war mir bisher vor
allem durch dieses erstaunliche Bauwerk geläufig, welches zwar mit der Renaissance
liebäugelt, aber erst einige Jährchen drauf hat. Ich habe es 2008 in den Notizen zu "next
space" erwähnt: [link]
Doch von welcher Gemeinde wäre nun
eigentlich zu reden? Regerstätten gehört zu Krottendorf. So
entdeckte ich, daß man dort ein äußerst interessantes Wappen führt. Eine Ähre und ein Zahnrad. Klarer könnte kaum zusammengefaßt
werden, was die Oststeiermark im 20. Jahrhundert hauptsächlich geprägt hat.
Es war ein von außen mit rigorosen Maßnahmen
durchgedrückter Umbruch von der agrarischen Welt in das Industriezeitalter. Davon ist
selbstverständlich fast kein Flecken der Erde ausgenommen geblieben. |
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Aber
es macht einen großen Unterschied, ob dabei die Menschen solche Prozesse aus sich
heraus entwicklen dürfen, entlang den eigenen Ansprüchen, oder ob ihnen Regelwerke
und Tempo von außen und von anderen Instanzen aufgezwungen werden. Eine
Fragestellung, die übrigens gegenwärtig gerade wieder große Brisanz erhält. In diesem
Teil Österreichs war es historisch ein großer Druck von außen.
Die wesentlichen Stichworte zu
dieser Thematik, die mir im Krottendorfer Wappen enthalten scheint, lauten nach meienr
Einschätzung:
1) Die "Bauernbefreiung" von 1848,
2) die Kriegswirtschaft des Ersten Weltkrieges, gleichermaßen ruinös für viele der
traditionellen "Selbstversorger-Wirtschaften" im bald darauf folgenden Krieg und
3) die Moderiniserung/Maschinisierung der Landwirtschaft nach dem Zweiten Weltkrieg.
Zum dritten Punkt fand ich übrigens
kurz nach dem oben erwähnten Treffen mit dem Mechaniker Hierzer einen kuriosen
Technologie-Querverweis in der Gemeinde Hofstätten. Im Büro von Bürgermeister Werner
Höfler steht die fein gearbeitete Miniatur eines "Steyr Typ 180"; der
stupsnäsige Zweizylinder.
Eines der verwandten Steyr-Modelle,
mit einem 15 Ps starken Einzylinder-Motor, brachte dem populären Traktor den
Spitznamen "Fünfzehner" ein, was man heute noch oft zu hören bekommt.
(Siehe dazu die exzellente Website mit vielen digitalisierten Prospekten aus der Zeit von
Micha Lanner: Steyr 80 & Steyr 180!)
Traktoren sind geradezu die "Wappentiere" gehabter Modernisierungsprozesse.
Modernisierung: Sehnsuchts-Sache und
Trauma-Quelle. Diese Art der zwiespältigen Spannungssituation hat sich über die letzten
hundert Jahre erhalten. Das obige Zitat entstammt dem ersten Band des zweibändigen Werkes
Bäuerliches Leben in der Oststeiermark seit 1848 von Karl Kaser und
Karl Stocker.
Dieses Zitat endet mit "... beinahe
jeder zweite Bauer eine Häckselmaschine." Später: Elektrizität und Wasser im
Haus wurde für die meisten Anwesen erst nach dem Zweiten Weltkrieg
selbstverständlich. Durch solche Motive mag eine
Vorstellung entstehen, wie jung der Standrad und der Komfort sind, die den meisten unter
uns heute als Minimum erscheinen.
Wer kennt noch den Begriff "Bauernlegung"?
Damit bezeichnete man den Verkauf einer ganzen Bauernwirtschaft an Nichtbauern, mit der
Folge, daß die Landwirtschaft nicht mehr weiter geführt wurde. Auch "Güterschlächterei",
das Zerlegen und parzellierte Verkaufen von Wirtschaften, ist kein geläufiges Wort mehr. |
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[literatur]
Das betrifft nur einige der
Hintergründe, vor denen ich zu jenem Themenbogen komme, der meiner "Regionalskizze" als
Überschrift dient: "Zwischen Landwirtschaft und High Tech".
Die Ähre und das Zahnrad im Krottendorfer Wappen drücken diese Geschichte aus. Ein
Reisen durch die "Energie-Region" bestätigt das Motiv auf vielfache
Art.
Die Oststeiermark hat schon mehrere
"Modernisierungskrisen" durchlaufen. Unsere Gegenwart scheint in der Sache eine
neue Variante zu liefern. Eine etwas pessimistische Headline vom 8. Februar 2010
verkündet (Quelle: "Kleine
Zeitung"):
Es handelt AUCH von kulturellen
Fragestellungen, wenn in diesen Zusammenhängen um Lösungen gerungen wird. Denn sozialer
Frieden ist nicht nur in Ökonomie und Politik angelegt, sondern sehr wesentlich auch in
kulturellen Möglichkeiten.
All das handelt AUCH davon, ob man
allfällige Standortnachteile durch eine smarte Nutzung von noch vorhandenen Ressourcen
ausgleichen kann. Darum geht es in einem wesentlichen Bereich des Kulturprojektes "kunst
ost" ...
[kunst ost: fahrtenbuch]
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