log #173: next code Es ist ein glanzloser Winkel am Rande des
Stadtzentrums, ein Platz, den ich sehr mag. Die Gebäude im Hintergrund zeigen sich recht
verschlossen. Wo heute Kebab gegrillt wird, bestand davor eine kleine Bäckerei. Nichts
Glamouröses an oder in dieser Kurve. Nur gelegentlich der überlaute Geräuschbogen, wenn
ein Teenie sein Moped mit aufgebohrtem Auspuff um die Ecke schmeißt.
Philosoph Erwin Fiala hatte sich zu einer
kleinen Stärkung einladen lassen, die eigentlich ich gebraucht habe, denn mit ihm zu
debattieren, dann auch noch über Niklas Luhmann, legt nahe, daß man in guter Verfassung
ist. (Siehe dazu meine
Notiz in "Krusches Logbuch"!)
Ich hab mich in einem vorigen Eintrag auf Luhmann bezogen. Es geht dabei um "Das
soziale System Kunst", um Fragen warum es das geben soll, Kunst und
einen Kunstbetrieb, wie ich das bei einem LEADER-Kulturmeeting auf den Tisch gelegt habe [link]; auch um
Fragen der Wahrnehmung ("Aisthesis") und was es bedingt, damit wir unsere
Wahrnehmung zu verfeinern vermögen. Das sind soziokukturelle Agenda.
Luhmann stellte fest: "Das
Bewußtsein kann nicht kommunizieren, die Kommunikation kann nicht wahrnehmen."
Wissen WAS man es tut und WIE man es tut ... Manche Menschen tun gerne so, als sei das eh
klar und keine Erörterung dessen nötig.
Wer Kunst- und Kulturschaffende
in diesem Sinne leichtfertig anficht, unterschlägt dabei, daß er oder sie zu solchen
Anfechtungen intellektuell gar nicht in der Lage wäre ohne die kulturellen Leistungen
einer Gesellschaft, die sich genau darin auf eben jene Kräfte stützt, welche hinterher
dafür mitunter angegriffen werden. Da gibt es also laufend Klärungsbedarf. |
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Ich sage es anders und bewußt
polemisch: Ohne dieses kulturelle Feld und die dort vollbrachten Arbeitsleistungen säßen
wir noch quietschvergnügt oder recht verängstigt im Neandertal. Wer also meint,
einschlägige Investitionen seien rausgeschmissenes Geld, möge sein zeitgenössisches
Gehirn bei der Garderobe gegen das eines Vorzeitmenschen eintauschen. (Damit kann man
schließlich auch durch ein Leben kommen.)
Niels Werber von der Fakultät für Philologie
an der Ruhr-Universität Bochum hat in einer Reflexion über Luhmanns
Kunsttheorie ("Die Kunst der Gesellschaft") folgende Skizze verfaßt:
>>Ich möchte ein
extensives Verständnis von Kunst vorschlagen, daß sich nicht auf den Kanon der
Hoch-Kunst beschränkt, sondern Krimis, B-Movies und Pop einbezieht. Schließlich haben
alle diese Gattungen das Eine gemeinsam, gleich an welches Publikum über welches Medium
sie sich richten; sie unterhalten freie Zeit mit codierten Operationssequenzen, deren
Beobachtung fesselt oder langweilt. In diesem Zuschnitt ist die Kunst keinesfalls ein
"gesellschaftsstrukturell eher harmloses" Phänomen, auf das anders als im Falle
von Recht oder Macht auch mal verzichtet werden könnte (326). Denn man stelle sich einmal
vor, alle TV-Kanäle strichen ihre Unterhaltungsprogramme, alle Kinos schlössen ihre
Tore, kein Sender übertrüge Musik oder Hörspiele, alle CDs, Kassetten und Platten
wären defekt, keine Oper oder Theater spielten, alle Bücher zerfielen zu Staub - was
geschähe dann mit unserer "Freizeitgesellschaft"? Es würde wohl nicht lange
dauern, bis eine gelangweilte Hand das erste Ornament auf ein Blatt Papier gezaubert
hätte, so daß die Evolution der Kunst von Neuem beginnen könnte. Würden nicht aus
zeitvernichtendem Small-talk schnell literaturähnliche Formen entstehen? Wenn ja, dann
geht es nicht ohne Kunst. Und dies ist der Sinn des Funktionsbegriffs in der
Systemtheorie.<<
Es ist also keineswegs akzeptabel, wenn
Kunst- und Kulturschaffende, die sich praktisch um solche Zusammenhänge bemühen, in
kommunalen Geplänkeln leichtfertig diskreditiert werden. Ich bin in der Sache durchaus
streitbar und ohne Hemmung, manchen gedankenlosen Klugscheißern bei Bedarf auch sehr
heftig zurückzukommen. Es ist in der Sache nämlich auch im POLITISCHEN Sinne von
DEFINITIONSHOHEIT zu reden. Gemäß der simplen Forderung: "Nennen Sie Ihre
Gründe!"
"Wenn ihr unbedingt streiten müßt,
dann rrrrraus!" scheint Event-Managerin Kathi Mayr gerade zu sagen. Tat sie hier
aber nicht. Der Zusammenhang ist im schon erwähnten Log #1429 dargelegt. Es
ging hier um "gleisdorf.
ein L für die kunst", womit wir stetig vorankommen.
Es ist ein Pendeln zwischen lokaler und
regionaler Praxis einerseits, der Metaebene und Sachdiskursen andrerseits, es ist zugleich
ein Ausscheren zu internationalen Querverbindungen. Außerdem sind in der gesamten Sache,
die hier noch ausführlicher dargestellt wird, laufend Jobs zu tun. "TEXDEM"-Autor Dieter Wenk schrieb in
seinen Reflexionen über Luhmans Theorie:
>>Ob
Kunst gelingt oder misslingt, überlässt er dem jeweiligen Betrachter und im Weiteren dem
System Kunst, das sich in jedem Moment fragen muss, wie und wohin es weitergeht.<<
Doch an keiner Stelle wird behauptet,
daß dies nur in den Landeszentren geschehen könne oder solle. Wir markieren
hier einige Passagen in der Region, zu denen es heißen muß: "Provinz war
gestern!"
P.S.:
Das geschieht (mit Verlaub!) auch gestützt auf Erörterungen der Sozial- und
Zeitgeschichte dieses Landes. Siehe dazu etwa die aktuellen
Lesetips!
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