log #172: slow
motion | leader Die "Freiheit der Kunst"
handelt unter anderem davon, daß die Kunst sich selbst Quelle ihrer Kriterien ist. Der
Soziologe Niklas Luhman hat die interessante Auffassung vertreten, Kunst kommuniziere NUR
durch Kunstwerke. Daraus darf vielleicht auch abgeleitet werden, daß Kunstschaffende sich
keineswegs zwingend IRGENDWELCHE Kenntnisse von der Welt verschaffen müßten, um zu
relevanten Kunstwerken fähig zu sein.
Wo wir aber in kulturPOLITISCHE
Debatten einsteigen, weil wir etwa der Gesellschaft diese oder jene Forderung
vorlegen möchten, sollte es möglich sein, die Gründe dafür zu nennen und die
Zusammenhänge beschreiben zu können, auch Hintergründe zu kennen. Das ist einer der Gründe, warum Ernst Bruckmüllers "Sozialgeschichte
Österreichs" in meiner Bibliothek zum Standard gehört. Das Buch ist weder
billig, noch dünn, doch auf jeder Seite Geld und Aufmerksamkeit wert.
Es kursieren einfach zu viele halbgare Ansichten über das
Leben in diesem Land und über dessen Vorgeschichten. Kaum ein Gebiet ist so mit
"Wanderlegenden" durchsetzt, wie unsere Sozialgeschichte. |
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Zugegeben, ich bin in Geschichtsschreibung
vernarrt. Es muß einem das nicht gar so wichtig sein. Eine grobe Orientierung halte ich
aber dennoch für unverzichtbar. In meiner frühen Schulzeit wurde das über "Heimatkunde"
abgehandelt. Grobe Kolportage, die hauptsächlich Sereotypien gehätschelt hat.
Zu den knapp gefaßten
Bändchen bei C.H.Beck gehört auch eine anschauliche "Österreichische
Geschichte" von Karl Vocelka. Wo gerade so
viel über Europa und so allerhand über "Nation" zu lesen und zu hören ist,
erscheint mir eine möglichst nüchterne, unaufgeregte Skizze wie in diesem Buch sehr
anregend.
Da werden nicht gleich "Tausend Jahre
Österreich" dahinbehauptet, statt dessen beschreibt Vocelka, über welche
Markierungen und Ideen der Weg zu diesem Österreich unserer Gegenwart führtre.
Selbst diese knappe Lektüre hilft, so manches gängige
Klischee als genau das zu erkennen, was ja nützt, falls wir da und dort über "heimische
Kulturpolitik" zu debattieren haben. |
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Um zu begreifen, WO ich eigentlich ansässig
bin und welche Kräftespiele dieses Bundesland geprägt haben, ist freilich auch ein etwas
ausdauernder Blick auf das Thema Steiermark hilfreich.
Diese entspannt lesbare
Arbeit von Stefan Karner beschreibt "Die Steiermark im 20. Jahrhundert",
ist um einen satten Anhang erweitert, ermöglicht ganz unterschiedliche Zugänge. Ob
durchgängiges Leseerlebnis, einfaches Stöbern oder gezieltes Suchen, durch diesen Band
wird so manches klarer, was im gängigen Gerede unscharf bleibt. Gerade der Arbeitszusammenhang LEADER -- ländlicher Raum --
agrarische Welt scheint mir weit mehr als die jüngere Geschichte der industrialisierten
Gesellschaftsbereiche von Legendenbildung, Propaganda und Ideologie überlagert.
Das verdankt sich bestimmt schon den Prozessen der
vorvorigen Jahrhundertwende. |
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Aber es ist ideologisch vor allem in der
Nazi-Ära auf mehr als eine Spitze getrieben worden. Das agrarische Leben hat im 20.
Jahrhundert so vielschichtige, teils brutale Veränderungsschübe erlebt, daß es heute
oft sehr schwer fällt, die Aspekte auseinanderzuhalten, welche darin für Ideologien oder
für reale und realistische Beschreibungen stehen.
Deshalb zählt der "Sterische
Bauernkalender" in alten Ausgaben zu meiner Lieblingslektüre, wenn ich einen
Eindruck bekommen möchte, was sich da mentalitätsgeschichtlich in meiner Region getan
haben könnte.
Diesbezüglich ist man auf regionale Flohmärkte
angewiesen, wo sich aber leicht fündig werden läßt, denn dieses Periodikum war offenbar
über Jahrzehnte in den meisten Haushalten präsent. Hier das Cover der Ausgabe aus meinem
Geburtsjahr:
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