5. April 2022
Wenn Heraklit
schwafelt
Ich finde keinen Geschmack an Empörung. Unter uns
Wohlstandskindern gerät mir das so leicht zu einer
Ersatzhandlung. Ersatz wofür? Darauf komme ich später noch.
Wenn ich dann einen Bericht sehe, in dem zum Beispiel ein
herzkrankes ukrainisches Baby, noch nicht einmal ein halbes
Jahr alt, von fliehenden Eltern zurückgelassen wurde,
wahlweise durch russische Waffen zur Waise wurde, wir wissen
es ja nicht, dann macht das freilich was mit mir. Was es mit
mir macht, ist sehr intim, ist privat, und ich hab kein
Bedürfnis, Ihnen davon zu erzählen.
Ich mag mich in öffentlichen Debatten um andere Dinge
kümmern. Um Aspekte, für die ich ganz konkret Verantwortung
übernehmen kann. Als ich mich mit einigen anderen
Kulturschaffenden über den 8. Mai 2022 unterhielt, als wir
beschlossen, zum 8. Mai 1945 einige Akzente zu setzen, war
für uns noch nicht erkennbar, daß Rußland die Ukraine
überfallen werde, was am 20. Februar 2014 geschah.
Das steht für mich vorerst im Fokus: Fragen zur Republik und
zur Demokratie. Das liegt auf jeden Fall in unseren
Möglichkeiten: Inhalte bearbeiten, den öffentlichen Diskurs
mitgestalten. Ich hab „Das
Wagnis des Zwischenraums“ schon betont. Ich hab notiert:
„Freiheit
ist ein Pakt“. Dazu gehört in meinem Themenschwerpunkt
nun:
Der soldatische Mann ist eine Anomalie. (Der
Krieg ist es folglich auch.)
Mir ist das grundlegende Dilemma völlig bewußt. Wenn
Zivilisation (im Dienst der Menschenwürde) in Gewaltverzicht
wurzelt und wir dem Staat daher das Gewaltmonopol übergeben,
braucht es dabei trainierte sowie bewaffnete Kräfte.
Es braucht bewaffnete Einheiten, die nach klaren Regeln
(unter tauglicher Kontrolle) dieses Gewaltmonopol gegen
Attacken sichern; notfalls auch gegen eine Soldateska von
außen. Ich sehe dazu vorerst keine Alternative.
Doch
das alte ideologische Inventar sollten wir auf jeden Fall
längst demontiert haben. Dieses Phantasma von der
Armee als „Schule der Nation“ muß erst gründlich
abgetragen werden. Sogar mein Vater [Link]
hat mir noch davon geredet:
„Der Krieg ist der Vater aller Dinge“
Das war keineswegs leichtfertig dahingesagt, aber schlampig
zitiert. Als Überlebender eines Bewährungsbataillons wußte
der Mann, was das Wort Krieg bezeichnet. Sein verwüsteter
Körper hat das bestätigt.
Was aber von Heraklit in
der Sammlung „Über die Natur“ erhalten blieb, ist aus
heutiger Sicht zu großen Teilen Geschwafel. Gut, es mag
historisches Gewicht haben, wenn es damals noch nicht lange
gedacht und dann vielleicht erstmals notiert wurde; zum
Beispiel: „97. Denn Hunde bellen die an, die sie nicht
kennen.“
Oder: „49. Einer gilt mir
zehntausend, falls er der Beste ist.“ Zwischendrin dann
eben auch: „53. Krieg ist aller Dinge Vater, aller Dinge
König. Die einen macht er zu Göttern, die anderen zu
Menschen, die einen zu Sklaven, die anderen zu Freien.“
(Darauf werde ich hier noch näher eingehen!) Es bleibt aber
für die Gegenwart Heraklits Geschwafel…
+)
Mai acht
[Kalender]
[Reset]
|
|