23. Juni 2017

"Na klar, zwischendurch gibt's skeptische Blicke." besagt eine Notiz aus dem Jahr 2007. "Die bisherigen Treffen zeigen deutlich: Ungleichzeitigkeiten und höchst unterschiedlich liegende Prioritäten." Seit über einem Jahrzehnt gibt es hier Aufzeichnungen über solche Debatten und Entwicklungen in der Stadt Gleisdorf, in der Kleinregion Gleisdorf, in der Energieregion Weiz-Gleisdorf.

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Philosoph Erwin Fiala: "Was ist Kunst?"

Es folgt die Stelle: "Da waren natürlich auch Fragen, was denn das nun sei: Gegenwartskunst? Zeitgenössische Kunst? Kunst überhaupt?" [Quelle] Ich darf also sagen, die Frage "Was ist Kunst?" zu stellen und zu debattieren gehört hier fix zum Lauf der Dinge. Im Jahr 2008 hatten wir das Thema übrigens mit Philosoph Erwin Fiala in Arbeit, siehe: [link]

Es ist allerdings ebenso durchgängig feststellbar, daß sich allerhand regionale Kräfte aus dem Kulturbereich genau dieser Frage ausdauernd verweigern, obwohl sie sich selbst unter die Flagge der Kunst reklamieren. Das muß den Kreativen freistehen. In der Kulturpolitik bestehen andere Anforderungen. Da muß jemand schon wissen, was er tut und warum er es tut.

Am 2007er Eintrag fiel mir eben auf, daß darin einerseits der (inzwischen verstorbene) Tätowierer Herbert Hoffmann vorkommt, der in diesem Metier europaweit einen herausragenden Ruf hatte und überdies ein exzellenter Fotograf war: [link]

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Tätowierer Herbert Hoffmann (Foto: Archiv Hofmann)

Andrerseits kam in diesem Eintrag der Tischler Josef Luckerbauer vor, der auch nicht mehr lebt. Er war einst persönlicher Lieferant der Familie Thonet, begegnete uns damals als Kustos des sehenswerten Thonet-Museum im oststeirischen Friedberg. Aus diesem Zusammenhang stammt die Notiz:

"Das wäre doch spannend, sich in der Region nach einigen alten Handwerkern umzusehen und sich mit ihnen einmal an einen Tisch zu setzen. Was sind denn das für Ansichten und Erfahrungen, die aus einer teils versunkenen Arbeitswelt stammen?"

Das ist mit der Themenleister "Die Ehre des Handwerks" schon einige Jahre fixer Bestandteil unserer Arbeit: [link] In dieser Community der alten Meister habe ich das als Prinzip kennengelernt: Man kann, was man sagt und man sagt nur, was man kann. Jede Art der Aufschneiderei ist dort verpönt.

Auch im Jahr 2014, als Kunst Ost für die Stadt Gleisdorf das Konzept eines LEADER Kulturprojektes gelieferrt hatte, waren solche Diskussionen noch auf dem Tisch; siehe: "Kulturpakt Gleisdorf, Debatte": [link] Die Gründe sind einfach. Ohne solche wiederkehrenden Diskussionen wird die Orientierung nach innen nicht gelingen und die Rechtfertigung der Verwendung öffentlicher Gelder bleibt dubios. Das schwächt eine Region.

Warum sollte nun jemand überhaupt ein Interesse haben, diese Zusammenhänge im Trüben zu halten, mit unscharfen Begriffen umzugehen und eine kritische Debatte darüber lieber zu diskreditieren als zu fördern?

Gehen Sie davon aus, daß im Gemeinwesen spätestens seit Ende 2010 ein wachsender Verteilungskampf und Verdrängungswettbewerb läuft. Das hat mit den Konsequenzen des Lehman Brothers-Crash zu tun, mit den wandernden Krisen, die sich schließlich zu jener Zeit mit den hausgemachten Problemen verzahnten.

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Ludersdorf: Schloß Freiberg

Dieser Verteilungskampf und Verdrängungswettbewerb findet selbstverständlich auch im Kulturbereich statt, wird da aber tunlichst verschwiegen, notfalls mit Kosmetik geschönt. Wenn also heute jemand gar so sehr betont, daß am Status quo alles bestens sei, alles wunderbar, und zugleich an unscharfen Begriffen festhält (Ist vielleicht doch der Tisch ein Sessel, der Hund eine Katze?), überdies kritische Debatten als unredliches Verhalten desavouiert, dann muß man kein Prophet sein, um zu erahnen: Da sucht sich jemand eine günstige Position im aktuellen Verteilungskampf.

So dient man sich jenen an, die auf einem Feld grade das Sagen haben. So empfiehlt man sich etablierten Leuten als serviler Geist, der dafür Vorteile erwartet. Das ist mit dem expliziten Kulturauftrag, wie wir ihn im Landeskulturförderungsgesetzes der Steiermark finden, nicht all zu kompatibel, vor allem mit: 3. eine zum Verständnis und zur Kritik befähigte Öffentlichkeit; siehe den Eintrag "Kunst, Kultur, Politik" [link] Aber wo eine kulturpolitisch relevante Situation allenfalls simuliert wird, fällt sowas nicht weiter auf.

Eine meiner Thesen zu solchen Verhältnissen besagt, wir hätten es hier mit dem mentalitätsgeschichtlichen Erbe aus der versunkenen Ständegesellschaft zu tun. Das Grundmuster: Der Untertan weiß wo sein Platz ist, wird sich gegenüber der Obrigkeit/Behörde durch Wohlverhalten hervortun, weil das die beste Strategie ist, um für sich Vorteile zu lukrieren.

Was es mit diesem Motiv Ständegesellschaft auf sich hat, werde ich noch näher ausführen. Ich halte das auch für einen wichtigen Aspekt im Nachdenken über Volkskultur. In wenigen Tagen endet das LEADER-Kulturprojekt "Volkskultur 4.0: Eine Positionsbestimmung" [link] Ein dazu fälliges Fazit wird von solchen Kategorien ausgehen.

Ich komme kurz zurück zur laufenden Debatte über die Fragen zur Kunst, zum Tätowierer Herbert Hoffmann und zum Thonet-Tischler Josef Luckerbauer, zu den Fragen nach der Ehre des Handwerks.

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Die vor uns liegende Walking Conference unter dem Titel "Was ist Kunst?" [link] verweist auch schon auf das 2017er Kunstsymposion. Dafür ist ein  Thementriptychon festgelegt, der sich aus all diesen Begegnungen und Prozessen herleitet:

Volkskultur | Popkultur | Gegenwartskunst

Es wird noch eine Weile zu tun sein, um herauszuarbeiten, was da historisch die durchgängigen Ereignislinien sind und was die Brüche. Eine lohnende Aufgabenstellung, u.a. um zu belegen, daß Provinz nicht "provinziell" bedeutet muß. Die Details zu diesem Projektabschnitt sind in "Kontinuitäten: Was ist Kunst?" knapp zusammengefaßt: [link]

-- [Walking Conference: Was ist Kunst?] [Wegmarke 2017] --

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