Log #36

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Na klar, zwischendurch gibt's skeptische Blicke. (Rechts: Manfred Gutmann) Die bisherigen Treffen zeigen deutlich: Ungleichzeitigkeiten und höchst unterschiedlich liegende Prioritäten.

Da waren natürlich auch Fragen, was denn das nun sei: Gegenwartskunst? Zeitgenössische Kunst? Kunst überhaupt? Na was schon?! Es ist das, womit sich ein vielstimmiger Chor permanent befaßt, um stets neu zu verhandeln, was es nun sei. "Wahre" Kunst? "Wahre" Kennerschaft?

Seit wenigstens zweitausend Jahren sind derlei Debatten überliefert und in Texten erhalten. Was also Kunst sei, unterliegt ständig neuen Deutungen, welche von verschiedenen Instanzen vorgenommen werden. Die da wären:

+) Ich in künstlerischer Selbstermächtigung: Wenn es mir gefällt und paßt, welcher Einwand sollte dann Gewicht haben?

+) Das Feuilleton: Medienanwendung ist gesellschaftliche Realitätserzeugung. Was Kritikerinnen und Kritiker via Medien als Kunst ausweisen, wird schwer zu ignorieren sein.

+) Die Kunstgeschichte: Vergleichen, ordnen, bewerten, publizieren; Fachleute dieser Disziplin sichern sich laufend erhebliche Definitionsmacht, die dann etwa über kuratorische und publizistische Tätigkeit in die Praxis des Kunstbetriebes einfließt.

+) Der Markt: Was Agenturen, Galerien, Auktionshäuser, Sammler etc. in hohe Preiskategorien erheben, kann doch nicht KEINE Kunst sein; oder?

Das sind einige der Kräfte, von denen Debatten über die Frage "Was ist Kunst" bestimmt werden. Die Liste ließe sich noch erweitern und mit einem etwas schlampig memorierten Franz West-Zitat zusammenfassen: "Kunst ist das, was Leute, die etwas von Kunst verstehen, für Kunst halten." (Lustig, hm?)

Wem das alles lästig ist, wer das für Unfug hält oder für eine Zumutung, braucht eigentlich nur eines tun: Auf Öffentlichkeit verzichten. Dann bleibt man von Kunst- Diskursen unbehelligt. Wer dagegen publizieren möchte, macht sich alleine schon dadurch zum Teil solcher Kräftespiele. Ob das nun die gute oder die schlechte Nachricht ist ... keine Ahnung.

Cut!

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Ich korrespondiere gerade mit Herbert Hoffmann, der zu den "Szene-Größen" unter den Tätowierern Deutschlands gehört und Gleisdorf demnächst besuchen wird. Ich habe ihn gefragt, ob er sich dem Kunstfeld zurechnet. Seine Antwort darauf:

>>Ich verstehe mich eher als Handwerker, der mit Fleiß und Liebe zur Freude seiner Freunde und seiner Kunden saubere Werke schafft. Um einen Anspruch auf Kunst zu erheben, fehlte mir eine künstlerische Ausbildung etwa auf einer Hochschule oder Akademie für Zeichnen und Malerei. Meine Hauptaufgabe sah ich darin, zunächst "den trocken gelegten Acker zu bestellen" in der Form, dass ich die Menschen  aufklären und ihnen die Tätowierung nahe bringen musste. ...<<

Ich finde diesen Aspekt sehr interessant; was Hoffmann das "saubere Handwerk" nennt. Kurz davor habe ich einen Tischler, wenig jünger als Hoffmann, zu solchen Zusammenhängen befragt.

Josef Luckerbauer war einst persönlicher Lieferant der Familie Thonet, ist heute als Kustos im sehenswerten Thonet-Museum von Friedberg tätig. Er hatte mich mit seinen Ansichten über Formen und Funktionen überrascht, also fragte ich ihn, wie es komme, daß ein Tischler in der entlegenen Oststeiermark so offenbar profunde Sachkenntnisse und ästhetische Erfahrungen habe.

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Luckerbauer (hier mit "next code"-Kuratorin Mirjana Selakov) meinte, ich hätte wohl keine besonders hohe Meinung von Tischlern. Ein Mißverständnis, erwiderte ich, Tischler zu sein bedeute ja heute vor allem, daß man Preßspanplatten zusammenschießt, da werden solche Kompetenzen wohl kaum gefordert.

Er nickte. Das Handwerk werde kaum noch gefragt und daher auch nicht bezahlt. Er würde immer noch Kurse besuchen, die seinen Beruf betreffen, und ... Stilkunde studieren.

Stilkunde. Ein Orientierungssystem. Wenn wir also darüber reden, was denn nun "Gegenwartskunst" sei, wenn das eine relevante Fragestellung ist, lassen sich Hintergünde, Vorgeschichten und Vorleistungen nicht beiseite schieben.

Zugleich denke ich mir schon ein Weilchen:

Das wäre doch spannend, sich in der Region nach einigen alten Handwerkern umzusehen und sich mit ihnen einmal an einen Tisch zu setzen. Was sind denn das für Ansichten und Erfahrungen, die aus einer teils versunkenen Arbeitswelt stammen?

Was ist da an Klugheit über Stoffe, Materialien, Werkzeuge, Traditionen, Funktionen und Ästhetik? Denn es gibt mich als Kunstschaffenden ohne derlei Zusammenhänge und Vorleistungen in einer Gesellschaft überhaupt nicht ...

Cut!

Öffentlicher Raum und Stadtzentren, türkischer Kaffee und Ratluk, Mahala und Carsija ... einige aktuelle Notizen bei "next code: reel": [link]


resethome
30•07