14. Juni 2017

Gesinnung. Ist dieses Wort heute noch geläufig? Es ergibt übrigens die Basis für den Begriff Gesinnungsschnüffelei. Ich hatte kürzlich über solche Kategorien zu debattieren. Kennen wir eine Art der Deklarationspflicht in Sachen Weltanschauung? Sollte ich mir gewissermaßen einen Beipackzettel in die Hosentasche schieben lassen, der Wirkungen und allfällige Nebenwirkungen meines Denkens auflistet?

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Die Erörterung fand in einem 13. Stockwerk über Graz statt. Auf jenem Balkon hatte ich zuletzt vor Jahren Espresso getrunken. Diese aufragende Hütte, ein Stück materieller Peripherie des Denkgebäudes SPLITTERWERK [link] Edith Hemmrich und Mark Blaschitz schienen mir von der Zeit völlig unbehelligt zu sein. So als wäre ich bloß kurz Zigaretten holen gewesen. (Eine Pose, die nun auch schon viele Jahre zurückliegt.)

Gesinnung. Wir Menschen haben uns mit einer technisch aufwendigen Info-Sphäre umgeben, die Tag für Tag 24 Stunden lang eine Maßlosigkeit der Ansichten ausschüttet. Das ist die vermutlich zwingende Folge unseres Dümpelns in einem Informations-Ozean, in dem nichts leichter bleibt als zu ersaufen.

Ich vermute, dabei ist das Ausposaunen von Gesinngsfragmenten eine Art Schwimmweste. Mir gefällt es ja auf diesem Ozean der Informationen und Scheininformationen, vor allem in jener Ecke des saukalten und stürmischen Atlantiks. Es gibt immer irgendwo eine Normandie, wo das Anlanden von Barbaren abgewehrt wird. Eine Schwimmweste halte ich dabei für unbedeutend. Entweder macht meine Karavelle Fahrt oder ich gehe unter.

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Metapherngeschäft! (Zum Stichwort Karavellen siehe den Eintrag vom 31. Jänner dieses Jahres!) Ich schweife ab. Deklarationspflicht in Sachen Weltanschauung. Dank meiner Verstrickung in unsere Info-Sphäre erfahre ich alles, alles, alles, vorzugsweise auch "Die Wahrheit über..." und überhaupt "Das Wichtigste" wie "Das Wesentliche". Das ist mein Umfeld, meine Hülle, mein Mantel, um heuer eine Fragen nach Raumverhältnissen und Ausstattung voranzubringen; in der Zusammenschau: "Hauslos | Maschinerie | Kunst".

Wir wußten übrigens schon vor den Zeiten des Internet und der Social Media, daß es uns Dilemmata beschert, wenn wir tagtäglich von Dingen erfahren, auf die wir nicht mehr handelnd reagieren können. Das bringt uns unter Druck, mehrt die Irritationen. Ich bin ja auf dem Boulevard aufgewachsen, als mir Erwachsene, die ihre Readers Digest-Abonnements hatten, den Unterschied zwischen a) Kultur und b) Schmutz & Schund mit Schlägen ins Gesicht beibringen wollten.

Ist nun diese allgegenwärtige, inzwischen recht angeschwollene Moraltrompeterei, diese webgestützte Bekenntnisorgie eine Entlastungsstrategie, um sich von einem enormen Kummer-Druck zu befreien?

Der "Meinungsknopf", der Button mit Botschaften, wurde längst von elektronischen Varianten abgelöst. Er geriet übrigens auch seinerseits inzwischen zum Accessoire. Buttons pro Hanf und gegen Atomkraft kann ich heute im Spielwarenhandel kaufen. Der Kopf von Che Guevara ist ein Gestaltungselement zum Bedrucken von T-Shirts.

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(Quelle: Freizeit Revue 23/2017)

Aber wir müssen alles, alles, alles mitteilen. Nichts ist dafür zu unerheblich. Selbst kaputte Strümpfe bieten noch Gelegenheit zur Selbstdarstellung. Meine Debatte mit Blaschitz und Hemmrich berührte freilich auch die Frage nach den bevorzugten Kommunikatioinsmitteln gegenüber der Welt. In meinem Fall ist es die Sprache, was einem für die Selbstdarstellung, wenn man es möchte, allerhand Eindeutigkeit ermöglicht.

Beim SPLITTERWERK ist Sprache nicht das dominante Medium. In einiger Streitbarkeit dieses Kollektivs, zwischen Dienstleistung und Baukunst zu unterscheiden, denn ihre Metier ist die Architektur, ist ein explizites Sprechen in Worten nicht vorrangig.

Was hieße das aber nun? Müßte das SPLITTERWERK auf seiner Website jetzt einen kleinen Jpeg-Button anbringen? Welcher Slogan müßte drauf? Etwa "Abschiebung nach Afghanistan nein danke"? Oder: "Hört auf schlechte Menschen zu sein"?

Ich habe erst kürzlich einen brancheninternen Solidaritäts-Ruf erhalten, in dem gebildete Menschen so scheußliche Sätze wie diesen formuliert haben: "Alle Bürgerinnen und Bürger werden aufgerufen, ihre Stimme für die in Österreich Schutzsuchenden zu erheben!" [Quelle]

Das läßt mich an Verwaltungsbeamte in Nordkorea denken. (Amtskoreanisch, per Software ins Deutsche übersetzt.) Im Falle solcher Ausdrucksschwäche wäre freilich ein schlichter Button durchaus passend, ja tröstlich. Aber warum sollten sich denn Kulturschaffende überhaupt deklarieren sollen? Sie mögen es tun, wem jemandem danach ist. Aus eigener Kraft, mit den individuell bevorzugten Ausdrucksmitteln, oder auch auf stille Art, in sich selbst konsequent, ohne jede große Geste vor der Welt.

Es gibt keine guten Gründe, sich auf Rituale einzulassen, die sich vor allem da bewähren, wo es um einen homogenen Untertanenverband geht. Derlei Methoden sind für uns eigentlich ohne Geheimnisse. Was aber ein zeitgemäßer Ausdruck von Solidarität sei (Wessen? Für wen?), halte ich derzeit für überaus klärungsbedürftig.

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Und dann ist da immer noch mein Bedürfnis, mich nicht mit dem Ausdruck einer Gesinnung zu behängen und mich nicht Gemeinschaften anzuschließen, nur weil sie mir etwas zugerufen haben. Wenn wir, als Kunstschaffende, für jenen Möglichkeitsraum sorgen, in dem ein differenziert wirkendes geistiges Klima besteht, das seine Kohärenz PLUS seine Unschärfen und Unsicherheiten hat, dann findet schon alles statt, was man von einem Künstlerdasein in dieser Gesellschaft erwarten darf.

Ich hab seit Sartre nichts überraschend Neues über "Engagierte Kunst" erfahren und bleibe also bei den seit Jahrzehnten unerschöpflichen Rätseln und Aufgaben kleben, die mir die Kunst beschert, ohne daß ich dazu die Pose des "Engagierten" brauche. Bleibt zu hoffen, daß da draußen längst junge Leute zugange sind, die all das ganz anders sehen als ich und mich zu überraschen, vielleicht zu brüskieren verstehen, um mich überflüssg werden zu lassen...

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