3. April 2017 Der
Stainzer Kulturspaziergang des KBS vom letzten Samstag hat einiges
anklingen lassen, mit dem wir uns noch eine Weile werden befassen müssen. Ich war im gestrigen Eintrag bei einem Motiv angelangt, das den
öffentlichen Raum als einen politischen Raum verstehen läßt. Damit
meine ich auch den realen Ort als eine Ort der leiblichen Anwesenheit.
Das war nie unwichtig, erhält aber im Ausufern virtueller Welten einen speziellen
Kontrast.
Dabei bin ich durch Stainzeit-Exponent Gerhard
Pilz beim Genre der künstlerischen Intervention angelangt, die -- historisch
betrachtet -- nicht von Institutionen kommt, sondern eher einen individuellen Anspruch auf
das Bespielen des öffentlichen Raumes repräsentiert: strategische Eingriffe, wie sie auf
öffentliche Wahrnehmung zielen.
Künstlerische Interventionen im öffentlichen Raum habe
ich noch nie anders als temporär verstehen können. Alles Statische, das auf
Dauer ausgelegt ist, irritiert mich. Mahnmale, Denkmäler, Personenkult, Repräsentation
von Herrschenden und von Kriegshandlungen, all die pflegebedürftigen Kuriosa, zwischen
die dann Kommunikationsakte der Wirtschaft gestellt wurden...
Es ist verblüffend, in welchem Ausmaß die Geschäftswelt
(und stellenweise die Politik) Möglichkeiten hat, den öffentlichen Raum mit ihren
Mitteilungen zu bespielen. Angesichts dessen erstaunt dann, wie etwa auch Gleisdorf
zwischen all dem einen recht dicht gestreuten Bestand an Wegkreuzen hat, der mir jüngst
noch gar keine Gedanken verursachte.
Aber seit ich KBS-Initiatoren Ursula Glaeser ein
paar Mal über die Schulter gesehen hab, wo sie diesem Teil von Statements im
öffentlichen Raum mit Ausdauer nachgeht, fällt es mir auf. Dagegen ist der Ozean von
Plakatflächen, Werbe- und Firmenschildern offenbar schon so vertraut und gründlich
eingeführt, daß sich kaum noch jemand daran stößt, obwohl diese Dichte vielfach
obszönes Ausmaß erreicht.
Als im Sommer 2001 die Gruppe Wochenklausur mit "Von
Ort zu Ort" in Gleisdorf Station machte, war das eines der Arbeitsergebnisse,
die Schlußfolgerung: Viel zu viele Schilder und Wegweiser in der Stadt. Daran hat sich
allerdings in den letzten eineinhalb Jahrzehnten nichts geädert.
Die kleine Gleisdorf-Szene oben, auf dem ersten Bild, zeigt
eine Paraphrase dessen, was in einem Klassiker der Architekturtheorie präzise beschrieben
ist. "Lernen von Las Vegas" (Robert Venturi, Denise Scott Brown und
Steven Izenour) [PDF] handelt von Bauten und der Gestaltung des öffentlichen Raumes,
wo mit Menschen in fahrenden Autor kommuniziert wird. Das meint, die Botschaften müssen
vom fahrenden Auto aus rezipierbar sein.
Es ist im Grunde eine Zumutung, daß Unternehmen erlaubt
wird, sogar auf das autofahrende Publikum einzudringen. Mit dem erwähnten Buch und einer
Reaktion darauf hatte ich übrigens erst vor einigen Monaten zu tun; bei einem Wiedersehen
mit Mark Blaschitz von der Gruppe Splitterwerk: "Diese Position zwischen
trivialen Mythen und Gegenwartskunst, dieser Denkraum und Handlungsspielraum zwischen den
beiden Feldern,... " [link]
Was wir an künstlerischen Interventionen kennen, ist also
primär ein unautorisiertes Eingreifen in solche Zustände, womöglich ein
rebellischer Akt. Eigenartig genug, daß sich heimische Institutionen dieser ursprünglich
subversiven Methode angenommen haben, sie sogar institutionalisieren. Oder aber: Es ist
gar nicht verwunderlich!
Was Autor Tom Wolfe einst als Radical Chic
beschrieb, gibt uns Hinweise, wie es kommt, daß ein Establishment sich mit derlei
kritischen Momenten sehr gut einrichten kann, was dann mitunter bis zur freundlichen
Affirmation solcher Schritte führt.
Ich hab vorhin die Gruppe Wochenklausur (Kunst und
konkrete Interventionen) erwähnt: [link] Auf dem Bild zu den Notizen dieser Station sieht man von links
den Dokumentarfilmer Niki Geyrhalter, Wochenklausur-Mitglied Andreas Zinngl und
den inzwischen verstorbenen Künstler Hartmut Skerbisch. Zinngls Befund handelt noch von
einem Gleisdorf mit der Hälfte der Bevölkerung von heute, aus den damals 5.000 sind
10.000 geworden. Zinngls Befund: [link]
Unterm Strich fällt auf, die künstlerische Strategie der Intervention
ist in weiten Bereichen längst etabliert und umfassend verwaltet. Das könnte auch
bedeuten, es gäbe gute Gründe, den Institutionen diese Aneignung streitig zu machen.
(Oder wir pflegen längst andere Modi, um Äußerungen in den öffentlichen Raum zu
bringen.)
Als ich 2010 Mitglieder der Kollektiven Aktionen
aus Moskau in Gleisdorf [link] zu Gast hatte, notierte Kuratorin Mirjana Peitler-Selakov dazu,
es sei von "subversiven künstlerischen Strategien der Gruppe Kollektive
Aktionen" die Rede, wobei sie ausführte, was das damals für unsere Praxis
bedeutete: "Die Installation soll Strategien wie Täuschungsmanöver,
Desinformation, Überidentifikation und Zweckentfremdung darstellen sowie die
Positionierung der Gruppe gegenüber dem offiziellen politischen/kulturellen Leben
sichtbar machen." [Quelle]
Von links: Sergej Letow, Mirjana
Peitler-Selakov, Sabine Hänsgen und Sergey Romashko
Dabei nützt einem vielleicht die Kenntnis der angewandten "Ästhetischen
Grundbegriffe", wie sie Andrej Monastryskij für die Kollektiven Aktionen
formuliert hat; siehe: [link] Der öffentliche Raum, die Außenhaut der Innenstadt,
aber auch das Entlegene, wie es die Kollektiven Aktionen etwa mit den "Reisen
aus der Stadt" erkundet haben (Beispiele),
ergeben Koordinatensysteme, innerhalb derer Kunstschaffende mit vielen anderen Botschafts-
und Mitteilungsquellen in Konkurrenz stehen.
In all dem auch ein Ringen um Definitionshohet: Wer
darf sagen, was es ist? In all dem auch eine Frage zur Demokratie: Was ist mit
denen, die nicht gehört werden?
So blättert sich mir über die jüngsten Beiträge auf:
+) Wo Kulturpolitik sich selbst nicht versteht
+) Mythos wird in den öffentlichen Raum geschrieben
+) Volkskultur, Pop und Gegenwartskunst
Das hat seine Momente in unserem aktuellen Teilprojekt "Volkskultur
4.0: Eine Positionsbestimmung": [link] Das verweist natürlich auch energisch auf unser 2017er Kunstsymposion,
das wir dem Thema "Artist Is Obsolete" gewidmet haben...
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[Doku: Gehen] [Kunstsymposion 2017] -- |