12. Februar 2017 Wieso
kann einer wie ich mit Volkskultur befaßt sein, obwohl ich keine Lederhose im
Schrank hab, auch keinen Trachtenjanker? Wie kann das gelingen, obwohl mich kein
Konservativer für einen Konservativen halten würde, was ich dennoch bin?
Hinzu kommt, daß ausgerechnet die jüngste "Konferenz:
Volkskultur" [link] zu einer wichtigen Wegmarkierung in meinem auf 20 Jahre
angelegten Langzeitprojekt "The Long Distance Howl" wurde. Die Anfänge
dieses Projektes sind von Modi der Netzkultur geprägt, also von damals noch
jungen Formen einer auf das Internet gestützten Kultur. Das ergab sich in einer Serie von
Teilprojekten.
Da hieß es 2004 an einer Stelle: "Ich bin von der
Flüchtigkeit der Information angezogen. Von der Schönheit verblassender Formen und
Schriften, von Zeichen, die nicht an Ewigkeiten adressiert sind. Das ist ein zentrales
Motiv in diesem Projekt." [Quelle]
Am 24. Oktober 2003 war mit dem NetArtCommunityCongress
2003 (22:00 Uhr, Graz, "Dom im Berg", Schloßberg, im Rahmen des
"steirischen herbstes", eine erste Konsolidierung meines Projektes
erreicht. Dabei hatte ich in verschiedenen Sessions
zum Beispiel die Philosophin Elisabeth List und den Medienkünstler Robert Adrian X zur
Seite.
Siehe dazu etwa: "Politik, Realität und
Virtualität" von Elisabeth List [link] Es waren damals Aktion und Reflexion stets eng beieinander. Der
laufende Diskurs und die laufenden Projekte mit den laufenden Aktionen im "analogen
Raum" oder "Realraum", wie wir damals gesagt haben.
Zu der Zeit hatte ich schon einen ständigen Austausch
zwischen Zentrum und Provinz etabliert, mich dabei um Arbeit in
Augenhöhe bemüht. |
Robert Adrian X
( 2015) |
In all dem wurde der Modus "Konferenz
in Permanenz" wichtig. Vom 18. bis 20. September 2003 hatte ich in Gleisdorf so
ein Meeting zum Thema "Leiblichkeit und virtuelle Räume" abgehalten.
Das war "Die oststeirische Netzkultur-Konferenz: Workshops, Vorträge,
Diskussionen, Know how-Transfer, Kunst, Netzkultur in Theorie und Praxis, Sinnlichkeit und
Virtualität, Kunst, Kultur, Bildung" [link]
Philosophin Elisabeth List
Siehe dazu auch "Schweben
und Fallen im Cyberspace" (Über Freiheit und Verantwortung in virtuellen
Räumen) von Monika Mokre [link] Zu der Zeit
hatte ich einen "kunstraum.gleisdorf" definiert, eine erklärte Praxiszone,
und das Thema "Neue Räume" eingerichtet: [link]
Der eigentliche und unmittelbare Vorläufer in
dieser Entwicklung zum Langzeitprojekt "The Long Distance Howl" war
aber "Die Verschwörung der Poeten", deren erstes Blatt dem Hausherrn
des konspirativen Ortes gewidmet war, wo sich all das entfaltet hat: Hansi Grimm in seiner
Bar: [link]
Dieses Blatt stammt aus der 49. Kalenderwoche von 2002. Das
zweite Blatt [link] zeigt
ein Foto des Winkels, den mir Grimm hergerichtet hatte, da ihm aufgefallen war, daß ich
bei meinen regelmäßigen Besuchen bei sehr wenig Licht ständig in Lesen und Schreiben
vertieft war. Also kaufte er eine Lampe und stellte sie mir zu meinem bevorzugten Tisch.
Dieser kleine Exkurs zu den Anfängen des Projektes, das
sich nun in seinem zweiten Jahrzehnt befindet, soll den Kontrast ermöglichen, durch
welchen meine Zugänge zum Thema Volkskultur deutlicher werden mögen. Es geht ja
unter anderem darum, innerhalb eines Zeitraumes von 20 Jahren eine kultureller
Gesamtsituation erfahrbar und betrachtbar zu machen. Vor rund 30 Jahren war es in
Gleisdorf noch eher die Ausnahme, daß Gegenwartskunst im Gemeinwesen zum Thema wurde. Da
begann vieles erst, sich zu ereignen.
Welche Kräftespiele haben nun wohin geführt? Welche
Akteurinnen und Akteure haben markante Positionen eingenommen, um diesen Lauf der Dinge zu
beeinflussen, zu prägen? Wie haben Politik und Verwaltung auf kulturelle und politische
Veränderungen reagiert? Was hat sich in all dem inhaltlich ereignet?
Als ich zur eingangs erwähnten "Konferenz:
Volkskultur" den Link des kleinen Features im Facebook anbrachte,
thematisierter der Gleisdorfer Kulturschaffende Karl Bauer das Zentrum- Provinz-Gefälle
in einem Kommentar, wo es unter anderem hieß: "Da tät Graz aber schon was
fehlen, wenns kein Aufsteirern oder keinen Bauernbundball gäbe."
Das überaus Bemerkenswerte an diesem Kommentar ist der
Umstand, daß die erwähnten Veranstaltungen -- Aufsteirern und
Bauernbundball -- etablierte Großereignisse dessen sind, was wir heute mit dem
Begriff Unterhaltungsindustrie zusammenfassen können.
Hier sind zwar die Codes von der Volkskultur
abgeleitet, beides darf wohl auch als zeitgemäße Manifestation einer Art von Volkskultur
gedeutet werden, aber mit den Ursprüngen, auf die gerne verwiesen wird, hat es wenig bis
nichts zu tun.
Wenn ich mich also im Rahmen einer kollektiven Wissens- und
Kulturarbeit in der Region mit dem Thema Volkskultur befasse, dann sicher nicht
im Zusammenhang mit Phänomenen der jungen Freizeitindustrie, die vor allem deshalb jung
ist, weil es solche Freizeit noch nicht gar so lange gibt.
Eine redliche Befassung mit dem Thema Volkskultur
legt nahe, sie als Teil jenes kulturellen Lebens und geistigen Klimas zu betrachten, wo
noch keine Einengungen des Genres durch die Partikularinteressen einzelner
Bevölkerungsteile vorgenommen wurden.
Aufsteirern und Bauernbundball sind
meines Erachtens bloß Randphänomene genuiner Volkskultur, durch die wir nur
sehr wenig erfahren, wie denn nun breite Bevölkerungskreise ihre kulturellen
Bedürfnissen leben, ihre kulturellen Vorstellungen manifestieren, wenn ihnen dabei keine
Deutungseliten mit Empfehlungen und Anweisungen nahetreten.
-- [Volkskultur 4.0: Eine Positionsbestimmung]
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