kunstraum.gleisdorf: Neue Räume


Schweben und Fallen im Cyberspace
(Über Freiheit und Verantwortung in virtuellen Räumen)
Von Monika Mokre

Vortrag im Rahmen der Konferenz "Leiblichkeit und virtuelle Räume",
Gleisdorf, 18.-20. September 2003

Ich möchte diesen Vortrag mit zwei Geschichten beginnen, die in einem Abstand von etwas mehr als 200 Jahren entstanden sind.

Die erste Geschichte erzählt der Vater der modernen Volkswirtschaft, Adam Smith, in seiner „Theorie der moralischen Gefühle“, die 1759 herausgekommen ist. Es ist die Geschichte vom Sohn armer Leute:

Der Sohn armer Leute, den der Himmel in seinem Zorn mit Ehrgeiz bestraft hat, bewundert das Leben der Reichen. Er findet das Haus seines Vaters zu klein für seine Bequemlichkeit und malt sich aus, dass er komfortabler in einem Palast wohnen sollte. Es missfällt ihm, dass er zu Fuß gehen oder reiten muss. Er sieht die Reichen, die herumkutschiert werden, und stellt sich vor, dass er in diesen besser reisen würde. Er möchte so wenig als möglich mit den eigenen Händen verrichten und meint, dass eine große Anzahl von Bedienten ihm viel Mühe ersparen würde. Er denkt, dass er – hätte er nur all das erreicht – zufrieden und ruhig sitzen könnte. Er erfreut sich an dem Gedanken an das Glück und die Ruhe, die er in dieser Situation erleben wird. Er ist bezaubert durch diese Idee eines Glücks in ferner Zukunft. Das Leben, das er sich ausmalt, erscheint ihm wie das Leben höherer Lebewesen. Um diesen Traum zu erreichen, widmet er sich für immer dem Streben nach Reichtum.

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Um sein Ziel zu erreichen, mutet er sich im ersten Jahr, nein schon im ersten Monat dieses Strebens, mehr körperliche Erschöpfung und mehr geistige Beunruhigung zu, als er in seinem ganzen Leben hätte erdulden müssen, wenn er sich nicht dieses Ziel gesetzt hätte. Er betreibt Studien, um sich in einem zukunftsweisenden Beruf hervorzutun. Mit anhaltendem Eifer arbeitet er Tag und Nacht, um seine Konkurrenten auszustechen. Er bemüht sich auch, seine Talente öffentlich bekannt zu machen und bemüht sich um jede Möglichkeit, sie auszuüben. Zu diesem Zweck dient er sich der ganzen Menschheit an; er dient denen, die er hasst und er folgt denen, die er verachtet. Sein ganzes Leben hindurch verfolgt er die Idee der Ruhe, die er einmal erreichen wird und für diese Idee opfert er eine wirkliche Ruhe, die er jederzeit hätte erreichen können. Wenn er im hohen Alter endlich das erreicht hat, wonach er sein Leben lang gestrebt hat, wird er erkennen, dass diese Situation in keiner Weise der einfacheren Zufriedenheit vorzuziehen ist, die er für sie aufgegeben hat.

Und dann, in den letzten Zügen seines Lebens, sein Körper durch harte Arbeit und Krankheiten gezeichnet, sein Geist vergiftet durch die Erinnerung an Tausende Kränkungen und Enttäuschungen, die ihm vermeintlich durch die Ungerechtigkeit seiner Feinde oder die Perfidie und Undankbarkeit seiner Freunde angetan worden sind, dann erst beginnt er zu verstehen, dass Reichtum und Ruhm nicht mehr sind als billiger Talmi, dass sie nicht besser geeignet sind, Wohlbefinden des Körpers und Ruhe des Geistes herbeizuführen als irgend ein sinnloses Spielzeug.

Das ist Adam Smiths Geschichte und auch wenn er – aus einer recht gesicherten ökonomischen Position heraus – die Bedeutung von Reichtum für die Bequemlichkeit vielleicht etwas stark herunterspielt, so ist doch die Geschichte einer lebenslangen Täuschung recht eindrucksvoll, meine ich.

Die zweite Geschichte erzählt die Sozial- und Technikwissenschaftlerin und Medienkünstlerin, Sandy Stone, in einem Text aus dem Jahr 1993. Sie handelt von einem Psychiater aus New York, Sanford Lewin, der unter einem weiblichen Namen und mit einer erfundenen Biographie Beziehungen über Internet-Chatgroups knüpfte. Die Figur, die er erfand – genannt Joan Green – war eine knapp dreißigjährige Psychiaterin mit einem sehr schweren Schicksal. Bei einem Autounfall einige Jahre zuvor war ihr Partner getötet worden und sie selbst wurde dabei so schwer verletzt, dass sie nun gelähmt, stumm und schwer verunstaltet war. Aus der Isolation und Depression, ihres Zustands erlöste sie ein Freund, indem er ihr den Weg ins Internet zeigte. Hier wurde nun Joan der Mittelpunkt lebhafter Diskussionen unter Frauen und unterstützte viele ihrer virtuellen Freundinnen in schweren Situationen und Entscheidungen. Wie sie ihrem Freundeskreis im Internet erzählte, veränderte sich auch ihr Leben außerhalb des Netzes radikal durch ihr neugefundenes Selbstbewusstsein. Sie begann eine neue Beziehung und reiste mit ihrem Lover und späteren Ehemann zu Konferenzen und auf ausgedehnte Urlaubsfahrten.

[...]

[Textauszug! Volltext hier als RTF-File!]

Siehe auch:
"Die Kunst im Zeitalter ihrer ökonomischen Verwertbarkeit"
(Ein Entwurf)

[Mokre auf kultur.at]
[Die Netzkulturkonferenz]

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