6. Februar 2015 Meine gestrigen Notizen zu einem
Wiener Fotografen und zu seiner Ansicht, "Tyrannen kann man nicht wegsingen;
..." verlangen vielleicht noch ein paar Ergänzungen. Ich hab das sehr bewußt
mit dem Statement des Profi-Soldaten Gerhard Gerber verknüpft:"Die Orks sind da,
und wir glauben, wir leben im Auenland."
Im Oktober des Vorjahres hatte ich Ibrahim
Kurdu zitiert, der im Kampfeinsatz in Kobane auf IS-Leute die gleiche Metaphorik anwandte:
"...diese Orks, die in Horden losstürmen, und wir können sie nicht
stoppen." Siehe: [link]
In mir ist immer noch ein Schrecken aus dem
Betrachten des Videos, das zeigt, wie Muaz Safi al-Kasaesbeh in einen Käfig gesteckt und
lebendig verbrannt wurde. In Afrika, so erinnere ich mich an Nachrichten, hatte man in
Townships unliebsamen Personen einen mit Benzin gefüllten Autoreifen um den Hals gehängt
und angesteckt.
(Radenko Milak)
Wir waren stets von Berichten über
menschliche Grausamkeit umgeben. Das ist uns inzwischen alles medial und real deutlich
näher gerückt. Europa hat inzwischen reichlich Erfahrung mit Terrorakten auf eigenem
Territorium.
Es ist also die Grausamkeit nicht das Neue,
sondern unsere berechtigte Sorge, daß wir davor nicht mehr durch große räumliche
Distanz geschützt sind.
Ich hab vor etwa eine Jahrzehnt, nämlich am 25. Februar 2005, hier in
einigen Notizen diese Themen aufgegriffen. Es waren zum Islam die gleichen Debatten wie
heute. In dieser Notiz fand die Hisbollah Erwähnung und eines der mutmaßlichen
Initiatlereignisse des Terrorismus, wie wir ihn derzeit kennen: "Die
amerikanische Kriegsmarine feuerte. 43 Tage darauf starben 241 Marines in ihrem
Hauptquartier im Süden Beiruts..."
Es gibt seither offenbar kaum eine arabisch
geprägte Terrorbewegung, von der wir berührt werden, in deren Genese nicht auch
westliche Politik eine fördernde Rolle gespielt hätte. Wer sich also jetzt in Reaktionen
flüchtet, die bloß islamische Positionen anprangern, macht es sich zu einfach.
Es ist ja überhaupt das bloß Anprangern, so
auch allerhand Alarmismus, wie ich ihn etwa von Facebook her kenne, eine
Verdichtung leerer Gesten; nutzloses Karaoke... Wenn dem sonst nichts mehr folgt.
Aber was?
Für mich bleibt stets eine simple Frage
vordergründig: Wofür übernehmen wir selbst Verantwortung?
Ich habe in letzter Zeit Videos gesehen, in
denen Pegida-Gefolgsleute zum Beispiel beklagten, daß wir uns zu "Sklaven
Amerikas" gemacht hätten. Was redet der? Natürlich wurden wir nach dem Zweiten
Weltkrieg ein Protektorat Amerikas und haben das bisher mehr genossen als bereut.
Es sind eben nicht unsere Kinder, die
bewaffnet losziehen, um dort zu intervenieren, wo ein Oberkommandierender Grund zum
Einsatz sieht. Wir konsumieren eine Sicherheit, für die unsere Kinder nicht in einem
Krisengebiet bluten.
Ob Taliban, Quaida, Boko
Haram oder IS, was habe ich an Geplärre vernommen, das möge doch abgestellt werden.
Wie denn und von wem? Ich werde mich nicht bewaffnen und losziehen. Also was? Du? Er? Wer?
Zur Erinnerung, wir kennen im Grunde nur zwei
Optionen, uns vor so einer Soldateska zu schützen, wenn sie uns nahekommt: Abschrecken
oder entwaffnen. In der Zivilgesellschaft eines stabilen Staates haben wir eine dritte
Option: Prävention.
Die gefangenen Mädchen von Boko Haram
werden darauf nicht bauen können. Muaz Safi al-Kasaesbeh konnte es auch nicht. Wir haben
sie alle nicht geschützt. Daher gefiele mir ein beschämtes Schweigen besser, als
allerhand alarmistisches Geplärre in den Social Media.
Was ist also für uns zu tun, wo wir nicht,
wie andere einst im Spanischen Bürgerkrieg, aufbrechen, um in fremden Ländern
mit Waffen für die Menschenwürde zu kämpfen?
Für mich liegt der erste Akt zivilen
Widerstandes gegen Menschenverachtung in der Aufwertung von Wissensarbeit und im Stärken
des Ansehens von Bildung.
Bildung, das heißt, ich lerne umfassend, wie
ich aus Informationen Wissen gewinne und wie ich Wissen für eine adäquate Haltung, auch
für die Alltagsbewältigung einsetze. Es bedeutet, zwischen Denken, Reden und Tun sollte
sich ein Fließgleichgewicht einstellen können. Das meine ich übrigens mit
intellektueller Selbstachtung und mit Redlichkeit.
All das bliebe aber zu wenig, wenn es sich nur
als privates Kräftespiel ereignen würde. Intellektuelle Selbstachtung und
Redlichkeit müssen ihren entsprechenden Ausdruck im öffentlichen Leben eines
Gemeinwesens finden, also auch in den öffentlichen Diskursen vorkommen.
Das verlangt übrigens, sich einer immer noch
populären Intellektuellenfeindlichkeit entgegenstellen, der Abwertung von Wissensarbeit
öffentlich widersprechen und Bildung als eine Tugend aufwerten.
Diesen Aufgaben können wir uns da widmen, wo
wir leben, wo wir gerade stehen. Selbst die kleinste Anstrengung ist ein wertvoller
Beitrag. Hauptsache, kein Terrain bleibt von solchen Bemühungen völlig unberührt.
Polemisch verkürzt: Wenn wir also für ein
kulturelles Leben sorgen, das sich nicht in Konsumation erschöpft, sondern auch
Partizipation kennt, ist den marodierenden Horden schon etwas entgegengestellt.
Wer meint, ich sei ein Träumer, dem räume
ich ein, daß ich meine Existenz auf recht sicherem Boden genieße, was aber meinen
Argumenten nichts nimmt. Was war wohl die härteste und effizienteste Gegenwehr, der etwa
die Taliban in den letzten Jahren sich stellen mußten?
Genau! Es war keine Einheit von Special
Forces, bis an die Zähne bewaffnet und gut trainiert.
Es war ein damals kleines Mädchen, dem ein
Mann in den Kopf geschossen hatte, weil Malala Yousafzai darauf bestand, weiter
in die Schule gehen zu dürfen, auf daß Mädchen der Zugang zu Bildung offen bleibe.
Um also die Orks abzuschrecken oder zu
entwaffnen, braucht es vor Ort Profis mit einem klaren völkerrechtlichen Mandat. Um aber
den Orks ihren Boden und ihre lebensfeindliche Ideologie zu entziehen, braucht es das,
wozu jedes kleine Mädchen in der Lage ist: Wißbegier und Bildungshunger, die beizeiten
von Verteilungsgerechtigkeit abgeholt werden.
Um das voranzubringen, weltweit
sicherzustellen, auch unter wachsender Bannung häuslicher Gewalt, brauche ich die
Oststeiermark gar nicht erst zu verlassen. Das können alle überall tun...
[In der Ebene] |