26. Mai 2014 Meine
kleine "Demoisellen-Kontroverse" hatte sich an einem Beitrag zum Eurovision
Song Contest entzunden. Auslösend waren die Empörungen zweier Damen, aus denen man
eine merkwürdige Prüderie herauslesen konnte, wobei fleißig betont wurde, daß man
genau nicht prüde sei. Siehe den Eintrag
vom 14. mai 2014!
Es gibt Attitüden, auf die kann ich gar nicht anders, als
erst einmal mit spöttischen Worten zu reagieren. Das moralische Eifern hat auf mich
große Anziehungskraft, weil ich in Verhältnissen der Heuchelei und Prüderie
aufgewachsen bin. Daher interessieren mich solche Verhältnisse bis heute. Es ist eine
Hintergrundfolie, von deren Bildern ich durchtränkt bin.
Rap-Fragmente in Gleisdorfer
Ruhezonen
Das läßt sich bezüglich der 1950er und -60er unterm
Strich so zusammenfassen, wobei mir nur drastische Worte angemessen erscheinen: Sie
konnten dir bedenkenlos die Scheiße aus dem Leib prügeln oder dich viel zu lange auf
einem Holzscheit knien lassen. Sie konnten dich demütigen und mißhandeln, das war alles
kein Problem.
Aber wehe, es waren in der Öffentlichkeit wo nackte
Brüste oder ein Zumpferl zu sehen. Wehe, es sprach jemand "schmutzige
Worte" oder benahm sich sonst wie unbotmäßig.
Ich stehe heuchlerischem Pack absolut unversöhnlich
gegenüber. Mein Leib hat keine der Mißhandlungen vergessen. Mein Geist kennt das Klima
des Spießertums. Ich kann es RIECHEN. Die Ausdünstungen der radikalen Aufsteiger. Die
Posen derer, die etwas werden oder sein wollen; im Kontrast zu bescheidenerer Herkunft.
In diesen sozialen Aufstiegsdynamiken gibt
es ein herausragendes Gebot: Mäßigung.
Nur wer Selbstdisziplin demonstriert, hat die Chance, in
den Vorgarten neuer Verhältnisse gelassen zu werden. Das kann bis zur völligen
Selbstverleugnung gebildeter Menschen führen, was sich etwa in Gleisdorf an einigen
Beispielen innerhalb meiner Zeitgenossenschaft demonstrieren ließe.
Das heißt, meine Generation hat in hohem Maße geklärt
und demonstriert, wozu wir gewillt und in der Lage waren. Die Früchte dieser Prozesse
liegen zur gefälligen Betrachtung vor uns.
Nun hat das kleine Getöse auf Facebook inzwischen
geendet. Das inkludiert gerade noch einige psychologische Befunde, die mir etwa ein Mann
per Ferndiagnose zustellte; übrigens ein beliebter Sport solch aufstrebender
Mittelschicht; die psychologische Schwarzarbeit.
Während man mich ja für ungehobelt halten mag, wenn ich
Verhaltensweisen und Aussagen anderer Menschen kommentiere oder gelegentlich auch
verspotte, ist die Retourkutsche via Ferndiagnose mit Befunden über meinen angeblichen
Seelenzustand purer Komissar-Stil. Da hört ja eigentlich der Spaß auf.
Das sind Denkmuster, dank derer Dissidenten, also
abweichend Denkende, seit Dostojewski von unqualifzierten Kräften
"psychologisiert" und in Lager verschafft werden. Solche Entwicklungen haben am
Anfang stets die Denunzierung eines Geisteszustandes, einer psychischen Verfaßtheit. Auf
mich gemünzt lautete das beispielsweise:
"Das ist das der feixende Ton eines sich zu
solchem Geschehen und solcher Freude unfähig fühlenden Mannes, der aus dem Gefühl der
biologischen und psychischen Unfähigkeit zu Abwertung greifen muss. Wenn du dich auf das
besinnst, was du als Mann in deinem Alter gut kannst, dann brauchst du Junge und Frauen
nicht so herunter zu machen."
Wäre vielleicht noch erwähnenswert, daß er sich hier zum
Sekundanten einer bekennenden Siebenundzwanzigjährigen aufschwang, also nicht gerade für
einen Teenager in die Bresche sprang. Letztlich wäre das Tänzchen in der Abteilung "Pack
schlägt sich, Pack verträgt sich" ganz gut archiviert.
Damit läßt sich dieses Kapitel eigentlich
abschließen. Es regte aber allerhand Reflexionen an, die weiterführenden Nutzen
versprechen. Ich habe schon erwähnt, daß mich
interessiert hat, wie sich die letzten zweihundert Jahre der Kampf um die leibliche
Silhoutte der Frau gezeigt und gewandelt hat.
Der angefochtene polnische Contest-Beitrag zerfloß ja in
Zweideutigkeit, getriggert durch eindeutige Details.
Große Brüste in tiefen Dekolletees, schwellende Lippen in
kräftigen Farben, selbstverständlich eine Schamlippen- Paraphrase, stampfende Gesten an
Butterfässern.
Alles zusammen in folkloristischer Aufmachung, mit einem
mehrdeutigen Songtext befrachtet, musikalisch recht unbedeutendes Tralala in Rap-Manier.
Fehlt was? Ich glaub nicht. |
Dolly Parton (Foto: Eric Draper,
Public Domain) |
Im Eintrag vom 15. Mai hab ich einige slawische Frauenbilder der
Populärmusik vorgeführt und bin dann zu Jane Mansfield & Co. zurückgegangen. Im Eintrag vom 22. Mai hab ich Tanizaki
Junichiros Essay zu einer japanischen Ästhetik erwähnt, aus dem sich Denkanstöße
beziehen lassen.
Was mag es damit auf sich haben, daß im
Showgeschäft immer wieder zarte Frauen mit enorm großen Brüsten reüssieren? In meinen
Teenager-Tagen hatte sich da eine kuriose Verschiebung ereignet. Man könnte sagen, der
Fokus verrutschte von der quiteschsauberen Dolly Parton zu schmutzigen Dolly
Buster. Die erhabene Country Queen im Kontrast
zum Porno- Sternchen. Beide blond. Die helle Parton im weißen Chiffon, die düstere
Buster im schwarzen Leder.
Sind uns da die Leinwand- und Bühnen-Heorinen ins
Porno-Fach gerutscht? Oder haben die Porno-Sternchen es hinüber in die "Normalo-Kultur"
geschafft?
Ich verknüpfe diese Dinge hier deshalb, weil es mehrere
solcher Markierungen gab. Am glamourösesten war sicher Ilona Staller, die als Cicciolina
in der Porno-Branche bekannt geworden ist, aber auch in Italiens Politik ein Gastspiel gab
und durch ihre Heirat mit Jeff Koons im Kunstbetrieb auftauchte. |
Dolly Buster (Foto: Xethis, Creative
Commons) |
Ich erinnere mich, daß ich in
meinen Hamburger Tagen ein Interview mit Zachi Noy und Sibylle Rauch geführt habe, da
muß es um den Film "Eis am Stiel III" gegangen sein. Später hatte die
großbusige Rauch vom Klamauk-Kino in die Pornographie gewechselt.
Die fließenden Grenzen zwischen Familien-TV
und Porno-Charme werden laufend neu besetzt, bevölkert. Eine der erfolgreichsten
Akteurinnen ist auf diesem Terrain sicher Pamela Anderson, nach dem gleichen Schema
aufgestellt: Zarter Frauenkörper, riesige Brüste, dichte blonde Mähne.
Anderson war via "Bay Watch" (spöttisch
betrachtet: "Babe Watch") so populär, daß sie heute sogar in
Österreich für Werbe-Kampagnen eingesetzt wird. Raten Sie, auf welchem Gebiet! Trachtenmode.
Anderson promotet preiswerte Dirndl-Mode.
In den letzten Jahrzehnten ist also das Pin
up-Girl aus dem Schatten der Werkstätten, aus dem Dunkel der Männer-Spinde, in
unser Alltagsleben getreten. Was einst an Frauenbildern im Dämmerlicht der Kabaretts und
Stripteas-Clubs zuhause war, im Schmuddelkino flimmerte, hat längst unsere Alltagswelt
erreicht. Sie können so aufgemachte Frauen jederzeit in Tanz-Tempeln treffen, ohne daß
dies als besonders verrucht gelten würde.
Dabei gab es einige interessante Umwege. Pin
Ups zierten im Zweiten Weltkrieg Bomber, Jagdflugzeuge und Panzer. Sie fanden danach
ihre Auftrittsmöglichkeiten in der Konsumwelt und in der Kunst; etwa von Mel Ramos
gemalt; in Comics waren sie sowieso Standard-Personal. Trash, Schundhefte, Pop-Kultur
wurden zum üblichen Zuhause solcher Frauenfiguren.
Arbeiten von Mel Ramos im Crocker
Art Museum
(Foto: Ravit, Creative Commons)
Das Pin Up-Girl und die Thekenschlampe
wurden -- mit einem Schuß Groupie -- per Fusion zum "It-Girl".
Die Rap-Kultur erwies sich als Schmelztiegel. Heute schlagen übrigens junge Frauen
zurück, indem Akteurinnen wie etwa Lady Bitch Ray Immigranten-Groove und
Schlampen-Stil mit akademischen Würden kombinieren.
Sie übernehmen Wortschatz und visuelle Codes
der Frauenverachtung, schreiben sie quasi um und spielen sie mit neuer Konnotation
zurück, was -- wie im Falle von Lady Bitch -- ziemlich lustig werden kann, weil sie als
promovierte Sprachwissenschafterin sehr vielfältige Munition in Diskussionen mitnimmt.
In Subkulturen, wo Tattoos und frisierte Autos
vorherrschen, inszenieren sich Frauen im Pin Up-Still, treten als "Rockabellas"
im Roackabilly-Kontext auf etc. Beim Autorennsport ist die
Standard-Frauen-Silhouette natürlich auch dieser Art. Grid Girls, Pit Babes,
Formula Unas bleiben auf zarten Körper, lange Beine und große Brüste
abgestellt.
Daran hat bisher keine Sexismus-Debatte
rütteln können. In österreichischer Zurückhaltung klingt das dann etwas moderater,
etwa so: "Darum bin ich die perfekte Formula Una weil ich..-fließend Englisch
spreche (Cambridge Certificate)-offen, sympathisch und engagiert bin-stets bemüht bin
mein Bestes zu geben-interessiert bin in Formel 1-die Idee von Formula Unas im Dirndl
super finde &Teil eures Teams sein will!" (Bianca Böhm, "Die
Formula Unas 2014", Projekt Spielberg)
Heimische Grazien scheinen noch eher dem
Bereich "Girl Next Door" verhaftet zu sein. Mir scheint, sie könnten
ebenso gut als Narzissen-Königinnen loslegen. Das gibt mir keine Rätsel auf. Die
interessanten Fragen zielen auf extremere Körper.
Welcher Mann findet einen hypertroph ausgeformten Leib
tatsächlich anziehend und träumt, ihn in den Arm nehmen zu können? Genau da habe ich
dann erhebliche Zweifel, ob nicht große Verwechslungen vorliegen. Sehen wir von
Fetisch-Optionen ab, nehme ich eher an, daß die Aufregung aus visuellen Eindrücken nicht
mit jener verwechselt werden sollte, die aus konkreter physischer Berührung erwächst,
daß also die drastische Silhouette für die greifbare Nähe gar nicht vorgesehen ist.
-- [The Track: Pop] -- |