21. Mai 2014 Jetzt
kommt mir der Faschismus wieder auf den Tisch, obwohl ich gerade so angestrengt
auf die Jahrzehnte danach geblickt habe. Außerdem fügte sich inzwischen eine kleine
Theorie der schrillen Busenwunder, abgeleitet vom Verständnis einer japanischen
Ästhetik.
Nein, kein aktuelles Otaku-Thema, sondern
klassische japanische Ästhtetik. Ich wollte einen möglichst eleganten Bogen von Dolly
Parton über Haifa Wehbe zu Ceca Raznatovic schaffen; angeregt durch eine Reportage von
Antonia Rados.
Aber das muß nun warten. Hätte die anbetungswürdige
Dolly Parton je so etwas wie eine Schlampen-Bibel geschrieben, der Titel des Buches wäre
vermutlich: "It costs a lot of money to look this cheap". (Eine Frage,
mit der sich Willie Nelson nie herumschlagen mußte.)
Sissy Spacek als Loretta Lynn in "Coal
Miner's Daughter"
Ich hab übrigens in meinen jungen Jahren zwei Country
Queens interviewt. Sissy Spacek als Loretta Lynn in "Coal Miner's Dauhter"
(1980) und Emmylou Harris als sie selbst mit Lockenwicklern im Haar und denkbar schlechter
Laune. Ich hatte Spacek gefragt, was die Essenz von Country sei. Sie lächelte
und sagte: "Loving, cheating, picking trucks and mother." [Lynn's Song]
Ich beneide mich heute noch selbst um jene Begegnungen,
weil dieses Country-Fach ein spannendes Gebiet ist und mir diese Frauen wie von
einem anderen Planeten erschienen... Was mich nun freilich vom Thema Faschismus zu weit
wegträgt.
Also. Faschismus! Paßt aber eh, weil die medial generierte
Massenkultur, welche wir heute leben, in den 1930er-Jahren sehr wesentlich von Nazi
entworfen, erprobt und eingeführt wurde. Umgekehrt wurden Posen des Faschismus vom Pop
aus approbiert, etwa von Freddy Mercury (Queen) für tauglich befunden.
Künstler Romelo Perlovici aus
Rumänien zu Besuch in Gleisdorf
Nun schrieb mir ein erregter Beobachter der
laufenden Klamotte um polnische Brüste und das Bäuchlein einer Demoiselle zu meinen zwei
Textlein "Warum ich so ein Arsch bin" und "Ein Teil
von Nein" sowie zum gestrigen
Logbuch-Eintrag unter anderem:
"Und weinerlich bist du auch noch: Jedem, der dich
kritisiert, unterstellst du ein Faschist zu sein, der freie Künstler abholt und ins
Gefängnis wirft." Das bezog sich auf die Passage:
"Wir wissen aus der Geschichte, was der nächste
Härtegrad wäre: Schreibverbot. Und dem folgt bei Nichtbefolgung in Europa seit jeher,
daß einen bewaffnete Kräfte abholen. (Naja, nicht heute und nicht hier.)" [Quelle]
Also das Denkmuster weitergedacht und den Konjunktiv
angewandt. Unter uns Betschwestern: Da hat es aber einer nötig, sich gemeint zu fühlen!
Der Ahnungslose folgerte: "Zittere nur, wenn dir
die Pose gefällt, aber ich denke du brauchst keine Angst zu haben, kein Diktator würde
dich für so gefährlich halten, dass es die Gefängniskost rechtfertigte"...
und irrt sich darin selbstverständlich, was gar nichts mit mir und meiner Harmlosigkeit
zu tun hat, sondern mit der Logik der Tyrannis.
Schriftsteller Nenad Popovic (links)
und Publizist Norbert Mappes-Niediek
bei unserer Session in der Gleisdorfer Stadtapotheke
Wer Europa kennt, weiß auch, wie weit das schon wieder
fortgeschritten ist; ich werde gleich ein paar Beispiele nennen. Vorweg aber, ich
bezeichne NIEMANDEN leichtfertig als Faschist, schon gar nicht "Jeden". Ganz im
Gegenteil!
Ich halte nicht einmal den Großteil jener für Faschisten,
die etwa von exponierten Antifaschisten Österreichs für Faschisten gehalten
werden. Siehe dazu meine kleine Faschismusdebatte "Imperium" vom Beginn
dieses Jahres: [link]
Außerdem bliebe die Frage offen, warum das Wegschaffen
Andersdenkender, speziell Kunstschaffender, ein Hinweis auf Faschisten sein solle. (Lies
nach bei Kafka!) Das leistet sich so gut wie jede Junta.
Es erreicht natürlich auch uns, bloß schert das die
wenigstens Leute, zeitigt auch bei erregten Leserbriefschreibern nur selten Reaktionen.
Romelo Perlovici, dem Gleisdorf gefiel, ein renommierter Künstler Rumäniens und Mann
meines Alters, hat zu Zeiten des Ceausescu heikle Dinge mit seiner Maria nur unter der
laufenden Dusche besprochen. Das klingt lustig, ist es aber nicht.
Als ein Team der "Kollektiven Aktionen" aus Moskau eine Woche mit uns in
Gleisdorf gearbeitet hat, erfuhren wir, daß Sergej Romaschko und Sergej Letov beide schon
im Knast gesessen hatten, bloß weil sie ihre Kunstpraxis nicht aufgeben wollten.
Sergej Letov (links) und Sergej
Romaschko bei den Vorbereitungen
für die Session im Haus von "Ingenos"
Unser versunkener Nachbarstaat, Titos Jugoslawien,
organisierte Unliebsamen vorzugsweise einen Urlaub auf der "Nackten Insel".
Wer nach Jahren von Goli
Otok zurückkam, war gewöhnlich völlig verändert und wenig geneigt, über diesen
Ort zu reden.
Das hatte sich dann für meine Generation in der Ära
Milosevic-Tudjman-Izetbegovic keineswegs geändert. Sei es, daß man auf ein Todesliste
kam, wie der Autor Nenad Popovic, sei es, daß man massiv unter Druck gesetzt und laufend
bedroht wurde, wie das Slavenka Drakulic und Dubravka Ugresic beschrieben haben.
In diesem Zusammenhang darf ich ein Buch von Ugresic
dringend zur Lektüre empfehlen: "Die Kultur der Lüge" beschreibt
penibel, wie eine Mittelschicht-Elite ihre intellektuelle Selbstachtung aufgibt und sich
einem tyrannischen System andient. Bei uns undenkbar? Wo wir doch, bis über Metternich
herauf, das Andienen an Tyrannen geradezu erfunden haben? Lustig!
Von Belfast ans Meer: Mirjana
Peitler-Selakov mit einer Referenz
an Dubravka Ugresic und ihr Buch "Die Kultur der Lüge" [LINK] [THE SCENE]
Da möchte ich dann doch lieber erörtern, mit welchen
Mitteln wir sowas verläßlich unterbinden wollen und wer sich wie
beteiligt, diese Mittel anzuwenden. Es begänne meines Erachtens schon damit, daß man
sich von schlampigen Ansichten über den Faschismus befreit und die paar kleinen
Lernschritte tut, um eine wenigstens kursorische Kenntnis unserer Zeitgeschichte zu haben.
Es begänne damit, die eigenen Begriffe zu überprüfen,
denn ohne klare Begriffe ist ein klares Denken doch sehr schwierig.
Natürlich mag sich unter uns heute kaum jemand vorstellen,
ein Künstler könnte so unliebsam erscheinen, daß sich jemand in angemessener Position
darum bemüht, ihn abzuschaffen. Was könnte ein Grund dazu sein? Davon erzähle ich
später noch.
Den aktuellen Reaktionen auf meine Erzählung verdanke ich
jedenfalls den Hinweis darauf, daß unsere Form der Popkultur solide
Fundamente im Nazi-Faschismus hat. Ich hätte glatt vergessen, das hier in die
Betrachtungen einzubeziehen.
-- [The Track: Pop] -- |