26. Februar 2009
Reinhard Braun ist als Kurator für das Festival "steirischer herbst"
tätig. Befugter in Zusammenhängen, die Begehren und Widerstände auslösen. Ein Akteur
in den Kräftespielen, die so viel an Irritation auszulösen vermögen.
Die Kunst als Gegenstand von Professionen. Das könnte
alles sehr unaufgeregt und mit Konzentration behandelt werden. Wie wenn man eben mit Braun
ein Vorhaben bespricht. An anderen Enden des Betriebes ist das Thema von Nervosität
umgeben.
Ich habe eben gelesen, laut Plinius stünde am Beginn der
Kunst der Schatten. Genauer jener Schatten, der eine junge Frau anregte, das Profil ihres
Geliebten, der sie verließ, an eine Wand zu zeichnen.
Das ist eine sehr schöne Legende über die Kunst, um in
Weißburgunder-Zuständen über den Lauf der Dinge nachzudenken. Die Liebe und der Wunsch
nicht verlassen zu sein; ernste Themen.
Verlassenheit. Ich lese Notizen aus Kärnten, die besagen,
das "Vaterland" habe den "Vater" verloren. Wer das über den selbst
verschuldeten Tod eines Politikers empfindet, sollte Rat und Hilfe suchen.
Ich habe gestern
andere "Vaterländische" erwähnt. Das ist in einem Maß entsetzlich, welches
mich zutiefst irritiert. Wir haben kaum wahrgenommen, wie in Italien Pogrome gegen Roma
liefen. Haben wir vergleichbare Aktionen in Ungarn wahrgenommen?
Wenn die Gewalt sich im Staatsmonopol befindet, was zu den
Grundlagen unserer Demokratie gehört, deren Personal sich aber auf solche Art gegen seine
Schutzbefohlenen richtet, daß es von rassistischen Tätern die Augen abwendet, ist das
ein Zeichen von besorgniserregender Deutlichkeit. (Quelle: "Der Standard")
Das ist ein Merkmal unserer Zivilisation: Wir lassen immer
wieder unsere Schutzbefohlenen im Stich. Ein Tribut an die Tyrannis. Natürlich hält auch
die Kunst nicht a priori dagegen. Aber sie eröffnet uns Erfahrungen, die Wahrnehmung und
Reflexionsvermögen anregen. (Ästhetik = Aisthesis = Wahrnehmung)
Das Meeting mit dem oben erwähnten Reinhard Braun verweist
darauf, daß wir "next
code: crossing" in Kooperation mit dem Festival "steirischer herbst"
realisieren werden. Das Kunstfeld ist mit keinerlei Garantien ausgestattet. Aber es ist
von einer Fülle begleitet, belebt. Fülle. Fülle der Möglichkeiten.
Fluxuskünstler Detlev Hartmann, hier neben Mirjana Selakov
(leitende Kuratorin im Grazer "Medienkunstlabor"), mit einer Maultrommel in Händen. Eigentlich
waren da zwei Maultrommeln, mit denen Hartmann letzten Montag daran ging, Mitternacht
einzuläuten. Vier helle Schläge für die volle Stunde, zwölf dunklere für die späte
Stunde. Ich bin immer wieder erstaunt, auf welche einfachen Momente und Möglichkeiten
Hartmann seine Auffassung von Kunst stützt.
Wovon handelt die Kunst? Was für eine Frage! Erzählungen.
Wahrnehmung. Absagen an den Mainstream der Deutungseliten. (Naja, im günstigsten fall.)
Einer wie Hartmann ist ungeheuer provokant in seinem Beharren auf Beachtung ganz
schlichter Gesten und ganz banaler Gegenstände, die er, als befände er sich in einem
steten Strom der Ereignisse und des Handlungsbedarfes, unaufhörlich in neue
Zusammenhänge stellt.
Würde uns Sinnstiftung mißlingen, wäre es Zeit, den
Verstand zu verlieren. (Aber was ist mit den Ungeheuerlichkeiten?) Wahrnehmung. Das Ringen
um Bedeutungen. Klarheiten. Für Momente. Nur wenn das offen bleibt, sind Argumente und
Waffen gegen die Tyrannis verfügbar.
Es gibt eine Szene, die erhalten ist und tausendfach
ausgestreut wurde. Ein weinender Mann, mutmaßlich am Rande völliger Erschöpfung, auf
ein Gewehr gestützt, das er als Gehhilfe benutzt, wie er mit der freien Hand eine
wegwerfende Geste macht und weitergeht. Das war einer, der den Massakern von Srebrenica
entkommen ist. (Oder auch nicht.)
Ich habe an diese Szene gedacht, als ich im
"herbst"-Büro jenes kuriose Depot sah; ein Zufallsfund mit dem mehrfachen
handschriftlichen Vermerk "SCHWARZE PÖLSTER".
Die Maultrommeln des Detlev Hartmann, mit dennen er
Mitternacht einläutet. Die schwarzen Pölster in Graz und der weinende Mann von
Srebrenica.
Ich wußte zuerst nicht, wie das zusammenhängt. Dann fiel
mir wieder mein Gespräch mit dem bosnischen Autor Dzevad Karahasan ein, in dem er
betonte, daß kaum etwas so tödlich sei wie Gleichgültigkeit.
Mir blieb dieser Satz von ihm sehr wichtig: "Die
Kunst schützt uns vor Gleichgültigkeit, der Mensch aber lebt, solange er nicht
gleichgültig ist." [Quelle]
Das ist freilich in der Möglichkeitsform angelegt und wir
haben die Freiheit, all das auszuschlagen. Wir stecken in großen Schwierigkeiten. Daran
besteht für mich kein Zweifel. Das meint kein Dorf und kein Land, sondern eine viel
weitere Dimension. Ermordete Roma. Es reißt nicht ab. Dieses Europa birgt seine
Schutzbefohlenen nicht. Das bedeutet, was genau das schon immer bedeutete: Wenn wir es
nicht eindämmen, naht eine Stunde, wo es JEDEN treffen kann.
November
2004Erfinderische
Unentschlossenheit.
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