23. Mai 2006 Matthias
Horx verdanke ich die Anregung, daß Doppelmoral kein moralisches Problem, sondern eine
Strategie sei. Die letzten beiden Legislaturperioden haben mir Gemeinderats-, Landtags-
und Bundestagsebenen unmißverständliche Eindrücke verschafft, daß praktisch keine
Partei davor zurückschreckt, Ansichten zu propagieren, die eine sachlichen Überprüfung
nicht einmal einen Tag lang standhalten. (Einzig die KPÖ ist mir vor Ort im genannten
Zeitraum diesbezüglich nicht aufgefallen.)
Das darf ich als einen Status quo meiner
Generation ansehen. Wenn es eng wird, scheinen sogar recht durchsichtige Propagandamittel
akzeptabel. Da wird kontrafaktisch dahingeschrieben und verlautbart, daß sich die Balken
biegen. Eben auch im Ministerrang. Daß Frau Innenminister nicht ganz meiner Generation
zuzuzählen ist, bleibt dabei völlig egal.
>>Wien - Das wichtigste
"Ergebnis" ist ein Nichtergebnis: "Integrationsunwillige" konnten
durch die am Freitag präsentierte Studie "Perspektiven und Herausforderungen in der
Integration muslimischer MitbürgerInnen in Österreich" nicht ausfindig gemacht
werden. Schon gar nicht jene von Innenministerin Liese Prokop (VP) vor einer Woche
genannten 45 Prozent. Das Wort findet sich auf keiner der 228 Seiten der Studie.<<
(Quelle: "Der Standard")
Eine ÖVP-Ministerin verfährt nach ganz
eigenen Interessen mit den Ergebnissen wissenschaftlicher Arbeit. Sie leitet eine
desavouierende Interpretation ab, für die es keinerlei Anhaltspunkte gibt. [Die Studie
als PDF-Datei.]
Meine 1990er-Ausgabe des Bandes 13 der
"Brockhaus Enzyklopädie" definiert "Lüge" noch als "bewußt
falsche Aussage, auf Täuschung ausgelegte Aussage; sie liegt auch dann vor, wenn
Tatsachen verschwiegen oder entstellt wiedergegeben werden". Ist das in den
vergangenenen eineinhalb Jahrzehnten neu definiert worden?
Die Sozialdemokratie hat sich in dieser
Disziplin vor der Jahreswende ganz markant aus dem Fenster gehängt. Als ein in Fragen der
zeitgenössischen Kunst völlig unzurechnungsfähiger Innenpolitik-Exekutor der
"Kronenzeitung" sich zwei Kunstschaffende vorgeknöpft hatte, um die Auflage
seines Blattes anzuheben. Dabei kam jene Angelegenheit heraus, die "Porno-Plakate"
unterstellte, wo nie welche gewesen sind.
SP-Prominenz, Josef Cap und Alfred Gusenbauer,
haben sich umgehend auf diese infame Aktion gesetzt. (Siehe Eintrag vom 9. Jänner 06.) Völlig haltlos, frei von
Kriterien und Sachkenntnis, hatten die zwei Sozialdemokraten die Herabwürdigung von
Kunstschaffenden in Kauf genommen, um sich für die nun kommende Wahl aufzuwärmen.
Die steirischen Grünen haben sich beim
letzten Wahlkampf energisch (und gegen Einwände unempfindlich) von intellektueller und
politischer Redlichkeit verabschiedet. Mit ihrer "Kummerl-Nummer", der obszönen Assoziation eines politischen
Kontrahenten, dem KP-Politiker Ernest Kaltenegger, mit dem mutmaßlichen Kriegsverbrecher
Milosevic. (Die dem Rassimus geschuldeten Saurier-Plakate seien nur nebenher erwähnt.)
Frei von intellektueller Redlichkeit hatte
sich dazu auch die ursprünglich durchaus grün orientierte ÖVP-Mandatarin und
Schrifstellerin Andrea Wolfmayr hervorgetan. Ihr Befund zur Lage des Landes ist eine
polemische Kampfschrift, die den Stand
politischer Diskurse meiner Generation in diesem Österreich sehr anschaulich illustriert.
Zumindest jenen Teil, der sich von den Prägungen des Kalten Krieges nicht recht
freischwimmen wollte.
Über die beiden vaterländischen Parteien
verliere ich hier weiter kein Wort. Wir werden gewiß schon in den kommenden Wochen neue
Ausfälle gegen die Menschenwürde von diesen Seiten erleben.
Was man in der Studie und etwa in der "Kleinen Zeitung" nachlesen
kann, kommt einer politische und kulturelle Bankrotterklärung sehr nahe. Genau das schaut
nämlich heraus, wenn man auf redliche Diskurse verzichtet und ins Kielwasser der
Haßprediger rudert:
[Wir Kinder des Kalten Krieges]
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