18. August 2005

Zeit für etwas Komplexitätsreduktion. Wer kennt sich da sonst noch aus? Was hab ich also an Themen auf dem Tisch? Den "Balkan-Reflex". Die "Operettenrepublik Österreich". Uns "Kinder des Kalten Krieges".

Warum ist das wichtig? Ich ahne, meine Generation wird sich auf ähnliche Art einige Fragen stellen lassen müssen, wie wir sie unseren Eltern gestellt haben. Es hat sich bloß der Kontext etwas verschoben und die Situationen waren von andren Mitteln bestimmt. Aber das Geschäft der Menschenverachtung ist 1946 nicht geschlossen worden.

Eine der Fragen war: "Was habt ihr gewußt?" Eine andere lautete: "Was habt ihr getan oder unterlassen?"

Ich sehe uns im Ringen um "neue Verhältnisse" in Europa sehr befangen. Verfangen. In alten Stereotypen und Zuschreibungen. Wie sie vor rund hundert Jahren den Auftakt zum Ersten Weltkrieg ausstaffiert haben. Wie sie im neuen Jahrhundert, das doch ein "post- nationalistisches" werden sollte, immer noch in Gebrauch sind.

Das Operettenhafte, mit dem wir uns die Republik Österreich zurechtstellen, hat amüsante und schwer erträgliche Seiten. Amüsant finde ich zum Beispiel, wenn ich auf dem Cover der "Kleinen Zeitung" vom letzten Samstag zum "Fall Herberstein" lese:

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Schmunzelnd denke ich: Gräfin, hm, Gräfin, ist das ein Beruf? Oder studiert man das? Was IST oder MACHT denn eine Gräfin? Daß sich der Adel bei uns, statt in einer Revolution, in einem selbst verursachten Weltbrand aus der Sozialgeschichte getilgt hat, ist eigene Erörterungen wert.

Dazu paßt, daß man auch heute noch veröffentlichte Stellungnahmen findet, in denen die Verantwortung und Schuld für den Ersten Weltkrieg den Habsburgern und Hohenzollern von der Schulter gerollt werden soll. (Siehe den Eintrag vom 25. Juli!)

Wenn man zurechnet, daß unsere gegenwärtige Innenministerin ganz offiziell einer monarchistischen Vereinigung angehört, dann entsteht in diesen Zusammenhängen doch einiger (Er-) Klärunghsbedarf.

Was ich mit dem "Balkan-Reflex" meine und was ganz offensichtlich im Kalten Krieg wiederverwertet, erneuert wurde, ist das gleiche Stereotypen-Paket, auf das sich einst "Alldeutsche", später auch die Nazi und ihre Gefolgsleute verlassen durften. "Abendland versus Orient", wahlweise "versus slawische Untermenschen". Wir haben viel davon intus.

Das illustriert nicht nur der Stalker, dessen Nachstellungen ich in den letzten Tagen geschildert und teilweise zitiert habe. Der Ereignisbogen vom Ersten Weltkrieg in die Gegenwart ist evident. Ernst Bruckmüller schrieb in seiner "Sozialgeschichte Österreichs":

"Sicher spitzten sich durch den Krieg die nationalen Gegensätze zu. Da propagandistisch der Krieg von vielen Seiten als Krieg der "Germanen" gegen die "Slawen" interpretiert wurde, nimmt es nicht wunder, daß die letzteren in ihrem Patriotismus für die immer "deutscher" gesehene Habsburgermonarchie erkalteten. (S. 456 f)

Diese Geschichte der Ressentiments bezieht Motive aus wenigstens rund tausend Jahren, seit der erste Kreuzzug europäischen Fürsten und Bauern eine Entlastung von einem schrankenlosen, gewalttätigen Rittertum bringen mußte. Was (ganz pragmatisch betrachtet) verlangte, den adeligen Raufbolden Judenmassaker und Gemetzel an Muslimen als Kompensation anzubieten.

1971 war ich ein Teenager von 15 Jahren. Damals brachte die Steiermärkische Landesregierung ein "Jungbürgerbuch" heraus, "Bürger, Staat, Welt", in dem uns eben diese (Welt) vom "Gestalter" Walter Zitzenbacher zum Beispiel so erklärt wurde:

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Diese knappe Passage ist voller aufschlußreicher Details zum Thema "Balkan-Reflex". Zitzenbacher assoziiert Europa mit dem "christlichen Abendland", schließt dadurch mindestens implizit andere Kulturen aus. Er unterschlägt, daß "wir" die ersten Aggressoren waren, der Aufruf zum ersten Kreuzzug erfolgte von Papst Urban II. beim Konzil von Clermont im Jahre 1095.

Die Steiermark als Bollwerk gegen den Islam, das meint vor allem die alte "Militärgrenze", was also ein katholisches Slowenien und Kroatien noch einschließt, ein muslimisches Bosnien, ein orthodoxes Serbien etc. ausschließt. Das ist sehr interessant, wenn man HEUTE die Lage der Grenzen und Ressentiments EU-Europas dazu in Beziehung setzt.

Ferner schreibt Zitzenbacher vom "mohammedanischen Halbmond", was ihn als einen Parteigänger des Ressentiments ausweist. Denn kein Moslem, der bei Trost ist, würde sich einer "mohammedanischen Kultur" zurechnen. "Mohammedaner" sind eine Erfindung von Leuten, die sich dieser Kultur eher verschließen. Der Islam erlaubt keine solche Verehrung außer der Allahs, weshalb sich eine Anhängerschaft Mohammeds, seines Propheten, verbietet.

(Einschub: Ich hab ja unlängst gezeigt, daß in einem steirischen "Jungbürgerbuch" der gleichen Regierung 1959 die Türkei als Teil der "Europabewegung" vorgeführt wurde.)

Ich glaube mich zu erinnern, Zitzenbacher war ein Mitarbeiter der SPÖ-nahen Grazer Tageszeitung "Neu Zeit". Die ist längst vom Markt verschwunden. Wie die "Süd Ost Tagespost". Deren hochrangiger Mitarbeiter der Kulturkritiker Wolfgang Arnold gewesen ist. Auch Arnold steuert im genannten Buch von 1971 etwas zur politischen Bildung der jungen Menschen bei:

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Eine ziemlich kühne Empfehlung zur Frage der Verantwortung für die Verbrechen der Nazi und ihrer Gefolgschaft. Einige Sätze weiter schafft Arnold eine Obszönität, die einem den Atem verschlägt. Immerhin in einer Publikation der Landesregierung:

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Das sind also die Ansichten der Meinungsbildner, unter denen ich aufgewachsen bin. (Man ahnt, in welcher Tradition die jüngst gezeigte Haltung des Bundesrates Kampl steht.)

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