1. Juli 2005 Mein gestriger
Gang in die Buchhandlung bescherte mir bloß die Auskunft, das gewünschte Heft mit dem
neuen Text Handkes sei unterwegs, aber noch nicht da. Und. Eine Antwort des Kulturchefs
der "Kleinen Zeitung" zur Erläuterung der Zuschreibung "sehnsüchtig-ungerechtes Sprachwerk" habe ich
bisher nicht erhalten.
Während ich gewünschte Antworten entbehren muß, erfahre
ich gelegentlich, wonach ich gar nicht gefragt habe. Zum Beispiel:
"in der eng ist gut scheissen und in der weiten
gut luegen / bei krusche ist das in eins verschmolzen / die weiten des internets und das
hauseigene klosett krusches, auf dem er mit eitler begeisterung seine eigene schlechte
literatur liest"
Oder:
"abschliessend: mahlzeit krusche / im anhang
eine virtuelle wildsau, die du jedoch nicht zu einem realen schweinebraten verarbeiten
wirst koennen. / resume: krusche uebt sich in drohungen und literarischer erpressung /
narish guat / da musst du frueher aufstehen"
Gut, das ist ja amüsant zu lesen, ein Kommentar lohnt sich
eigentlich nicht, bleibt also etwas Zeit, ein paar simple Fragen zu formulieren:
+) Hat Handke die Massaker von Srebrenica geleugnet oder
verharmlost? Ja oder nein!
(Falls ja, welche Textstelle belegt das?)
+) Hat Handke sich auf die Seite der serbischen Soldateska oder eines serbischen
Nationalismus geschlagen? Ja oder nein!
(Falls ja, welche Textstelle belegt das?)
+) Hat Handke sich gegen die Untersuchung und Ahndung von Kriegsverbrechen oder Verbrechen
gegen die Menschlichkeit aus dem jugoslawischen Sezessionskrieg gestellt? Ja oder nein!
(Falls ja, welche Textstelle belegt das?)
Cut!
Warum ist das alles wohl so emotionsgeladene Materie?
Nationale Gründungslegenden? Das Identitätsgeschäft auf Kosten anderer? Beispiel: Ich
habe gerade einen Leserbrief in einer Zeitschrift vom 29. Juni 2005 (!) entdeckt. Rund 90
Jahre nach Ausbruch des Ersten Weltkrieges führt ein Diplomkaufmann aus Kohfidisch
Serbien explizit als Verursacher des Ersten Weltkrieges vor und kritisiert an einem
Artikel, "... er deutet fälschlicherweise an, daß wir an dem Krieg schuld gewesen
wären."
Dieser höcht kuriosen Deutung der Rolle k.u.k.
Österreichs im Jahre 1914 werde ich mich noch widmen. Aber was bringt selbst
intellektuell begabte und historisch beschlagene Leute dazu, eines ihrer Augen bei
Betrachtungen einfach geschlossen zu halten?
Ich rate. Komplexitätsreduktion in einer kompliziert
gewordenen Welt? Um die eigene Existenz besser zu ertragen? Ich gebe ein Beispiel für
komplexe Lebensbedingungen, das mir gerade erst zugetragen wurde. Es handelt von einem
serbischen Moslem, dessen Lebens- und Identitätslage wahrlich komplex ist. Ohne daß er
sich als radikaler Simplifizierer aus dieser Komplexität stehlen würde.
Goran gibt seiner Tante Anlaß zur Sorge. Goran möchte nach Srebrenica fahren. Dort
findet demnächst einen Gedenktag statt, der mit den Massakern an den Moslems
zusammenhängt, die General Radko Mladic zu verantworten hätte. Gorans Tante macht sich
vermutlich aus gutem Grund Sorgen um die Befindlichkeit ihres Neffen. Was hat sie, was hat
ihre Familie in den 90ern erlebt? Das ist eine unerzählte Geschichte. Ihre Schwester war
mit einem Moslem verheiratet gewesen. Was mochte das in diesem Sezessionskrieg für
Konsequenzen gehabt haben?
Ich war Goran nicht so nahe, daß er mir erzählt hätte,
was ihn bewegt. Aber als ich mit ihm am Grab seiner Eltern gewesen bin, hat er mir gesagt,
er würde sich dafür schämen, was Serben seinen Leuten angetan haben. [LINK] Nun ist er ja selbst Serbe. Und unter
seinen Leuten sind eben Moslems wie sein Vater. Also, was mag ihn bewegen und worum
müßte man sich da Sorgen machen?
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