martin krusches [flame] logbuch / blatt #85


Straße des 20. Jahrhunderts IV
Eine kleine Formengeschichte

Das rundliche Pucherl, sein eckig-kantiger Schlußakt, der kubische Mini, allerdings sanft gerundet, diesen Verlauf kann man sich auf Seite III ansehen. So vollzog sich die Veränderung des Formenspiels nach dem Zweiten Weltkrieg im Kleinwagenbereich. Dem war eine Kategorie höher der Umbruch von etwas molligen Klassikern mit fetten Schenkeln zum neuen Ponton einhergegangen, wie man auf Seite II sehen kann.

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BMW 502 super mit V8-Motor

Ich lasse hier in der Betrachtung diverse Luxussegmente weitgehend beiseite, weil es da viel Spielraum und Ressourcen für Experimente und Exzentrik gab, daher auch teils kühne Sprünge in der Entwicklung der Formen.

Für die europäische Massenmotorisierung nach dem Zweiten Weltkrieg ließ sich die Geschichte grob gefaßt wie folgt reihen: Ponton, Ovoid, Box und Keil. So zunehmend schlank und effizient ging es in der Oberklasse nicht her.

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Mercedes-Benz 300 in Cabrio-Version

Dort wurde konservative Kundschaft Anfang der 1950er Jahre noch mit recht klassischen Angeboten verwöhnt. Mercedes-Benz 300 (W 186) und BMW 501 & 502 sind dafür anschauliche Beispiele, stilistisch miteinander verwandt.

Diese barocke Form, den BMW nannte das Volk "Barockengel", war auch im Luxussegment noch dominant. Der Rolls-Royce Silver Wraith (1946 bis 1959) darf aus heutiger Sicht als Leitfossil dieser Ära gelten, Silver Dawn und Phantom waren noch ganz im Stil fahrender Landhäuser gehalten.

Erst mit dem Silver Shadow kam der Ponton 1965 in die britische Repräsentation-Hütte. Das Design stammt aus dem hauseigenen Department unter der Leitung von John P. Blatchley.

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Währenddessen bahnten sich in Europa einige Meilensteine des Automobildesigns an. Ab 1955 war die "Göttin" (Deesse) nach einem Entwurf von Flaminio Bertoni auf dem Markt, der Citroen DS.

Es heißt diese Modellbezeichnung leite sich aus der Prototypen-Phase her, wo die D-Modelle von Citroen mit D1, D2 etc. durchnumeriert worden seien. Das war eine für den Alltagsgebrauch verkürzte Variante von VGD, nämlich „voiture à grande diffusion“, das heißt "Automobil zur großen/allgemeinen Verbreitung".

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Im Citroen DS hatte die Nachkriegszeit eine der bedeutendsten Ikonen

Damit ist die neue Ära und der Wunsch nach allgemeiner Motorisierung in einem konkreten Fahrzeug repräsentiert, das in Gestalt und Technik seiner Zeit weit voraus war. Das gilt übrigens auch für einen Klassiker, der rund ein Jahrzehnt später die Uhren neu stellte.

Claus Luthe entwarf den NSU Ro 80, der ab 1967 produziert wurde und in vielen Publikationen als Urmaß der Keilform gedeutet wird. Zwar hat sich der Wankelmotor nicht allgemein durchgesetzt, das Ro steht für Rotationskolbenmotor, doch in der Erscheinung sehen wir da die damalige Zukunft.

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Claus Luthe führte in den 1960ern mit dem Ro 80 eine neue Formensprache ein

Einige Jahre später, nämlich 1973, reduzierte Giorgio Giugaro all das auf die kantige, drahtige Körperlichkeit des VW Passat B1. Die Fettleibigkeit der Autos aus der Wirtschaftswunder-Ära, dieses behäbige Auftreten, wie man es oben an Mercedes und BMW sehen kann, hatte im Gewusel der Massen, die sich seit Jahrzehnten eigene Automobile erträumten, nichts verloren..

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Giugiaros Volks-Keil, der erste Passat

Mit diesem Passat, wie man ihn heute kaum noch zu sehen bekommt, dämmerte im gleichen Designbüro ein neuer Superstar der Volksmobilisierung herauf, der VW Golf. Gerade am Golf und seinen nahen Verwandten konnte man dann über mehrere Generationschritte beobachten, wie die Autos wieder pummelige, rundlicher wurden, das Sehnige, das Kantige der 1970er abwarfen.

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