martin krusches [flame] logbuch / blatt #83


Straße des 20. Jahrhunderts II
Eine kleine Formengeschichte

Ich hab auf dem vorigen Blatt knapp skiziert, wie Autos von motorisierten Kutschen zu eigenständigen Fahrzeugkonstruktionen wurden und wie der Zweite Weltkrieg jene Ära markiert, in der bei Autos eine alte Designwelt weitgehen versank.

Der schritt vom Vorkrigesdesign zum Nachkriegs-Ponton läßt sich am Beispiel Mercedes- Benz gut verdeutlichen. Mit dem 170 S reichte die alte Gestaltungswelt noch bis in die ersten 1950er Jahre.

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Mercedes-Benz 170 S

Dieser üppige Auftritt mit quellendem Kofferraum, auslandenden Kotflügeln und aufgesetzten Scheinwerfern erlebte in diesem Modell seinen Schlußakt. Solche Fahrzeuge mit großer Geste im Auftritt wurden noch bis 1955 produziert, aber 1953 war schon der kleine 180er Ponton da, den ich im vorigen Eintrag gezeigt hab, der erste Mercedes mit selbsttragender Karosserie.

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Mercedes-Benz 220

Hier eine Heckansicht der Version 220, des "Großen Ponton" zum kleinen 180er. Ich hab bereits einen kleinen Ponton von Steyr-Fiat erwähnt, ein italienisches Lizenz-Produkt, das in Steyr gebaut wurde. Diese hinreißend klar geformten Viersitzer, von denen reichlich heruntergekommene Exemplare noch durch meine Lehrlingsjahre rollten, konnten sich die Hackler, die sie gebaut haben, nicht leisten.

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Der Austro-Ponton Steyr-Fiat 1100

Das war übrigens schon ein Problem mit einem anderen Klassiker gewesen, dem ersten kleinen Fiat 500, genannt Topolino. Der stammte in seiner Erstfassung noch aus den 1930er Jahren und gehörte formal zur versunkenen Ära. Er sollte ein Volkswagen werden, ein Auto für breitre Bevölkerungskeise.

Das bedeutet, Anschaffung und laufender Betrieb müßten mit dem Jahreseinkommen von Arbeitern verträglich sein. Aber auch der Topolino war für meinesgleichen noch zu teuer. Da konnten gerade einmal Geschäftsleute zuschlagen, ohne daß es für einen großspurigen Auftritt gereicht hätte.

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Fiat 500 Topolino

Es klemmte leider mit den praktischen Möglichkeiten, es hakte beim Geld. Während bei uns das Begehren schon auf repräsentative Autos ausgerichtet war, auch um alte Gräben in sozialen Hierarchien wenigstens etwas einzuebnen, dauerte es noch etliche Jahre, bis wenigstens genügend erschwingliche Gebrauchtfahrzeuge auf dem Markt waren, um Sehnsüchte und Wartezeiten etwas zu mildern.

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Der Seat 770 , eine spanische Lizenzversion des Fiat 600

In der Zeit versuchte Fiat im Jahr 1955 mit dem 600er zu punkten und schob 1957 den Nuova 500 nach, um dieses Feld abzudecken. Das blieb allerdings insofern auf halber Strecke stecken, weil zu der Zeit Alec Issigonis das Thema Kleinwagen völlig neu definiert hatte.

Mit dem kubischen Austin Mini von 1959, Motor und Antrieb vorne, waren die eiförmigen Heckschleudern im Grunde hinfällig, auch wen Italien, Jugoslawien, Österreich, Polen und Spanien mit dem 126er noch versuchten, die hecklastige Fiat-Geschichte auf dieser Ebene kantig fortzuschreiben.

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Der Mini von Issigonis machte die Hecktriebler-Fiat und ihre Derivate zur technischen Vergangenheit, so auch das Puch-Schammerl. Doch er zeigt sich über sanfte Rundungen immer noch jener Ära verbunden und war damit emotional so erfolgreich, daß er im New Mini von BMW ein äußerst populäres Zitat erhielt.

Es war dann später Giorgio Giugiaro, der unserer Automobilwelt im Bereich der Massenfertigung dieses fast schon Baby-Schema knuddeliger Anmutung nachhaltig herunterreäumte.

Er schlug scharfkantige Gegenstände wie den VW Passat (1973), Scirocco und Golf (1974) sowie den Polo (1975) in den Boden der Tatsachen, um 1980 eine wunderbare, eher unterschätzte Box hinterherzuschieben, den ersten Fiat Panda. Der war ein 700 Kilo leichter Gebrauchsgegenstand ganz im Geist früher, kleiner  Nachkriegsautos

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