martin krusches [flame] logbuch / blatt #82Straße des 20. Jahrhunderts I Das Automobil ist quasi unser Generalfetisch, in dessen Nutzung sich fast alle Lebensbereich berühren lassen. Gebrauchsgegenstand und Sehnsuchtsmaschine, von allem Anfang an mit Emotionen und Ideologie befrachtet. Die technische und formale Entwicklung der Autos quer durch das 20. Jahrhundert reflektiert unser Leben, unsere Kultur... Rund um 1900 waren die motorisierten Kutschen im Automobilismus praktisch schon erledigt, auch wenn manche Vehikel zu Beginn des 20. Jahrhunderts durchaus kutschenhaft wirkten. Doch überall in der technisierten Welt probierten Leute herum, um Chassis für die neuen Zwecke zu verbessern. In den wenigstens 20 Jahren davor hatte die Entwicklung vom Hochrad zum Saftey, dem Fahrrad, wie wir es heute noch kennen, viel technisches Know how und allerhand zweispurige Varianten hervorgebracht. Solche filigran scheinende Vehikel eigneten sich besser zur Motorisierung als die alten Kutschen. Die kleinen Voiturettes, aus ein bis zwei Zylindern befeuert, erwuchsen rasch zu robusteren Fuhren, in denen die von wohlhabender Kundschaft erhofften Vierzylinder- Triebwerke bald für mehr Vorschub sorgten. Der Albl Phönix von 1902 Die Voiturette (Wagen, Wägelchen) leitet sich im Französischen von Voiture her, heute der französische Begriff für Auto. Der kleine Wagen aus dem Werk von Benedict Albl ist neben heutigen Automobilen ein Winzling, kaum größer als die aktuellen Mopedautos; auch nicht stärker. Dagegen ist die Voiturette von Puch schon viel stattlicher. Sie stammt aus dem Jahr 1906, ist faktisch ein Schwestermodell der Voiturette von Laurin & Klement, hat aber -- entgegen allen schriftlichen Quellen die ich kenne -- unter der Haube einen Reihen-Zweizylinder. Bis 1910 kam in Österreich eine wachsende Produktion von Kleinserien in Gang. Die Karosserien wurden seitlich hochgeschlossen, erhielten Türen, boten so zunehmend besseren Wetterschutz. Diese offenen Wagen wurden meist Phaeton genannt. Später kam mit dem Sedan der "geschlossene Innenlenker" ins Spiel. Puch Voiturette von 1906 Aus der Kutschenwelt wurde eine fast unüberschaubare Zahl der Aufbauarten abgeleitet, deren Vielfalt vor allem Kabinenformen und Verdeck-Arten betraf. Manche Begriffe aus dem Kutschenkatalog haben sich bis heute bei den Automobilen erhalten. Die Limousine, das Coupé und das Landaulet sind, wie auch die Berline oder das Cabriolet, Beispiele dafür. Eines der langlebigen Motive in diesem Formenspiel blieb die von hinten nach vorne eben verlaufende Gürtellinie, die zwischen Motorhaube und Kabine keine markante Stufe mehr zeigte, die Torpedo-Form. Puch Alpenwagen von 1919, ein Doppelphaeton Torpedo Bis zum Zweiten Weltkrieg standen nicht alle, aber die meisten maßgeblichen Automobile auf stabilen Leiterrahmen. Wohlhabende Leute kauften so ein Chassis mit Motor beim Werk und ließen sich vom Handwerker ihrer Wahl eine Karosserie nach Wunsch anfertigen. Im Puchwerk wurde so ein Chassis aus dem Jahr 1914 in irgendeinem Winkel vergessen und kann heute im Grazer Johann Puch Museum besichtigt werden. Damals war das für PKW und LKW gleichermaßen die technische Basis; erst der Aufbau entschied über den Fahrzeugtyp. Der Motor mit seinen 3.500 ccm Hubraum gibt 38 PS her, für jene Zeit eine gute Ausstattung. Puch Lastwagenchassis von 1914 In jenen Tagen mußte jeder Gewinn an Leistung mit einer erheblichen Zunahme an (Motor-) Gewicht bezahlt werden. Es ging also nur langsam voran. Solche Leiterrahmen sind heute noch bei Nutzfahrzeugen zu finden; und bei Genre-Grenzgängern wie dem seit über 30 Jahren produzierten Puch G. Nach dem Zweiten Weltkrieg entfielen solche Konzepte bei den meisten PKW und die selbsttragende Karosserie setzte sich -- etwa in Ponton-Form -- breit durch. Es kam die Ära größerer glatter Flächen. Scheinwerfer wurden in die Kotflügel integriert, die ihrerseits das Flügelhafte verloren und in den Karosserie-Körper eingesaugt wurden. Ausnahmen wie der VW Typ 1 (Käfer) mit seiner Plattform auf Zentralrohrrahmen, oder der Citroen 2CV (Ente) mit seinem Kastenrahmen, beide noch mit weit ausgestellten Kotflügeln versehen, stammen konzeptionell aus der Zeit davor und blieben formale Anachronismen. Mercedes-Benz 190 Ich denke, der populärste Ponton unserer Nachkriegsjahre, auch Laien vom Anblick her vertraut, ist der Mercedes-Benz 190, unmittelbar gefolgt vom Opel Olympia Rekord, beide in der ersten Hälfte der 1950er Jahre auf den Markt gebracht. Formen, die in Amerika schon geläufig waren. Österreich hatte bereits nach dem Ersten Weltkrieg enorme Absatzeinbußen erlebt, wo gut situierte Leute etwa ihr Vermögen über Kriegsanleihen verloren und daher als Kunden ausfielen. (Auch waren nach 1919 alte Absatzgebiete nun Ausland.) Aber in der Zwischenkriegszeit wurde immer noch hauptsächlich für den Geschmack gehobener Kreise gestaltet. Opel Olympia Rekord Derweil kam in den USA Richtung Zweiter Weltkrieg längst der Massengeschmack zum Tragen, was in Summe eine enorme Gestaltungsvielfalt aufwarf. So wird man etwa die Grundzüge dieses Opels leicht bei Oldsmobile ab 1951 entdecken: [link] Sozusagen im Windschatten dieser Entwicklung dämmerte die Volksmotorisierung herauf. Nun mußte man aber etwa für einen heimischen Ponton, den in Lizenz gebauten Steyr-Fiat 1100, wenigstens ein gutes Beamteneinkommen haben. Auch Käfer und Kadett waren vielen noch eine Nummer zu groß. In diesen Zusammenhängen gedieh jener Ovoid, welcher historischer Angelpunkt unseres Projektes "Fiat Lux" ist. Dem Fiat 600 folgte der Fiat Nuova 500, dessen Karosseriebleche auch für den Steyr-Puch 500 verwendet wurden; siehe dazu: "Woher kommt das Puch-Häusel?" [link] [Fortsetzung] [Übersicht] |