martin krusches [flame] logbuch / blatt #86


Straße des 20. Jahrhunderts V
Eine kleine Formengeschichte

Wie im vorigen Beitrag erwähnt, der NSU Ro 80 wird in verschiedenen Quellen als Auftakt der Keilform im Automobildesign gewertet. Das zeigte sich für 1967 als eine sehr außergewöhnliche Linienführung. Aber vor allem der anfangs eher zickige Wankelmotor war sicher nichts für Durchschnittsverdiener.

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Claus Luthes NSU Ro 80 zum Auftakt der Keilform-Ära

Zwei Jahre davor, also 1965, kam im damals enorm experimentierfreudigen Frankreich eine Kreation von Gaston Juchet auf den Markt, die ich zu diesem Thema für viel exponierter halte. Laut diverser Quellen brachte es der Renault 16 auf rund 1,9 Millionen Einheiten. Das ist also ein recht populäres Maschinchen geworden, dessen Schrägheck und scharf geschnittene Front aus der Box einen feinen Keil machen.

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Französischer Hatchback als früher Keil: Renault R 16

Genau so ein Schrägheck erhielt auch der VW Passat. Der kam rund eine Dekade später dann als ein formal stark verwandtes Fahrzeug in die Gänge, als ein Entwurf, der für eine ganze Ära stehen sollte. Es ist der VW Passat in der Version B1, den Giorgio Giugaro noch vor seinem epochalen VW Golf ins Geschehen warf.

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Der 1974er Passat von Giugiaro

Ich war in der Beschreibung der Formenspiele schon bei der Abfolge Ponton-Ei-Box-Keil. Hier wäre also nun der Schrägheck-Keil als ausladendes Raum-Schiff; im Kontrast zum Golf, der danach in der öffentlichen Wahrnehmung alles an Passat und Scirocco überstrahlte.

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VW Passat in der erste Version

Darum zeige ich ihn auf diesem Blatt von beiden Enden als einen der gerade einmal zwei Passat B1, die ich innerhalb der letzten rund 20 Jahren erwischen konnte. (Den ersten der beiden Exemplare in meiner Fotosammlung sehen Sie auf dem vorigen Blatt.)

Der Passat wurde in der dritten Generation wieder rundlicher, ab der vierten Generation formal zunehmend uninteressant. Im Passat B8 von 2014 erkennt man dann überhaupt nicht mehr, woher dieses Modell ursprünglich kommt.

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Giugiaros VW Golf in seiner ersten Karosserieform

Wie der amerikanische Ford Mustang für eine eigene Automobil-Kategorie namensgebend wurde, die Pony Cars, so kam es mit diesem VW. Man spricht heute von der Golf-Klasse, auch von der Kompaktklasse, im Englischen vom Compact Car. (Der VW Golf war ein ungeheurer Schock für die damals schwer angeschlagene britische Automobilindustrie.)

Nun würde der Golf in heutiger Wahrnehmung nicht als Keil gedeutet werden, dafür steht dieseits der Exoten und Supersportler am ehesten ein Fiat X1/9. Blickt man kurz auf das Blatt III, kann man im Vergleich feststellen, daß der Fiat 126 retrospektiv fast wie ein "Kindchen-Golf" dasteht

Ein kleiner, etwas gedrungener und rundlicher Vorbote, quasi wie ein frisch geschlüpftes Gölfchen, das als junger, erwachsener Kerl dann eben größer und kantiger geworden ist. Der Fiat 127, auch auf diesem Blatt zu finden, war dann schon so ein Zweitürer-Viersitzer- Hatchback mit Frontmotor. VW machte daraus ein Monument der Autogeschichte.

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