Docu #17: Vogeltanz / Hammerl [Bezogen auf Docu #15]
From: jörg vogeltanz
To: elfriede.hammerl
Subject: genital daneben
Date: Tue, 10 Jan 2006 15:07:56 +0100
sehr geehrte frau hammerl,
mit sehr großem interesse, vergnügen und mit
abonnentenhafter regelmäßigkeit verschlinge ich Ihre scharfen und, verzeihen Sie mir den
abgelutschten ausdruck, pointierten artikel. sie sind ein fixpunkt während der lektüre
des profil. zu Ihrem letzten ("genital daneben") möchte ich allerdings meinen
senf dazugeben:
ich teile - auch als selbst tätiger kunstschaffender -
Ihre ansicht, dass nicht alles, was mit oder ohne genitalfixierung zu provozieren sich
anschickt, kunst sein muß. offenbar kann hierzulande mit sex und pornographie leicht
aufsehen erregt werden, denn ein nicht geringer teil der bürgerInnen leidet sichtlich an
diesbezüglichen, in 2000 jahren kirchlicher desinformation gut eingeübten komplexen und
neurosen. da wäre doch einmal eine klare beschäftigung damit vonnöten statt einfach nur
den stein des anstoßes wegzuhängen und zu verbieten.
ich halte allerdings Ihre kritik an den plakaten, zumal sie
in einer im moment für kunstschaffende in österreich durchaus kritischen situation
geäußert wurde (dazu weiter unten genaueres), für nicht zielführend und zum teil auch
falsch interpretiert. frau ostojic, die verantwortliche für die courbet-bearbeitung, ist
eine in ihrem ganzen künstlerischen schaffen sich auf die identität und rolle der frau
in gesellschaft/kultur beziehende, sehr ernsthafte künstlerin (http://www.kultur.at/howl/tanja). ihr effekthaschermotive unterstellen
zu wollen, ist, meiner ansicht nach, ungerechtfertigt und fachlich nicht korrekt.
zum oben erwähnten kritischen zeitpunkt: dank
überbordender ökonomisierung der gesellschaft in richtung utilitarismus, dank
schwindender fähigkeit, vernetzt zu denken, dank halbgarer dichandistischer kritiken
selbsternannter kunstexperten á la strache, cap oder darabos befinden wir uns in
österreich im jahr 2006 wieder einmal an einem punkt, wo die kunstfreiheit zur diskussion
gestellt wird. ich bin weißgott weit davon entfernt, die eu-plakate mit schiele zu
vergleichen, das ist schwachsinn. auch zensurhistorisch.
aber reicht es denn nicht, dass es -seien wir ehrlich!-
schon keinen wirklich freien journalismus mehr gibt? muss nun auch die kunst aufgrund
spekulativer staatsauftragselaborate per se in frage gestellt werden? wem wird das
schaden? einem wolfgang lorenz, eberhard schrempf oder georg springer als veranstalter?
nein. einem nitsch, der, ungeachtet seiner weinseligen zahmheit immer noch so gern als
gottseibeiuns zitiert wird?
sicher nicht. es wird dort schaden verursachen, wo keine
lobby helfend eingreift: bei all den jungen, aufstrebenden, schlecht verdienenden
künstlerInnen, die versuchen, ein wenig interesse zu erwecken, in einer zeit, wo
jamba-klingeltöne und klopapier mit integrierter hautcreme das denken der potentiellen
rezipientInnen mit beschlag belegt.
nicht, dass ich Ihnen eine solche geisteshaltung vorwerfen
würde. doch mit artikeln wie dem Ihren wird auch ein wenig wasser auf mühlen gegossen,
die besser nicht zu mahlen anfangen sollten. zensur ist indiskutabel.
was mir aber bei aller kritik und verve im kampf gegen
unmoral, grobheit, mangelndes taktgefühl, spießertum oder kunstfreiheit (man suche
sich aus, welchem lager man sich zugehörig fühlen möchte) immer ein wenig zu kurz
kommt, ist der tatsächliche hintergrund all dieser skandälchen.
die wahre ungeheuerlichkeit ist ja zum beispiel, dass man
einem herrn lorenz, der sich schon in graz als graue eminenz der 2003-company einen
zweifelhaften ruf im umgang mit der kulturszene erarbeitet hatte, eine weitere gut
dotierte möglichkeit gibt, künstlerInnen als werbeträgerInnen zu missbrauchen; allein
die ungeheuerlichkeit, dass an der hochfinanzierten eu-plakataktion beteiligte
künstlerInnen nur 1000 euro pro kopf + einen katalog bekommen hatten, zeichnet ein bild
davon, wie dieser herr den wert künstlerischer produktion beurteilt.
und das oft gehörte argument "na, wenn die künstler
so deppert sind, dass da unterschreiben..." kann gern mit einem blick auf das
bankkonto eben jener künstlerInnen entkräftet werden, denen oft keine wahl bleibt: 1000
euro oder nix, da nimmt man lieber den spatz in der hand. auch frau ostojic ist keine
multimillionärin.
als beispiel zur situation ein zitierter sms-dialog,
aufgezeichnet von martin krusche (http://twylyfe.kultur.at/log/):
"Ich hab ein Kunstprojekt für Dich."
"Super! Und wie schauts mit Geld aus?"
"Keine Sorge! Es wird Dich nichts kosten."
das ist der wahre skandal, der neben der ungeheuerlichen
anbiederung der spö an übelsten fpö/kronezeitungspopulismus und dem kotau schüssels
vor dichand zur diskussion gestellt werden sollte.
dennoch: bitte weiter so, frau hammerl. und keine
"alte großtante" werden. :-))))
mit herzlichen
grüßen,
jörg vogeltanzps: anbei meine satirische
bearbeitung des themas.
From: Elfriede Hammerl
To: joerg.vogeltanz
Date: Fri, 13 Jan 2006 13:35:15 +0100
Lieber Herr Vogeltanz,
d'accord:zensur ist indiskutabel. Kritik aber nicht,
oder? Ich will Frau Ostojic ja gerne ihr gesellschaftspolitisches und feministisches
Engagement glauben. |
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Ihr Plakat finde ich trotzdem nicht
gelungen.
In Summe stimme ich jedoch völlig mit Ihnen überein.
Die Diskrepanz zwischen dem, was die Herren Lorenz etc. absahnen und dem Betrag, den sie
den von ihnen doch angeblich hochgeschätzten KünstlerInnen zukommen lassen, ist mir auch
unliebsam aufgefallen, ich bin dann aber aus Platzmangel nicht darauf eingegangen.
Vielleicht tu ich's noch.
Liebe Grüße
Elfriede Hammerl
[Siehe Docu #23!]
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