Docu #15: Elfriede Hammerl / profil
Darf man das ständige kritische Rammeln
im öffentlichen Raum einfallslos finden?
Darf man, nach all den erschöpfenden
Kommentaren über die skandalisierten EU-Plakate, noch die eine oder andere Anmerkung dazu
machen?
Darf man bekennen, dass es einer die
Zehennägel aufrollt, wenn die Freiheit der Kunst ausgerechnet anhand öder
Fließband-Provokation der Sorte Genital daneben verteidigt werden soll?
Darf man gestehen, dass man das ständige
globalisierungskritische (kapitalismus-, kolonialismus-, kulturimperialismus-, machismus-,
feminismusgeißelnde) Rammeln im öffentlichen Raum langsam ziemlich einfallslos findet?
Darf man sagen, wie satt man es hat, dass
mehr oder weniger nackerte weibliche Geschlechtsmerkmale alles sein sollen, was zur
Symbolisierung des Ekels vor was auch immer von der EU bis zur Globalisierung, von
der Zerstörung des Regenwalds bis zur Bedrohung der Polkappen taugt? Darf man
zugeben, dass man das irgendwie doch auch ein bisserl sexistisch findet?
Darf man, platter Logik folgend,
überlegen, dass möglicherweise der Ursprung der Welt im weiblichen Schoß liegt, nicht
aber der Ursprung der EU soll heißen, darf man sich von KünstlerInnen erwarten,
dass sie ansatzweise politisch denken, wenn sie schon vorgeben, politische Aussagen zu
machen?
Darf man schreiben, dass man fuck etc.
nicht als wirklich aufrüttelnden Kommentar zum Weltgeschehen empfindet? Nein, kein
Schulterschluss mit der Kronen Zeitung, dieser Frischfleisch-Serviererin für
Potenzproblematiker, deren Kulturhorizont von Stadlwänden begrenzt wird! Aber muss man
für etwas sein, nur weil die Krone und die Blauen dagegen sind?
Nein, kein Schrei nach Zensur, aber die
Inanspruchnahme des Rechts auf freie Meinungsäußerung.
Kunst darf obszön sein, provozierend,
parteiisch, politisch inkorrekt. Aber nicht alles, was provoziert oder sich obszön gibt,
ist deswegen Kunst, und wenn Kunst, wie geschrieben wurde, auch medioker, sogar schlecht
und sogar dumm sein darf, so muss doch zumindest erlaubt sein, dass man sie als medioker
und dumm kritisiert, ohne in den Verdacht des zensurwütigen Spießer-Gesellentums zu
geraten.
Also: drei schlecht fotografierte
Nackerte in Kopulationspose, die schlecht erkennbare Masken tragen, angeblich Bush, Chirac
und die Queen darstellend was wollen die mir sagen? Wieso soll ich mir einen
tiefgründigen Reim darauf machen, wo bleibt das Künstlerische, falls mir keine
welterklärerische Deutung dazu einfällt, und warum soll ich, wenn ich mir schon selber
ein Kunstwerk draus machen muss, just aus diesem lausigen Sujet eins machen?
Was den EU-Slip zwischen den gespreizten
Frauenbeinen betrifft, so erscheint mir die Berufung auf Courbets Ursprung der Welt nicht
nur wenig schlüssig (die Frage der Machtverhältnisse in Europas Staatenbund damit zu
beantworten, dass der Mensch vom Weib geboren wird, wäre wohl ergreifend simpel), sondern
auch insofern irreführend, als ohne den Hinweis auf Courbet nur die sattsam bekannte
Beschwörung der weiblichen Verfügbarkeit übrig bleibt, die leider nicht schon
kritisiert wird, indem man sie beschwört. Im Gegenteil: Eher wird der Mythos von der Frau
als ausschließlichem Geschlechtswesen damit zementiert.
Zugegeben, die Dimension der Aufregung
steht in keinem Verhältnis zur Dimension der Provokation. Überhaupt verwundert es,
welches Ausmaß an moralischer Entrüstung ausgeleierte Schockierungsrituale immer noch
auslösen können, wo doch nicht die Verletzung des Tanzschulanstands empören sollte,
sondern die Absicht, die dahinter steht, nämlich die Kalkulation, dass man mit plumpem
Gefummel im Genitalbereich eventuell gepaart mit einem sexistischen Blick auf das
angebliche Tier in der Frau, von dem dann behauptet wird, dass er nur die Perspektive des
Betrachters sei mehr Aufmerksamkeit erregt als mit ernsthafter Auseinandersetzung.
Aber wenn denn schon Empörung zelebriert
wird, wirkt es ein wenig billig, das Empörende ausschließlich bei den Empörern zu
orten, und es muss erlaubt sein, den sexistischen Blick nicht einfach damit abzutun, dass
er auf den Betrachter oder die Betrachterin zurückfalle; man entdeckt Unliebsames nicht
nur deshalb, weil es sich in der eigenen Psyche wiederfindet. Es gibt einen Unterschied
zwischen der banalen Reproduktion sexistischer Klischees und kritischem Infragestellen von
Sexismus. Diesen Unterschied einzufordern und die Banalität zu benennen ist keine
Kunstfeindlichkeit.
Und, nebenbei, lieber ansonsten
geschätzter Sven Gächter: Können wir uns darauf einigen, dass nicht immer (alte) Tanten
herhalten müssen, wenn etwas verächtlich gemacht werden soll? Der Spruch von der alten
bösen Tante in der Wiener Muthgasse ist zwar in JournalistInnenkreisen geläufig, aber
tatsächlich steht hinter der Krone, wie wir wissen, ein alter Onkel, der ganz
ohne Tanteneinfluss so ist, wie er ist.
Schon wieder so ein sexistisches
Klischee: die alte Tante, deren Ableben man ungeniert und fröhlich erhoffen darf, wenn
sie was zu vererben hat, und die ob ihrer lästigen Küsse gefürchtet ist. (Der
Schüler-Standard zum Beispiel stellte österreichischen Kabarettisten erst
kürzlich die lustige weihnachtliche Frage: Wie entgeht man dem ungeliebten Kuss der
ungeliebten Großtante?) Dabei sind alte Onkel weit gefährlicher als alte Tanten,
deren Küsse nie in Verstöße gegen das Strafrecht ausarten, was man von den Onkelküssen
nicht so ohne Weiteres behaupten kann.
[Quelle]
[Anschließende Statements]
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