Blatt #86 | KW 28/2020

Saturday Night Cruising II

[Vorlauf] Um 1900 kam die Automobilproduktion allgemein in Gang. Bis zum Ersten Weltkrieg war die Serienproduktion in manchen Ländern durch die Zweite Industrielle Revolution nennenswert vorangekommen. Die Volksmotorisierung Europas fand aber erst nach dem Zweiten Weltkrieg statt, setze Ende der 1950er ein. Davon erzählen staunenswerte Kleinwagen und Winzlinge (Bubble Cars) wie die BMW Isetta oder der Lloyd.



BMW Isetta 300 vor einem Auto Union 1000 S Coupé de Luxe (DKW-Derivat)

In den 1970er Jahren kam meine Generation zum Zug und konnte auf einem endlos weiten Gebrauchtwagenmarkt je nach Budget frei wählen. Wir sahen bei Rallyes und Rundenrennen allerhand Monster, von denen einige erschwinglich wurden. Ford Escort, Renault R5, Toyota Celica, da tat sich allerhand.

Zugleich beeindruckten uns amerikanische Subkulturen. Customizing, Frisieren (Hot Rods), aber auch brachiale Monster in Beton-Ovalen (Stock Cars) oder irre Rail Dragster und Funny Cars auf der Geraden, solche Sachen. Das Saturday Night Cruising vom Juli 2020 zeigte uns Beispiele aus mehreren Genres dieser Geschichte.



Winziger Ponton der Nachkriegsjahre: Lloyd Alexander

Reden wir nicht drum herum, es ging im Kern immer um Tempo, Lärm und mehr Power, sachlicher ausgedrückt: High Performance. Es ging auch immer um ein Vergrößern der eigenen Silhouette; durch Glanz, durch Kraft, durch Sound, durch noble Distanz zum Geld oder durch die Simulation solcher Aspekte.

Dazu kommt das menschliche Bedürfnis nach Regelübertretung. Kaum ein Feld breiter gesellschaftlicher Aktivitäten verlockt auf breiter Basis so sehr zu Gesetzesbrüchen wie die Straßen. Moralisierung erzeugt Reaktanz. Niemand möchte belehrt und gemaßregelt werden. Also wird notfalls aus Trotz und gegen alle Vernunft eine Konvention verletzt.



Gran Turismo: das Abrißheck des Opel GT

Das gehört unlösbar zum massenhaften Privatbesitz von Kraftfahrzeugen. Wer das leugnet, ist ein Heuchler. Wer das ignoriert, wird den Ausstieg aus diesem Genre nur unnötig erschweren. Wir müssen mit dieser soziokulturellen Verkettung bewußt arbeiten.

Ich betone das, weil ich sicher bin, wir sind grade Teil eines kulturellen und technischen Showdowns. Die Generation meiner Enkel wird sehr wahrscheinlich solche Meetings nicht mehr erleben, wird keine solchen Autos haben. Was auch immer diese Kultur brechen wird, Ökologie, Budgets, gesetzliche Regelungen, das endet garantiert unmittelbar hinter uns.



GT auf Japanisch: Datsun 240 Z

Die allgemeine Erhöhung von Weltreichweite, diese Wege der Raumüberwindung, werden andere Medien und Vehikel finden. Saturday Night Cruising anno 2020 bedeutet gewissermaßen, hier treffen sich letzte Romantiker und sture Benzinbrüder. Es ist nicht einmal gar so sicher, ob für die alten Fahrzeuge in zehn, 15 Jahren noch Straßenzulassungen zu bekommen sind.

Gut, dann werden private Gelände zum Ziel solcher Veranstaltungen und vielleicht ein eigener Zweig des Frächtergewerbes entstehen. Nischen könnten neu belebt werden. Daher hier auch noch kurz zu den Pony Cars und Muscle Cars. Die haben geschichtlich ihre Wurzeln in erschwinglichen Flottenfahrzeugen. (Einst erschwinglich in den USA, bei uns exklusiv.) Das ergab an jenem Samstag einen interessanten Mix.



GT auf Deutsch: Ford Capri Mk I

Dabei einige Ford Capri verschiedener Jahrgänge, zum Glück auch ein Mk I (1968-73), wie man lange kaum einen zu sehen bekam. Aus der gleichen Ära ein Datsun 240 Z in der Version von 1969, das Design des Albrecht Graf von Goertz.



Lang-Stang: 1973er Schrägheck-Coupé

Dazu, wie bestellt, ein Opel GT, wie er 1968–1973 gebaut wurde. Das Design von Erhard Schnell zeigt ihn mit Abrißheck und „Kamm-Kante“, der Besonderheit von Aerodynamiker Wunibald Kamm. Manche nennen ihn „Baby-Corvette“, aber er paßt gut zum Datsun und ist stilistisch weit mehr mit Ferraris verwandt. Immerhin sind das die Gran Turismo-Formen, die nicht in Amerika erfunden wurden.



Stang in den 1960ern: moderater GTA Convertible vor einem Fastback

Zum Thema Pony Car (short deck, long nose): unter den Amerikanern samstags etwa der schöne Fastback mit der geschwungenen Kofferraum-Kante von 1967 neben einigen anderen Varianten. Eher selten zu sehen: ein 1973er Fullsizer im Baumuster von 1971. (Fünf Meter Länge, da muß man bei uns schon sehr konzentriert bleiben.) Kein Fastback, sondern ein Schrägheck-Coupé mit interessanter C-Säulen-Partie. [Fortsetzung]

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