Ich hab im vorigen
Eintrag ein Haus in der Gartengasse gezeigt, das zu Beginn des 20. Jahrhunderts einen
stattlichen Stand der Dinge repräsentiert hat. Schlendert man von diesen
"Randzonen" des alten Zentrums in die Stadtmitte, wird ein Kategoriensprung
offensichtlich.
Häuser wie dieses, das Kaufhaus Mörath, sind augenscheinlich eine
Nummer größer als das oben erwähnte. Links davon Elektro Kurtz, rechts davon die
Bäckerei Waitzl, das Grundmuster wiederholt sich dort noch weitere Male zwischen Franz
Bloder-Gasse und Florianiplatz. Hinter diesen Häusern reich(t)en zugehörige Grundstücke
(wie riesige Badetücher) bis hinauf in den Kessel.
Das reflektiert, was Kaser und Stocker [Quellen] als "oststeirische Längsdörfer" beschrieben und
als typisch bezeichnet haben: "Eng zusammengebaute Mehrseithöfe beidseitig entlang
eines Weges oder einer Straße bilden oft imposante Häuserzeilen."
Dieses Konzept ist in der Oststeiermark wiederum wie ein
"Echo" der dritten wichtigen Flurform (neben "Einödblockflur" und
"Weiler- oder Blockgemengeflur"), nämlich der "Gewannflur".
Viele Dorfgebiete waren einst in "Gewanne" oder
"Riede" aufgeteilt, die ihrerseits aus Ackerstreifen mit einer Breite zwischen
fünf und zwanzig Metern bestanden: "Jeder Bauer erhielt in jedem Gewann einen
solchen Streifen". Kaser und Stocker schreiben, diese Flurform sei ein Hinweis auf
die deutsche Landnahme im 12. und 13. Jahrhundert.
Warum ich hier auf diese historischen Aspekte eingehe? Weil das
beiträgt, so manche Eigenheit in der gegenwärtigen Stadtentwicklung zu verstehen. Denn
es scheint so zu sein, daß "Mentalitätsgeschichte" von Kräften handelt, die
heute noch erkennbare Wirkungen haben, wo bestimmte Lebensbedingungen längst der
Vergangenheit angehören.
In einem Gespräch mit dem Landtagsabgeordneten Franz Majcen bin ich
auf diese "historische Hintergrundfolie" stark hingewiesen worden. Majcen
betonte die Funktion der "Wehrbauern", denen man "so viel Grund gegeben
hat, daß sie davon leben können und ihren Besitz um jeden Preis verteidigen
würden." Das bezieht sich ebenfalls auf die Zeiten der deutschen Landnahme, später
auf die Nähe zur "Militärgrenze" zwischen dem Habsburger Imperium und dem
Reich der Osmanen, wofür die Zuständigkeit ja beim steirischen Landeshauptmann lag.
Dieses "Zersiedelte" mit den großen Wegnetzen wurzelt
durchaus in solchen Zusammenhängen. Majcen verweist auch auf die Topographie. Nur Hügel,
daher keine tiefen Täler, keine Notwendigkeit für große Brücken etc. Die große
"Hoferschließung" erfolgte dann aber erst nach dem Zweiten Weltkrieg; was
meint, daß Wasser, Strom und Telefon erst da über neue Infrastrukturen zu den
Häuern/Höfen gebracht wurden.
Man könne diesen Stand der Dinge ja nicht revidieren, sagt Majcen, nur
prozeßhaft abmildern. "Du hast auch Probleme mit dem öffentlichen Verkehr, weil du
in der Region keine Siedlungsdichte zusammenbringst."
Zu solchen Aspekten sagte mir Hofrat Josef Marko, einst Protokollchef
von Landeshauptmann Krainer, zuletzt Leiter der Kulturabteilung des Landes, dieser Tage:
"Warten wir, bis der nächste richtige Winter kommt. Dann werden wir sehen, ob die
Kommunen das bewältigen." Womit er meinte, es müßten ernsthafte Zweifel bestehen,
daß solche Anforderungen selbstverständlich bewältigt würden.
Schneeräumung, Straßenerhaltung, Energieversorgung; der Sturm
"Paula" hat unlängst erst deutlich gemacht, was die Menschen bewegt, wenn man
etwa einige Tage ohne Elektizität ist. Für die Region besteht also mit ihren gegebenen
Sidlungs- und Wohnformen einiger Anlaß, die nahe Zukunft und die ferneren Aufgaben zu
erörtern.
Dabei spielen auch demographische Entwicklung eine Rolle. In der "Kleinen Zeitung" stand eben
wieder zu lesen, daß Geburtenrückgänge zu denken geben. In Eintrag #8 hab ich Meldungen zitiert, wonach Österreich bald mehr
"Über-65-Jährige" als "Unter-20- Jährige" haben wird. Das macht
mehr als deutlich: Leute wir ich sind demnächst die alten Menschen, denen im
"Ruhestand" eigentlich zu wenige erwerbstätige junge Menschen gegenüber
stehen. Wer in diesem Zusammenhang die Frage "Wie soll man wohnen?" weitgehend
igoniert, geht vermutlich auf böse Überraschungen zu.
Apropos mentalitäts- und Sozialgeschichte. Beim Aufarbeiten meiner Interviews merke
ich, daß zuweilen sehr offen gesprochen wird, woraus sich Ansichten und Einsichten
ergeben, die man in den öffentlichen Diskurse kaum findet. Ich fasse zusammen: Wir
sollten eventuell über antiquierte Formen gängiger Eigentumsbegriffe diskutieren, bzw.
genauer betrachten, was sich daraus ableitet.
Der Gleisdorfer Architekt und Unternehmer Winfried Lechner legt zum Beispiel dar, wie die effinziente
Bearbeitung von Stadtentwicklungsproblemen seines Erachtens oft an den Haltungen
Alteingesessener scheitern kann. Lechner formuliert da einen Zusammenhang zwischen Bürgertum, Innenstadt und Kleinkariertheit.
Er meint, laut "Regioplan" würden österreichweit ca. 2.000
Standorte gesucht, wofür Investoren auch erheblich geld bereitstellen würden. Mindestens
50 Prozent der Flächen würden in Innenstädten gesucht. Aber genau da klemmt es.
(Lechner bezieht sich in der Interview-Passage, die hier als WMV-Datei verfügbar ist,
auf: "RegioPlan,
Standortberatung und Marktanalysen".)
[video-file:
wmv-format, ca. 10 mb]
Cut!
Roman Polanski als "Der Mieter" in seinem Film von 1976. Paris. Dort ist, so höre
ich, auch heute noch ganz normal, was man sich bei uns wohl eher nicht vorstellen kann;
daß man nämlich im öffentlichen Raum nicht bloß fest verschraubte Bänke hat, sondern
frei bewegbare Sessel, durch die sich Ruhende die Ensembles des Zusammensitzens ganz nach
Belieben arrangieren können.
Ein Motiv das übrigens mit einer Situation korrespondiert, die auf dem
Balkan "Divan" heißt. "Idem na divan" bedeutet: "Ich geh nach
Divan", was besagt, daß man seinen Sessel oder Hocker nimmt und sich mit anderen
beim üblichen Treffpunkt im öffentlichen Raum zusammensetzt. (Siehe dazu einen Beitrag für "next code:
divan"!)