Log #708: Tesserakt Am Mittwoch hatte ich mit Altmeister Jimmy Cogan im Café Eva
gesessen, um mit ihm einige Überlegungen anzustellen. Am Freitag traf ich dort den
Künstler Michael Maier. Dieses Café, in einen Baumarkt implementiert, ist mein
westliches Konferenzzentrum. Im Süden der Stadt ist es ein Drive in-Café. Beide
liegen nahe einem Autobahnzubringer und sind reichlich mit Parkplätzen umgeben.
Unkompliziert gelagerte Anlaufstellen, wenn jemand von außen kommt und wir kurz Zeit
miteinander verbringen.
Wenn ich mich heute den Schnittstellen zwischen Volkskultur,
Popkultur und Gegenwartskunst widme, dann mit einer Innenansicht dieser
Zusammenhänge, nicht als Zeitzeuge, sondern als Akteur. Das Foto oben
zeigt Cogan und mich Ende der 1970er, die Notiz dazu: [link] Da heißt es an einer Stelle: "Der Blues blieb uns in
Nischen. Jim ist genau zehn Jahre älter als ich, demnach 70. Mally wurde vor wenigen
Wochen 50, ich bin in Kürze 60. Diese Geschichte repräsentiert daher eine komplette
Ära." (Jimmy stand schon in der Hitparade, da war der Begriff Austropop noch nicht allgemein
gebräuchlch.)
Damit sind Aspekte der Popkultur berührt,
wozu ich im 2016er Jahr in "Auf der
Klippe" einiges zusammengefaßt hatte. Was die Volkskultur
angeht, bin ich augenblicklich mit zwei Schwerpunkten befaßt, mein Treffen mit Maier
bezog sich auf einen Arbeitsansatz zur Gegenwartskunst.
Seit Jahren beschäftigt mich das Thema Volkskultur in
der technischen Welt, wie sie Kulturwissenschafter Hermann Bausinger in einer
grundlegenden Arbeit von 1961 thematisiert hat. Das wird in meiner Gegend von einer
hochkarätigen Schrauber- und Sammlerszene gelebt.
Ich bin dazu heuer mit der sechsten Station von "Mythos Puch"
beschäftigt und habe in dieser Sache derzeit zwei spezielle Themenschwerpunkte im Fokus,
welche sozialgeschichtlich von der Volksmotorisierung Europas nach dem Zweiten Weltkrieg
handeln und dabei popkulturelle Züge zeigen:
+) Das Haflinger-Projekt
+) Die Moped-Saga
Die Bilderleiste mit den vier Motiven stammt aus meinem
2014er Projekt "The
Track: Pop" und verweist auf vier exponierte und prägende Kräfte des
kulturellen Geschehens im Europa des 20. Jahrhunderts. Von links: Kasimir Malewitsch, Paul
Jaray, Robert Buckminster Fuller und Andy Warhol.
Während der Stunden vor dem Treffen mit Maier war in der
Lektüre eines Essays sehr bewegt. Stefan Ripplinger hat mit "Vergebliche
Kunst" eine Markierung gesetzt, von der ich in einigen Zusammenhängen zu einer
nächsten Position ausgehen kann. Eine beunruhigend geistreiche Arbeit und präzise
Analyse, die für meinen Geschmack komplementär zu Robert Pfallers "Ästhetik
der Interpassivität" paßt.
Ripplinger erwähnt an einer Stelle seines Textes den
Kurzfilm "LA PLUIE. projet pour un texte" (Der Regen) des Belgiers
Marcel Broodtahers aus dem Jahr 1969; hier auf Youtube: [link] Das Schreiben
eines Textes, während der Regen die Tinte wegschwemmt.
Ich war verblüfft, wie präzise diese Arbeit meine
Vorstellung von Kunstpraxis abbildet. Und ich dachte sofort an das fulminante Werk von
Regisseur Akira Kurosawa, in dem der Regen oft eine der Hauptrollen zu haben scheint.
Nun also Michael Maier (auf dem Foto unten). Ich mache mich
mit seiner expressiven Arbeit gerade erst vertraut. Es kommt mir sehr entgegen, daß er
ein deutliches Interesse an Frühgeschichte hat. Unser einigermaßen solide
begründeten Annahmen über jene Zeiten, ergänzt um Spekulationen, die sich durch
mangelnde Quellenlagen nahelegen, helfen ja beim Nachdenken über Optionen der
Kunstpraxis.
Was das bedeutet? Das möchte ich eben aktuell und
gemeinsam mit einigen inspirierten Menschen klären, wie diese Dinge ja stets neu geklärt
werden müssen. Dazu lieferte mir Kuratorin Mirjana Peitler-Selakov gerade einen wichtigen
Denkstoß, wo sie sich mit ihrem neuen Vorhaben auf den englischen Soziologen John Law
bezieht, von dem sie das Bild "Geteilte Inkompetenzen" herleitet.
Man kommt ja allein schon über so eine Passage reichlich
ins Grübeln: "We are in the business of creating links, of making them, of
bringing them more or less successfully into being. Which means in turn that we are no
longer trying to find good ways of narrating and describing something that was already
there." [Quelle]
Aber zurück zu Maier. Die frühgeschichtlichen
Entwicklungen wurden im vergangenen Jahr mit neuen Zeitmarken versehen. Waren bisher die
ältesten uns bekannten Artefakte, denen wir einen Ausdruck symbolischen Denkens zuschreiben,
mit über 60.000 Jahren datiert, so liegen neue Funde bei einer Datierung von über 70.000
Jahren.
Ich deute das so: Die Evolution hat uns sehr viel Zeit
gegeben, diese Kompetenzen zu verfeinern und zu vertiefen, während sie jeder Spezies
überflüssige Eigenschaften austreibt oder gleich die ganze Spezies abschafft. Ich sehe
darin ein sehr starkes Argument gegen die populären Auffassungen und allerhand
Geschwätz, daß die Kunst etwas Unnötiges sei.
Also werde ich mit Maier erkunden, was uns möglich wäre,
um im geistigen Leben unserer Region einen relevanten Akzent zu setzen. Das hat derzeit
den Arbeitstitel "DEN KULT WAGEN". Dazu die Anmerkung, daß etwa
Baukunst (Architektur) historisch nicht in der Wohnraumbeschaffung wurzelt, sondern in
Kultbauten. Wagen für kultische Zwecke waren seit dem vierten und dritten vorchristlichen
Jahrtausend bekannt...
-- [Tesserakt] --
core | reset | home
12•19 |