Log #700: Kunstsymposion Nun also Blatt Nummer 700 dieses Projekt-Logbuchs. Das klingt nach
einem runden Moment. Ich hab im letzten Quartal des Jahres 2005 begonnen, das Logbuch zu
führen: [link]
Damals schien klar, daß mir vieles im laufenden Betrieb viel zu vertraut ist, als daß es
so bleiben könnte. (Eingefahrene Spuren laden zum Verlassen ein!)
Der Flying Circus gastiert
in Albersdorf-Prebuch
Wenn aber etwas Kommendes noch ganz unklar erscheint, wo
man bloß spürt, daß sich etwas bewegt, ohne sehen zu können, was genau das sei,
können solche Notizen sehr nützlich werden. Sie machen wenigstens im Rückblick besser
erkennbar, welche Arten von Veränderungen sich abgezeichnet haben, was begonnen hat, sich
zu bewegen. Nun ist da wieder so eine Unruhe!
Ich hab im vorigen
Eintrag schon ein paar Notizen zum Auftakt unseres heurigen Kunstsymposions
angebracht. Es gab in der ausführlichen Debatte jenes Abends eine Stelle, wo ich fragen
mußte: Ist denn nun meine Vorstellung von relevanter Kulturarbeit inzwischen kaum
mehr als eine Art Seniorenanimation?
Selbstverständlich müssen wir uns den Fragen stellen, was
von unserer Arbeit welchen Zwecken dient und wo das ganz konkret im Gemeinwesen ansetzen
möge. Wenn wir darüber keine Klarheiten zulassen, gibt es auch keinerlei Schutz gegen
oberflächliche Verwertung der Kulturgüter zu ganz anderen Zwecken. Dies ist eine Zeit,
in der wir deutlicher denn je erleben, daß sich weder manches Personal der Politik noch
der Wirtschaft scheut, Kulturgüter oder auch nur Kulturbegriffe auf eine ganz
oberflächliche Art zu bewirtschaften, um daraus ein paar flott hergeleitet Wow-Effekte zu
generieren.
Von links: Bürgermeister Werner
Höfler, Peter Moser
und Robert Schmierdorfer
Das ist eine merkwürdige Art der Raubzüge. Umso
erstaunlicher, daß wir nun ausgerechnet mit den Bürgermeistern dreier Dörfer eine
kulturpolitische Debatte führen konnten, wie ich sie bisher noch kaum erlebt habe. Oder
aber: genau das ist naheliegend. In den Dörfern sind Posen und Attitüden sinnlos. Da
muß man die anstehenden Probleme sehr konkret und zügig abarbeiten, damit sie sich nicht
zu einer unbewältigbaren Halde auftürmen.
Das ist eine sehr gute Grundlage auch für kulturpolitische
Erörterungen. Wie schon angedeutet, darin ist die Kunst nur ein Teilbereich, den wir
leicht faßbar bekommen. Die Kunst gibt sich selbst ihre Regeln und Aufträge. Sie ist
keine Strategie "um zu...", sondern nur sich selbst verpflichtet. Eine
andere Frage ergibt sich aus den Artbeitsbedingungen der Kunstschaffenden. Aber ist das
wirklich so unklar?
Hat nicht auch Gesundheit keinen anderen Zweck als sich
selbst? Wie ist es mit Sicherheit, wie mit Bildung? Sind sie nicht alle in sich selbst
begründet und bedürfen der Übereinkunft, daß eine Gesellschaft in diese Bereiche
investieren muß, wonei wir uns davon feilich so etwas wie Umwegrentabilität
erwarten?
Die Künstler Winfried Lehmann
(inks) und Franz Sattler
Wissen wir nicht ohnehin, daß uns versteckte Intentionen
und allerhand drängende Verwertungswünsche die wesentlichen Angelegenheiten eines Lebens
leicht verwässern, die Blicke trüben? Also noch einmal: Die Kunst braucht keine weitere
Begründung als sich selbst. Aber Kunstschsffende brauchen Arbeits- und Lebensbedingungen,
die ihre Kunstpraxis ermöglichen.
Das kann man ohne weiteres so zusammenfassen: Künstler zu sein muß man sich leisten
können. Wenn aber erst einmal klar ist, daß ein Gemeinwesen ohne nennenswertes geistiges
Leben recht flott in den Graben fährt, heute mehr denn je, da wir längst zu einer "Wissensgesellschaft"
geworden sind, haben wir Kunst- und Kulturschaffende eigentlich eine ganz gute
Verhandlungsposition.
Anders ausgedrückt: Ist Euch eigentlich hinreichend klar, dank welcher Metiers und mit
welchen Kompetenzen heute Zukunftsfähigkeit erarbeitet werden kann? Wo läßt
eine Gesellschaft denken und wer leistet die dazu nötigen Arbeiten jenseits der
ermüdenden Alltagsgeschäfte?
Wer dabei dem Kulturbereich formell eine angemessene Position zubilligt, es dann aber
bloß bei Promo und Public Relations beläßt, wird keine Impulse von
Relevanz zustande bringen. Es bleibt natürlich allemal die Option, gut eingeführte Arten
des Kulturbetriebs zu bevorzugen und das mit Budgets auszustatten, auf bewährte Arten
abzuwickeln. Kein Einwand!
Pessi zwischen den Displays
von "Dorf 4.0" [link]
Dann wäre aber auch noch interessant zu erkunden, wie und womit wir uns
auf den nächsten Horizont zubewegen sollten, hinter dem Bedingungen auftauchen werden,
die uns heute noch nicht klar sind.
Ich hielte es für Unfug, einem Künstler "visionäre"
Aufgaben zuzuschreiben, abzuverlangen. Künstler suchen sich Fragen und Aufgaben, die sie
mit ihren bevorzugten künstlerischen Mitteln bearbeiten. Punkt!
Daß jemand dabei mit Sensibilität und Kompetenz allerhand erfahrbar
machen kann, was sich anderen Menschen in ihrem Alltagsgetriebe eventuell nicht
erschließt, ist naheliegend und banal.
Es ist übrigens eine der ältesten Professionen, die wir kennen. Wir
wissen durch Artefakten von Jägern, von Sammlern und von Künstlern, die es schon gab, da
wußten wir noch lange nichts von Ackerbauern. Erst ab dem Neolothikum, mit dem
aufkommenden Ackerbau und mit der Seßhaftwerdung vieler Menschen, begann die Geschichte
dessen, was wir heute leben.
Was immer in dieser Geschichte menschlicher Gemeinschaft an
Notwendigkeiten erkannt und Berufen entwickelt wurden, für die meisten davon gilt: die
Künstler waren schon vorher da und haben sich bis heute erhalten. Da rede ich
von derzeit gut belegten 73.000 Jahren und es wäre mir wahrlich zu dumm, überhaupt zu
antworten, falls mir jemand die törichte Fragen stellen wollte: "Kunst? Wozu
brauchen wir das?"
-- [Dokumentation] --
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