Log #699: Kunstsymposion So hatte ich es mir erhofft: Die Ausstellung bietet Anlässe,
miteinander ins Gespräch zu kommen. Gut, das ist ein billiger Wunsch. Was sonst sollte
sich bei Vernissagen ereignen, wenn man vom Weintrinken absieht? Nein, es ist etwas
weitaus Überraschenderes passiert.
Der Sitzungssaal im Gemeindeamt von
Albersdorf
Es entfaltete sich eine tief gehende kultur-
und gesellschaftspolitische Debatte, die fast bis Mitternacht lief. Debatte nicht im Sinn
mehrerer Lager, aus denen man sich gegenseitig die Vorrangigkeit der eigenen Position
zuruft. Statt dessen ein Fragen und Antworten zum Status quo, um voneinander etwas zu
erfahren.
Was mag uns an den Veränderungen der
Arbeitswelt auffallen und wohin führt das? Aus welcher Vorgeschichte leitet sich dieser
Stand der Dinge in der Region ab? Immerhin dürfen wir, so bestätigten es die drei
Bürgermeister am Tisch, hier von Vollbeschäftigung reden. Und das in einem Teil des
Landes, der lange Zeit als ein ausgesprochenes Armenhaus der Monarchie galt. Wie gehen die
Jungen mit all dem um und was ist denen wichtig?
Zu meiner weiteren Überraschung entstand von
dieser Gegenwart ein Bild, das sehr viel positiver ist als die derzeit medial vermittelte
Stimmung, wie sie uns nun schon einige Zeit umgibt, annehmen ließe. Knapp gefaßt: Es
gibt gut benennbare Probleme, die uns keine Rätsel aufgeben, sondern sich klar mitteilen
und sehr gut bearbeitbar erscheinen. Wir müssen das bloß machen, also diese Probleme
bearbeiten. (Hinter dem nächsten Horizont tun sich freilich gewiß einige Dinge auf, die
mir nicht geheuer sind.)
Maler Nikolaus Pessler (links) und
Bürgermeister Robert Schmierdorfer
Bei solchen Erörterungen war es praktisch,
etwa drei aktive Bürgermeister zu manchen Aspekten direkt befragen zu können, zu
Angelegenheiten, die das Gemeinwesen gegenwärtig bestimmen. Oder etwa Bürgermeister
Höfler und seine Frau, die mit der agrarischen Welt gut vertraut sind. Das ist hier nach
wie vor ein sehr wichtiger Sektor und Teil der Lebenswelten. Oder Publizist Herbert Kampl,
der einerseits mit der Medienentwicklung seit Jahrzehnten praktisch vertraut ist,
andererseits die wirtschaftlichen Situation der Oststeiermark gut kennt. Oder Petra Lex
vom Flying Circus, die aus der Sozialarbeit kommt.
Einen grundlegenden Denkanstoß gab
Wissenschafter Hermann Maurer, der von Tasgebuchaufzeichnungen seines Großvaters
erzählte, wonach dieser gut das Doppelte dessen an Jahresarbeitszeit absolviert hat, was
heute üblich sei.
Das verweist auf ein spezielles Detail unserer
Sozialgeschichte. Unregulierte Freizeit, die wir ganz nach eigenem Geschmack nutzen
dürfen, rechtlich verbriefter Urlaub und finanziell gesicherter Krankenstand, das sind
ganz junge soziale Phänomene. Und das in einer Arbeitswelt, die längst nicht mehr dem
gleicht, was Fotograf Franz Sattler etwa von der Elin-Sradt Weiz erzählte. Man ging als
junger Mensch bei der Elin in die Lehre, man verließ den Betrieb in die Pension.
Dazwischen war man Teil des sozialen Lebens der Fabrik, auch Teil des Vereinswesen, das
mit der Firma verknüpft war, wie überhaupt die ganze Stadt von der Elin geprägt wurde.
(Das ist eine versunkene Welt.)
Fotograf Franz Sattler (links) und
Publizist Herbert Kampl
Zwischendurch Abschnitte, wo etwa
Bürgermeister Peter Moser konkret nachfragt, was denn die Aufgabe der Politik gegenüber
der Kunst sei, respektive ob es Aufgabe der Politik sei, Rahmenbedingungen für die Kunst
zu schaffen.
Das verlangt freilich, erst einmal zu klären,
was denn heute nötige und wünschenswerte Bedingungen der Kunst seien, um dann verhandeln
zu können, was davon zu den Agenda der Politik zählen sollten. Ich bin davon überzeugt,
daß wir in dem Zusammenhang gut unterscheiden sollten, was denn a) die Kunstproduktion
betreffe und b) die Wissens- und Kulturarbeit.
Kampl versteht den Bereich b) als einen Teil
der Wissenschaftswelt, beziehungsweise sieht er darin wissenschaftliche Vorgangsweisen.
Mich interessiert daran besonders der Teil, dem ich einen volkskulturellen Charakter
zuschreibe. Das ist sicher näher an dem, was Lex als Sozialarbeit und Gemeinwesenarbeit
versteht.
Dagegen muß nach meiner Ansicht der Bereich
a) in völliger Autonomie gesichert sein. Die Kunstpraxis hat im Zentrum ihres Ereignisses
keine anderen Aufgaben, als sich selbst zu ereignen. Ich will das in Analogie zur
Grundlagenforschung verstanden wissen, die aus guten Gründen von den angewandten Formen
unterschieden wird.
Von links: Wissenschafter Hermann
Maurer, Künstler Nikolaus Pessler,
Kulturarbeiterin Petra Lex und Bürgermeister Robert Schmierdorfer
Moser setzt da ganz pragmatisch mit der Frage
nach dem Broterwerb nach. Das berührt ein großes Tabuthema meines Metiers. Österreich
hat keinen Kunstmarkt, der es einer großen Zahl Kunstschaffender ermöglichen würde, aus
rein künstlerischer Arbeit ein angemessenes Jahreseinkommen zu erwirtschaften.
Moser fragt konsequent, ob es nun Aufgabe der
Politik sei, das zu ermöglichen. Der Staat als vorrangiger Auftraggeber der Kunst? Keine
gute Idee! Folgerichtig betont Kampl das Wesen der Auftragsarbeiten, wovon die
Kunstgeschichte ganz wesentlich bestimmt ist. Grob gesagt und etwas polemisch verkürzt:
Bis zur Renaissance entstanden Kunstwerke in Europa ganz wesentlich im Auftrag einer
höheren, also himmlischen Instanz, danach machten sich die Fürsten und Kleriker
vorzugsweise selbst zu Auftraggebern der Kunst und die Künstler verstanden es gut, mit
ihnen dafür ins Geschäft zu kommen.
Wir haben einigen Klärungsbedarf, was all das
an Bedingungen verlangt, die einer Republik gut stehen, einer Demokratie würdig sind, wo
die Annahme gedeihen kann, daß eine ganze Bevölkerung am öffentlichen sozialen,
kulturellen und politischen Leben teilnehmen möge... [Fortsetzung]
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