Log #646: Objet trouvé Ich hab nun auf dem Weg zum 2018er Kunstsymposion
zwei Werkvarianten notiert, die gegensätzliche Positionen zeigen. "Ein Kunstwerk, das sich
selbst betrachtet" und dem gegenüber "Das Kunstwerk, das nichts
von sich weiß".
Das eine ist zu seiner Vollendung nicht auf
den Betrachter angewiesen, kommt aus sich heraus zu seiner Vollständigkeit. Damit hat es
etwas von Schrödingers Katze, läßt sich auch kaum beweisen. Das andere
existiert nur durch die Betrachtung, entsteht in der Vorstellungswelt der betrachtenden
Personen.
Was wir als Objet trouvé kennen,
wurde für gewöhnlich von jemandem gefunden, aufgegriffen, aus dem alten Kontext
herausgenommen und in einen neuen gestellt. Das ist ein Akt der Umdeutung. Das Objekt wird
verschoben, seine Bedeutung ebenso. Es ist, was Boris Groys in "Über das
Neue" als Valorisierung beschrieben hat.
Eines der bekanntesten Beispiele für dieses
Verfahren ist das Urinal, welches Marcel Duchamp 1917 zu "Fountain"
umgedeutet und mit R.Mutt signiert hat. Rechts
eine Referenz an Duchamp: " I am realizing now (a quarter century too late) that we
missed an opportunity by not including Marcel Duchamp's "readymade" in the IU
Art Museum (entitled "Fountain") in the production of Indiana Urinalysis."
Ein Statement von Bart Everson (Creative Commons)
Dazu eine Fußnote: "A white gentlemen's urinal
has been named the most influential modern art work of all time." hieß es bei BBC
News 2014 mit Berufung auf rund 500 Kunstexperten. [Quelle] |
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Die ersten drei Plätze:
Duchamps' "Fountain" (1917), Picassos "Les Demoiselles
d'Avignon" (1907) und Andy Warhols' "Marilyn Diptych" (1962).
Aber Duchamps "Fountain". Ein Werk, das nichts von sich weiß. So
läßt sich eine Aufwertung von Objekten umsetzen, auf daß sie archivwürdig
werden. Groys: "Jedes profane Phänomen wird nur dann aufgewertet, wenn es ins
kulturelle Gedächtnis nach dessen eigenen Regeln eingeliedert werden kann."
Groys hat übrigens das Nachdenken darüber
als explizite Kulturleistung einbezogen. Genauer: "Aber auch eine Interpretation
ist eine kulturelle Leistung, und sie wird in Form eines Textes archiviert."
Durch die Interpretation würde laut Groys zwar nichts Neues entdeckt, von dem man davor
nichts gewußt habe, aber es werde "der Wert dessen verändert, auf das sich die
Interpretation bezieht".
Das beschäftigt mich unter anderem, weil ich
in den letzten vielleicht 20 Jahren deutlich erfahren durfte, daß selbst in gebildeten
Kreisen immer öfter merkwürdige Hierarchien auftauchen, wonach Alltagsbewältigung
gegen, wahlweise über Kulturleistungen gestellt wird. Um es in
polemischer Verkürzung zu verdeutlichen: Neuerdings werden wieder die sauber geputzte
Wohnung oder das gepflegte Auto deutlich über das Gewicht eines vorzüglichen Gedichtes
oder eines erhellenden Essays gestellt.
Objet trouvé
Es ist fast so, als würde die Boheme
aus dem Sarg gerissen, um mit vereinten Kräften bürgerlicher Tugenden geräuschvoll
beerdigt zu werden. Ich denke, es läßt sich ohne Rätselraten ergründen, wie das kam.
Die Umbrüche, wie wir sie längst alle in unseren Fundamenten spüren, lassen sich nicht
mehr ignorieren und schieben uns unaufhaltsam über vertraute Klarheiten hinaus. Wo so
vieles neu erkundet, neu geklärt werden muß, alte Klarheiten keine Sicherheit mehr
bieten, überrascht mich nicht, wer und was alles derzeit Retro-Kurse in Kauf nimmt.
Wo sich jemand in der aktuellen Umbruchsituation
für Diskurse nicht gerüstet sieht, wird die eigene Handlungsfähigkeit notfalls mit
Polemiken und Gezänk simuliert, auf daß bloß kein Eindruck von Untätigkeit entstehe.
Ein simples Beispiel: Da bekam ich dieser Tage via Social Media kleine
Fotogalerien angedient, die mir neue Regierungsmitglieder zeigen. Dazu die Frage, ob ich
erkennen könne, wer hier Matura habe. Ich verstehe die Botschaft: Keiner davon hat eine
Matura, was ausnahmsweise wenig freundlich gemeint ist. Gezänk!
Ich hab sie übrigens auch nicht. Also was? Es
würde mich freuen, könne ich erkennen, daß sich wieder ein Trend zur breiteren
Wertschätzung von Kulturleistungen wie Interpretation, Reflexion, das Ziehen
interessanter Schlüsse einstellen könnte; und zwar nicht, indem man anderen Personen
einen Mangel an Denkvermögen nachzuweisen versucht (Selbstdefinition durch
Feindmarkierung), sondern indem man selbst durch originelles Denken auffällt.
Solche Kulturleistungen, etwa durch
originelles Denken aufzufallen, sind im Kunstbereich unverzichtbar, wo uns nicht
Dekorationsware als Kunstwerk angedient wird, sondern ein etwas anspruchsvolleres
geistiges Leben die nötigen Anlässe und Bedingungen erhält. Ich denke, darin lägen
auch günstige Beiträge zur Stärkung jener Demokratie, die wir derzeit treffend als
angefochten, durchaus bedroht sehen.
Währen Menschen plaudern, zeichnet
Niki Passaths Maschine
Aber zurück zum 2018er Kunstsymposion.
Wo es um die Kunst selbst geht, sind für mich keine sozialen Aufgaben draufzupacken. Die
Werke haben ihre eigenen Regelsysteme und gehören nicht zum Werkzeugkasten
soziokultureller Reparaturwerkstätten, in denen unsere Gesellschaft ihre Devianten, ihre
Beschleunigungsopfer und auch die Widerspenstigen abliefern möchte. Künstlerische Praxis
hat -- als Kulturleistung -- ihre Aufgabe schon erfüllt indem sie sich ereignete.
Das wird leider in der regionalen
Kulturpolitik nicht ohne weiteres verstanden. Der kulturelle Erfolg, wie er sich etwa in
Publikumszahlen angeblich zeigt, ist kaum ein Kriterium für Kulturleistungen und
keinesfalls ein Kriterium für künstlerische Relevanz, es ist vor allem ein Erfolg von
(Kultur-) Management. Daran wäre nichts auszusetzen, aber die Etiketten sollten korrekt
beschriftet sein, damit wir wissen, worüber wir reden.
Da ich also alle Jahren mit der Ausrichtung
eines Kunstsymposions befaßt bin, muß das im Kern der Veranstaltungsreihen auch
entsprechend der Kunst gewidmet sein, ohne dabei anderen Anliegen den Vorrang zu geben.
Derzeit befinden wir uns in einer Anbahnungsphase.
Für "Hauslos"
hab ich eine kleine Serie aufgemacht, wo dieses Entnehmen der Fundstücke aus ihrem
Ursprungs-Kontext entfällt. Es sind Werke, die nichts von sich wissen, die nicht als
Kunstwerke intendiert waren und die in ihrem ursprünglichen Zusammenhang verbleiben. Das
heißt, hier ist der Großteil fälliger Leistung an den Betrachter delegiert. Es ist eine
Empfehlung, ästhetische Erfahrungen zu suchen; im ursprünglichen Sinn des Wortes: Wahrnehmungserfahrungen.
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