13. Jänner 2018

Ich hatte mir nun vorgenommen, die Maschinenprosa dieser Tage enger an das Thema Kunst heranzuführen. Da steht noch diese Pfaller'sche Idee im Raum, ein Kunstwerk könne sich selbst betrachten und seine Vollendung möge in solchem Zusammenhang nicht an den Betrachter delegiert werden.

log2462a.jpg (13757 Byte)

Bevor Sie das lächelnd als Unfug abtun, lassen Sie sich daran erinnern, daß wir in der Sache selbstverständlich das Reich der Transzendenz betreten haben. Anders wäre über Kunst gar nicht zu reden. Natürlich sind das quasi Glaubensgegenstände, viel faßbarer ist die Kunst gar nicht.

Und ersparen Sie mir bitte bloß so ein "Ha! Wußte ich es doch!" Wer sich auf Realitäten der simplen Art angewiesen fühlt, sollte den nächsten Baumarkt besuchen, um ein überreiches Angebot von nützlichen Dingen zu finden, die von (fast) allen Menschen verstanden werden. (Die Dübel für Gipsplatten sind allerdings wirklich sophisticated.)

Ich fand bei Robert Pfaller den fast schon ärgerlichen Satz: "Denn eine falsche Theorie der eigenen Praxis führt zur Deformation dieser Praxis." Das trifft natürlich auf Sie genauso zu wie auch ,ich, also Vorsicht mit den schnellen Statements! Pfaller ätzt natürlich, wenn er notiert, da sei eine "in der Gegenwartskunst verbreitere Vorstellung, dass der ästhetische Genuss der Betrachter am besten durch Möglichkeiten des Mitmachen gewährleistet werden könne."

Das riecht nach genau diesem in seinem Selbstbewußtsein wankenden Bildungsbürgertum, dem wir seit dem 18. Jahrhundert unsere heute immer noch dominante Vorstellung von Volkskultur und Volkskunde verdanken, da man sich damals, im Schatten des Besitzbürgertums geduckt, "Das Volk" als Mündel erwählt hat, um sich jemandem überlegen zu fühlen, einem Teil der Bevölkerung, der belehrt und erzogen werden sollte.

log2462b.jpg (12187 Byte)

So wird bis heute Volkskultur a la Geramb zelebriert, als hätte es Hermann Bausinger oder Dieter Kramer nie gegeben. Die Entwicklung zeigt interessante Aspekte. Hier in der Provinz haben wir sogar den Partizipationsgedanken abgewandelt. Er löst sich hauptsächlich in der Teilnahme eines Publikums an Vernissagen ein, eine Teilgabe an den Kunstwerken erübrigt sich dabei. Das heißt, eine gut besuchte Vernissage gilt als kultureller Erfolg und darf zugleich als ein relevanter Ausdruck von Partizipation gesehen werden.

Dabei muß man klarerweise die Zugangsschwellen moderat gestalten. Was muß man noch? Gutes Geld in Infrastruktur, PR-Arbeit und vor allem das Buffet stecken. (Siehe dazu: "Der Hunger nach Kultur"!) Ein Beispiel: Der wichtigste und geeignetste Ausstellungsraum in der Kleinregion Gleisdorf ist das MIR: Museum im Rathaus. Es wäre eigentlich auch der Ort, um gelegentlich die äußerst interessanten Archivalien und Artefakte aus dem Depot zu zeigen. (Immerhin verfügt die Kulturabteilung der Stadt über zwei Angestellte mit abgeschlossenem Kunstgeschichtestudium.)

Zur Illustration, was es bedeutet, Zugangsschwellen moderat zu gestalten, eine kleine Rückschau auf die letzten Veranstaltungstitel. Das mag verdeutlichen, daß dieses Veranstaltungskonzept auf Geselligkeit ausgelegt ist, auf die Partizipation an Vernissagen:
• 12.1.2017: UnVerbesserlich
• 9.2.2017: Morgenlandfahrt
• 9.3.2017: Art & Fashion: Bilder und Strickmodelle
• 6.4.2017: EASTSTYRIAN ROADSIDE ATTRACTIONS
• 4.5.2017: Mein Ausdruck ist dein Eindruck: Alles Schwingung
• 8.6.2017: Wirbelsturm und Sternenstaub: Expedition Identität
• 7.9.2017: Im Garten der Fau Minne
• 5.10.2017: Zarte Seiten – Schmucke Saiten
• 9.11.2017: BLAUGRUEN
• 7.12.2017: verWEILE, farben WARTEN auf DICH

Wäre in so einem Setting die Pfaller'sche Option nicht ungeheuer provozierend? Ein Kunstwerk, das sich selbst betrachtet und für sein Dasein keines Betrachters bedarf, der es durch seine Rezeption vollendet. Was bliebe da für Politik und Verwaltung zu tun? Wie und wofür bekäme man dabei sein Konterfei in die regionalen Blätter?

So ein Modus gliche dem Verwahren der Archivalien und Artefakten, die seit Jahren ungesehen und unrezipiert unter dem Gleisdorfer Servicecenter gelagert sind. Aber da hilft im Kulturpolitischen nichts, es muß den Menschen völlig frei stehen, ob sie bloß die Partizipation an Vernissagen suchen oder auch die Partizipation an einem geistigen Leben, das erst gewichtige Wahrnehmungserfahrungen bietet, wenn man auf Dinge stößt, welche sich in der eigenen Welt nicht an allen Ecken finden lassen.

log2462c.jpg (8398 Byte)

Nun würde ich zwar nicht unter die Flagge der Kunst stellen, was bestenfalls den Rang von dekorativen Arbeiten erreicht oder in die Abteilung "Hoher persönlicher Erinnerungswert" gehört, aber Kulturpolitik wird bei uns nicht öffentlich verhandelt, also obliegt sie den formell eingesetzten Kräften; und ein gutes Buffet scheint vieles auszugleichen. (Siehe dazu auch: "Eröffnungsredereien"!)

Begreiflich, daß etliche Menschen nach der Arbeit und nach anderen Mühen des Alltags einen erhöhten Deutungsaufwand eher meiden möchten. Wo einem allenfalls ein Mangel an Wahrnehmungserfahrungen so manches Defizit beschert, zum Beispiel in den Problemlösungskompetenzen, stehen Legionen von Lebensberatunnsgsfachkräften in der Gegend herum. Wo das allenfalls nichts fruchtet, bleibt immer noch ein Ausflug in die Esoterik offen.

Bevor nun meine Ironie in Zynismus kippt, zurück zum eigentlichen Thema. Wie eine Gesellschaft gut beraten ist, in Grundlagenforschung zu investieren und nicht bloß in die angewandten Bereiche, könnte es von Vorteil sein, in Grundanordnungen eines geistigen Lebens zu investieren und nicht bloß in Events. (Siehe dazu auch: "Ungefragte Ratschläge für oststeirisches Kunstpublikum"!)

In solchen Zusammenhängen wird die Befassung mit dem Transzendenten plausibel, etwa mit dem Kunstwerk, das sich selbst betrachtet, oder um einen Schritt weiter zu gehen, sogar mit dem Kunstwerk, das nichts von sich weiß.

In unserem 2017er Kunstsymposion "Artist Is Obsolete", da wir an eine Position herankamen, wo Maschinen diskussionswürdige Werke produzieren, war von einer Grundannahme auszugehen: Wir sind die einzige Spezies, der es gelingt, Dinge zu denken, die es nicht gibt. Wir haben vor einigen tausend Jahren symbolisches Denken entwickelt, was sich als enormer evolutionärer Vorteil erwiesen hat.

Diese Praxis des symbolischen Denkens befähigt uns zu einem geistigen Leben, das nicht primär alltäglicher Nützlichkeit gewidmet ist. Das heißt, bis es in der Alltagsbewältigung gebraucht wird (Angewandtes), sollte es Raum und Gelegenheit für eine zweckfreie Entfaltung (Grundlagen) haben.

log2462d.jpg (10615 Byte)

Es ist die Sache herkömmlicher Kulturmanagements, sich um die Event-Optionen zu kümmern und das in der Öffentlichkeit entsprechend zu verkaufen. Davon kann auch die Kunst profitieren. Aber vor dem Angewandten kommt naturgemäß das Grundlagen-Thema. (Ein Sowohl-als-auch, kein Entweder-oder!)

Ich hab vor über einem Jahrzehnt den Raum um Gleisdorf als "zentrale Bühne" definiert, als einen Ereignisraum, mit dem andere Räume verknüpft wurden; siehe: [link] Auf dieses Raumkonzept ist das für 20 Jahre ausgelegte Projekt "The Long Distance Howl" gestellt. Dieses Projekt war nie als "Intervention" konzipiert, sondern folgt ganz anderen Prinzipien. (Davon später!)

Das ist nun die passende Zeit, um den kulturellen Status quo der Region in einigen Bereichen abzufragen und in jenem Möglichkeitsraum eines geistigen Lebens diese Kategorien zu betonen: Das Kunstwerk, das sich selbst betrachtet und das Kunstwerk, das nichts von sich weiß.

-- [Kunst] --

[kontakt] [reset] [krusche]