log #594: Die QuestWegmarken
Hier sieht man ein Wegkreuz im Süden von Gleisdorf, genauer: ein Dachkreuz,
wie recht oft wo zwischen zwei Bäumen. Rechts mit Fotoapparat: Ursula Glaeser vom KulturBüro
Stainz, die begonnen hat, dieses Thema für uns und mit uns aufzuarbeiten.
Die unzähligen Flurdenkmäler, aus denen sich wesentliche Elemente unserer Kulturlandschaft
ergeben, sind nicht bloß ein detailreiches Codesystem, sie ergeben einen
komplexen Teil unserer Infosphäre mit den Mitteln einer vorindustriellen
Kultur.
Genau das macht die Betrachtung dieser Kleindenkmäler für uns derzeit so interessant.
Dazu kommt, daß sie in ihrem Hauptbestand weder auf folkloristische Art von
Tourismuseinrichtungen verramscht wurden, noch in volkskulturellen Fehltritten völlig
verfälscht oder ideologisch kontaminiert sind.
Das Gros solcher Artefakte steht recht authentisch für den ursprünglichen kulturellen
Moment ihrer Errichtung, ohne nachträglich andere Zwecke aufgebürdet erhalten zu haben.
Es ist ein von derlei Mißgriffen in weiten Teilen völlig freier Bereich unserer Volkskultur,
der uns genau deshalb als Referenzsystem für einige kulturelle Fragestellungen zur
Gegenwart nützt. Siehe dazu auch den Beitrag "Koexistenz: Kulturgeschichtliche
Dimensionen" [link] und "Brauchtum oder: Alte Infosphäre" [link]
Daß diese Kleindenkmäler vielfach auch a) Wegmarken und b) sogar Wegweiser sind,
macht sie übrigens für unser Projekt "Die Quest" interessant. Das hat
seine inhaltlichen Bezüge in einigen speziellen Aspekten.
Im projektbezogen Input anläßlich des Aprilfestival 2017 haben ich das
Phänomen der Initiation betont. Ritueller Tod, Abstieg in die Unterwelt,
Rückkehr. Siehe: [link] Kaum zu übersehen: Der Kreuzestod Christi und seine
Auferstehung reflektieren genau dieses Motiv wohl nicht gar so zufällig.
Überdies erweist sich jede bedeutende Fahrt/Quest ("Ist es eine Heldenreise,
ein Abenteuer. Ist es eine Pilgerfahrt?") als Schritt ins Ungewisse, wobei wir
aber manchmal durchaus längst begangenen Routen folgen, um genau da neue Erfahrungen zu
sammeln. Das betont einmal mehr den Aspekt der Wegmarken.
Wir bewegen uns dabei also zwischen kulturellen und künstlerischen Aspekten, die auf
ästhetische Erfahrungen zielen, auf Wahrnehmungserfahrungen, andrerseits zwischen
grundlegenden Belangen der Conditio humana angesiedelt sind: Gefährdungen, die
Kunst des Lebens, der unausweichliche Tod.
Dazu kommt hier diese spezielle Bedeutung des elaborierten Zeichensystems, wodurch es
möglich wird, die Gesamtheit der Kleindenkmäler als uns umgebende Infosphäre
zu begreifen, als Erzählsystem, durch das wir allerhand über unsere Heimat erfahren
würden, wenn wir die Zeichen noch lesen könnten.
Das paßt inhaltlich zum anschließend absolvierten Treffen mit Heimo Müller, der
einen Part unseres heurigen Kultursymposions übernommen hat. Er wird gemeinsam
mit dem serbischen Künstler Selman Trtovac am Thema "Landkarte der Angst"
arbeiten: [link]
Auch hier ein Zeichen- und Koordinatensystem. Dazu kommt, daß Müller ein
IT-Fachmann ist, der von Codes eine Menge Ahnung hat. Das interessiert mich
besonders, weil ich klären möchte, ob wir in zeitlicher Staffelung eine redlich
beschreibbare Verlaufslinie zwischen diesem vorindustriellen "Info-System der
Flurdenkmäler" und jener aktuellen Ausstattung unserer Infosphäre
feststellen körnen, die sich auf Computersysteme stützt.
Dabei kommt auch die Querverbindung zur Gegenwartskunst nicht zu kurz, gerade in der
Zusammenarbeit mit einem Künstler wie Selman Trtovac, den neben seiner künstlerischen
Praxis auch die Strategien der Kunst seit Jahren als Thema beschäftigen.
P.S.:
Wir hören gelegentlich, daß sich Menschen der Gegenwartskunst gegenüber distanziert verhalten,
indem sie betonen: "Ich verstehe nichts von Kunst", so als wäre das
nicht ein tiefer gehendes Defizit unserer Gesellschaft im Umgang mit kulturellen Codes.
Können Sie derlei Kleindenkmäler lesen, dechiffrieren? Ich (bisher) nicht. Allein die
Attribute auf Bildern und bei Plastiken machen mir ein Nachschlagwerk unverzichtbar.
Harfe? David. Kamm? Verena. Posaune? Hieronimus. Gut, Mantel und Schwert hätten dann
vermutlich mehr Menschen dem heiligen Martin zugeordnet...